Wer Richter auf Probe bzw. Staatsanwalt werden möchte, sollte sich mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Das Karriere-Dossier ist als Print-Buch sowie als E-Book für alle 16 Bundesländer erhältlich:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
Und zur Vorbereitung auf das alles entscheidende Vorstellungsgespräch sollte man auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben.
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
Und zur Vorbereitung auf das alles entscheidende Vorstellungsgespräch sollte man auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben.
25.05.2024, 13:26
(25.05.2024, 11:43)guga schrieb:(25.05.2024, 11:42)kumpelanton schrieb:(25.05.2024, 10:04)guga schrieb: Kein Problem, zahle gerne mehr Steuern, damit ihr eure privaten Träume mit guter Besoldung erfüllen könnt.
also wird die immobilien-problematik nicht gelöst, indem man auserwählten einfach mehr geld zahlt? aber das wäre doch schön für die.
Sparen wollen sie nicht, anderen Job wollen sie nicht, aber gehobene Immobilie in der Großstadt muss sein
Sehr gute Beiträge. Habe die Jammerei über zu niedrige Richtergehälter nie verstanden. Die Besoldungstabellen sind öffentlich, was Immobilien ca. kosten, bekommt man auch heraus. Jeder ist seines Glückes Schmied.
25.05.2024, 14:34
(25.05.2024, 09:47)Mindermeinung schrieb: Ich sehe es so wie Spencer. Diesen Sommer werde ich als Proberichterin einsteigen und mein Mann verdient mit einem nicht juristischen Beruf etwas mehr als ich dann. Aktuell verdiene ich noch A13.
Da wo wir wohnen (unsere Kinder zur Kita bzw. Schule gehen, die Großeltern in der Nähe sind) müssten wir 400.000 - 500.000 für ein Reihenhaus aus den 70er in desolatem Zustand zahlen. Und nein, das ist keine Großstadt, das ist ein Städtchen mit 60.000 Einwohnern.
Ich möchte seit Beginn des Studiums unbedingt Richterin werden aber finde es auch traurig, dass mein Mann und ich die ja zusammen nicht schlecht verdienen (!) uns keine Immobilie im Umkreis leisten können. Weiter aufs Land ziehen, kommt wegen den Betreuungszeiten nicht in Betracht denn so könnten wir beide nicht Vollzeit arbeiten.
Ich werde daher so früh wie möglich schauen, dass ich noch eine Nebentätigkeit machen kann. (Falls da jemand Tipps hat, wäre ich dankbar!) Würde dann, wenn es so weit ist, Angaben zu meinem Stresslevel machen ;-)
Und nein, größere Kanzleien die mir mehr als die Justiz geben würden, sind zu weit weg für unser Familienkonstrukt.
Und um das vorweg zu nehmen: Ja, wir wollten unsere Kinder und ja, ich will in die Justiz. Bisschen frustrierend ist es aber trotzdem.
Mit einem Haushaltseinkommen von 8 TEUR netto und 50 TEUR Eigenkapital könnte man sich eine Immobilie für 500k kaufen und sogar noch 100k in Modernisierung stecken. Bei einer monatlichen Rate von 2.800 EUR bliebe immer noch mehr 5 TEUR für die Lebenshaltungskosten. (Quelle Dr. Klein Budgetrechner). 4 Wochen Malediven Urlaub wird damit vielleicht nicht möglich sein in den ersten Jahren, aber es ist ein echt hohes Niveau. Wenn die Zinsen dann wieder sinken, kann man sich tatsächlich mehr leisten. Am Ende denke ich, wird man alleine wegen der Besoldung keinen Lebensstress haben, sodass man den Leuten die Justiz jetzt nicht so madig deswegen reden sollte :) Trotzdem ehrlichen Respekt von mir, dass du mit Kindern Vollzeit plus Nebenjob schaffen würdest.
25.05.2024, 17:52
Mal davon ab, dass die Diskussion am eigentlichen Thema vorbei geht, ist es mMn inzwischen daneben, eine angemessene Besoldung davon abhängig zu machen, ob man sich ein Haus leisten kann oder eben nicht. An der Besoldung dem Grunde nach liegt es sicherlich nicht, sondern schlicht daran, dass der Immobilienmarkt inzwischen völlig außer Kontrolle geraten ist.
Wer hier über sein R1 meckert vergisst auch offenbar ganz schnell, dass inzwischen von der reinen Notenvoraussetzung wohl mind. 60% der Absolventen qualifiziert genug wären. Das soll nicht polemisch klingen, aber ein durchschnittlicher Job wird eben auch nur durchschnittlich vergütet und da fährt man mit seinem R1 immer noch überdurchschnittlich gut. Insbesondere wenn man es mit vergleichbaren Stellen in der Anwaltschaft vergleicht. Den meisten scheint nicht klar zu sein was es bedeutet in der freien Wirtschaft ein R1 Gehalt zu erwirtschaften und welche Belastungen/Risiken damit einhergehen, geschweige denn von einem GK Gehalt.
Wer hier über sein R1 meckert vergisst auch offenbar ganz schnell, dass inzwischen von der reinen Notenvoraussetzung wohl mind. 60% der Absolventen qualifiziert genug wären. Das soll nicht polemisch klingen, aber ein durchschnittlicher Job wird eben auch nur durchschnittlich vergütet und da fährt man mit seinem R1 immer noch überdurchschnittlich gut. Insbesondere wenn man es mit vergleichbaren Stellen in der Anwaltschaft vergleicht. Den meisten scheint nicht klar zu sein was es bedeutet in der freien Wirtschaft ein R1 Gehalt zu erwirtschaften und welche Belastungen/Risiken damit einhergehen, geschweige denn von einem GK Gehalt.
25.05.2024, 17:53
(25.05.2024, 14:34)JFBerlin schrieb:(25.05.2024, 09:47)Mindermeinung schrieb: Ich sehe es so wie Spencer. Diesen Sommer werde ich als Proberichterin einsteigen und mein Mann verdient mit einem nicht juristischen Beruf etwas mehr als ich dann. Aktuell verdiene ich noch A13.
Da wo wir wohnen (unsere Kinder zur Kita bzw. Schule gehen, die Großeltern in der Nähe sind) müssten wir 400.000 - 500.000 für ein Reihenhaus aus den 70er in desolatem Zustand zahlen. Und nein, das ist keine Großstadt, das ist ein Städtchen mit 60.000 Einwohnern.
Ich möchte seit Beginn des Studiums unbedingt Richterin werden aber finde es auch traurig, dass mein Mann und ich die ja zusammen nicht schlecht verdienen (!) uns keine Immobilie im Umkreis leisten können. Weiter aufs Land ziehen, kommt wegen den Betreuungszeiten nicht in Betracht denn so könnten wir beide nicht Vollzeit arbeiten.
Ich werde daher so früh wie möglich schauen, dass ich noch eine Nebentätigkeit machen kann. (Falls da jemand Tipps hat, wäre ich dankbar!) Würde dann, wenn es so weit ist, Angaben zu meinem Stresslevel machen ;-)
Und nein, größere Kanzleien die mir mehr als die Justiz geben würden, sind zu weit weg für unser Familienkonstrukt.
Und um das vorweg zu nehmen: Ja, wir wollten unsere Kinder und ja, ich will in die Justiz. Bisschen frustrierend ist es aber trotzdem.
Mit einem Haushaltseinkommen von 8 TEUR netto und 50 TEUR Eigenkapital könnte man sich eine Immobilie für 500k kaufen und sogar noch 100k in Modernisierung stecken. Bei einer monatlichen Rate von 2.800 EUR bliebe immer noch mehr 5 TEUR für die Lebenshaltungskosten. (Quelle Dr. Klein Budgetrechner). 4 Wochen Malediven Urlaub wird damit vielleicht nicht möglich sein in den ersten Jahren, aber es ist ein echt hohes Niveau. Wenn die Zinsen dann wieder sinken, kann man sich tatsächlich mehr leisten. Am Ende denke ich, wird man alleine wegen der Besoldung keinen Lebensstress haben, sodass man den Leuten die Justiz jetzt nicht so madig deswegen reden sollte :) Trotzdem ehrlichen Respekt von mir, dass du mit Kindern Vollzeit plus Nebenjob schaffen würdest.
Mal abwarten. Ich kenne viele, inkl. mir, die neben der Vollzeittätigkeit noch einen Nebenjob angestrebt haben (bei mir ein paar Mandate nebenbei). Tatsächlich macht es aber keiner.
Wir haben einen Neubau, (fast) komplett nach unseren Vorstellungen verwirklicht. Nicht in Pusemuckel, sondern am Hamburger Stadtrand 10 Minuten Fußweg zur U-Bahn. Deswegen der hohe Preis und keine 500k. Für 500k hätten wir 2020 eine abrissreife Bruchbude haben können, haben aber dankend abgelehnt.
Was an 40% Sparquote schlecht sein soll, verstehe ich übrigens nicht. Vielleicht verwechselt du, Spencer, dies mir der Kreditrate. Die liegt bei knapp 30%, sinkt mit jeder jährlichen Gehaltserhöhung und wir haben bewusst eine niedrigere Rate gewählt als wir könnten, da wir lieber sondertilgen. Sparquote heißt, ich habe nur 60% meines Nettoeinkommens überhaupt zum Leben benötigt. Der Rest war einfach da und vermehrte sich von selbst.
Andere Länder kann man aus meiner Sicht nur bedingt mit Deutschland vergleichen. Erst vorgestern habe ich wieder gelesen, wie gut Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dasteht. Das betraf primär zwar nicht die Richter, sondern das Elterngeld aber gewisse Sachen sind dem Staat offenbar wichtiger, als die zu den oberen 10% der Bevölkerung gehörenden Richter noch besser zu stellen.
Wie Strafverteidiger sagt, geht es den meisten Juristen insgesamt gut. Es ist jammern auf hohem Niveau, was hier betrieben wird. Wir können natürlich die Richter besser bezahlen und im Gegenzug erneut bei vielen Sozialleistungen kürzen. Dass das der richtige Weg ist, denke ich allerdings nicht.
26.05.2024, 11:31
Um mal zur Ausgangsfrage des Thread-Erstellers zurückzukehren:
Ich bin Richter an einem Verwaltungsgericht und kann sagen, dass die Arbeit bei mir derzeit kaum einmal echten Stress auslöst. Meine Zeiteinteilung ist völlig frei und die Fristen im Verfahren setze ich. Daher kommt es fast nie vor, dass ich gezwungen bin, etwas Bestimmtes gerade in diesem Moment zu erledigen. Anders kann es sein, wenn ein sehr kurzfristig zu bearbeitendes Eilverfahren eingeht, was in meinem Dezernat aber keinesfalls die Regel ist. Im Normalfall komme ich mit 40 Wochenstunden gut hin. Ich komme und gehe wann ich will, und wenn ich mal abends noch arbeite, geschieht das aus eigenem Antrieb und nicht, weil mir noch irgendetwas oder irgendjemand im Nacken sitzt. Auch die bei uns sehr starke Akzeptanz von Home-Office trägt zu einer eher entspannten Arbeitsatmosphäre bei. In manchen Rechtsgebieten kann eine mentale Belastung daraus entstehen, dass man Entscheidungen von großer Tragweite für die Betroffenen fällt. Aber ich denke, das ist dem Richterberuf inhärent und den meisten Personen, die diesen wählen, von vornherein bewusst.
Von Kolleginnen und Kollegen aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit weiß ich, dass die Belastung dort bisweilen ganz anders aussieht. Das gilt u. a. wegen der prozessualen Besonderheiten gerade in strafrechtlichen Dezernaten. Die Staatsanwaltschaft ist berüchtigt als Brutstätte für Dauerfrust und Burn-Out-Kandidaten. Ein Freund hatte auch einmal ein völlig überlastetes Strafrichterdezernat am Amtsgericht, das ihn zu regelmäßiger Wochenendarbeit brachte. Auch dort ist die individuelle Auslastung aber sehr individuell und ganz abhängig von Umfang und Art des jeweiligen Dezernats. Hier kann man keine pauschalen Aussagen treffen.
Eines kann ich aus den Erfahrungsberichten von Freunden und Bekannten eindeutig sagen: Die durchschnittliche Arbeitsbelastung im Anwaltsberuf ist deutlich höher als im Staatsdienst, und die allgemeine Zufriedenheit der Berufstätigen niedriger. Fast alle von meinen früheren Mitreferendarinnen und -referendaren, die zunächst als Rechtsanwälte tätig waren, haben sich wiederholt über die sehr langen Arbeitszeiten beklagt. Dazu kommen Beschwerden über unfreundliche oder sehr anspruchsvolle Mandanten, deren Wünsche man dennoch erfüllen muss, und die hierarchische Kanzleikultur, welche junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beim Berufseinstieg in die Rolle eines bloßen Zuarbeiters für die Partner (in der Mehrzahl Männer höheren Alters) drängt. Meist fallen für die Neulinge dann auch weniger interessante und mehr tendenziell aussichtslose Mandate ab.
Ehrlich gesagt sind unter den früheren Mitreferendarinnen und -referendaren, mit denen ich noch regelmäßigen Kontakt habe, nicht mehr viele im klassischen Anwaltsberuf übrig. Der Großteil hat die Anwaltschaft bereits nach relativ kurzer Zeit verlassen - zum Teil in Richtung Staatsdienst, zum Teil hin zu Unternehmen oder Verbänden. Ich finde das durchaus besorgniserregend, denn der Rechtsstaat braucht gute und aktive Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, um den Zugang zum Recht zu gewährleisten, gerade auch abseits von Metropolen und Großkanzleien. Wenn die insgesamt stark überalterte Rechtsanwaltschaft einen großen Teil des benötigten Nachwuchses bereits nach kurzer Zeit vergrault, wird es für den Normalbürger in Zukunft immer schwieriger werden, seine Rechte wirksam durchsetzen zu können.
Ich bin Richter an einem Verwaltungsgericht und kann sagen, dass die Arbeit bei mir derzeit kaum einmal echten Stress auslöst. Meine Zeiteinteilung ist völlig frei und die Fristen im Verfahren setze ich. Daher kommt es fast nie vor, dass ich gezwungen bin, etwas Bestimmtes gerade in diesem Moment zu erledigen. Anders kann es sein, wenn ein sehr kurzfristig zu bearbeitendes Eilverfahren eingeht, was in meinem Dezernat aber keinesfalls die Regel ist. Im Normalfall komme ich mit 40 Wochenstunden gut hin. Ich komme und gehe wann ich will, und wenn ich mal abends noch arbeite, geschieht das aus eigenem Antrieb und nicht, weil mir noch irgendetwas oder irgendjemand im Nacken sitzt. Auch die bei uns sehr starke Akzeptanz von Home-Office trägt zu einer eher entspannten Arbeitsatmosphäre bei. In manchen Rechtsgebieten kann eine mentale Belastung daraus entstehen, dass man Entscheidungen von großer Tragweite für die Betroffenen fällt. Aber ich denke, das ist dem Richterberuf inhärent und den meisten Personen, die diesen wählen, von vornherein bewusst.
Von Kolleginnen und Kollegen aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit weiß ich, dass die Belastung dort bisweilen ganz anders aussieht. Das gilt u. a. wegen der prozessualen Besonderheiten gerade in strafrechtlichen Dezernaten. Die Staatsanwaltschaft ist berüchtigt als Brutstätte für Dauerfrust und Burn-Out-Kandidaten. Ein Freund hatte auch einmal ein völlig überlastetes Strafrichterdezernat am Amtsgericht, das ihn zu regelmäßiger Wochenendarbeit brachte. Auch dort ist die individuelle Auslastung aber sehr individuell und ganz abhängig von Umfang und Art des jeweiligen Dezernats. Hier kann man keine pauschalen Aussagen treffen.
Eines kann ich aus den Erfahrungsberichten von Freunden und Bekannten eindeutig sagen: Die durchschnittliche Arbeitsbelastung im Anwaltsberuf ist deutlich höher als im Staatsdienst, und die allgemeine Zufriedenheit der Berufstätigen niedriger. Fast alle von meinen früheren Mitreferendarinnen und -referendaren, die zunächst als Rechtsanwälte tätig waren, haben sich wiederholt über die sehr langen Arbeitszeiten beklagt. Dazu kommen Beschwerden über unfreundliche oder sehr anspruchsvolle Mandanten, deren Wünsche man dennoch erfüllen muss, und die hierarchische Kanzleikultur, welche junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beim Berufseinstieg in die Rolle eines bloßen Zuarbeiters für die Partner (in der Mehrzahl Männer höheren Alters) drängt. Meist fallen für die Neulinge dann auch weniger interessante und mehr tendenziell aussichtslose Mandate ab.
Ehrlich gesagt sind unter den früheren Mitreferendarinnen und -referendaren, mit denen ich noch regelmäßigen Kontakt habe, nicht mehr viele im klassischen Anwaltsberuf übrig. Der Großteil hat die Anwaltschaft bereits nach relativ kurzer Zeit verlassen - zum Teil in Richtung Staatsdienst, zum Teil hin zu Unternehmen oder Verbänden. Ich finde das durchaus besorgniserregend, denn der Rechtsstaat braucht gute und aktive Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, um den Zugang zum Recht zu gewährleisten, gerade auch abseits von Metropolen und Großkanzleien. Wenn die insgesamt stark überalterte Rechtsanwaltschaft einen großen Teil des benötigten Nachwuchses bereits nach kurzer Zeit vergrault, wird es für den Normalbürger in Zukunft immer schwieriger werden, seine Rechte wirksam durchsetzen zu können.
26.05.2024, 13:00
(26.05.2024, 11:31)Fröhlicher Richter schrieb: Um mal zur Ausgangsfrage des Thread-Erstellers zurückzukehren:
Ich bin Richter an einem Verwaltungsgericht und kann sagen, dass die Arbeit bei mir derzeit kaum einmal echten Stress auslöst. Meine Zeiteinteilung ist völlig frei und die Fristen im Verfahren setze ich. Daher kommt es fast nie vor, dass ich gezwungen bin, etwas Bestimmtes gerade in diesem Moment zu erledigen. Anders kann es sein, wenn ein sehr kurzfristig zu bearbeitendes Eilverfahren eingeht, was in meinem Dezernat aber keinesfalls die Regel ist. Im Normalfall komme ich mit 40 Wochenstunden gut hin. Ich komme und gehe wann ich will, und wenn ich mal abends noch arbeite, geschieht das aus eigenem Antrieb und nicht, weil mir noch irgendetwas oder irgendjemand im Nacken sitzt. Auch die bei uns sehr starke Akzeptanz von Home-Office trägt zu einer eher entspannten Arbeitsatmosphäre bei. In manchen Rechtsgebieten kann eine mentale Belastung daraus entstehen, dass man Entscheidungen von großer Tragweite für die Betroffenen fällt. Aber ich denke, das ist dem Richterberuf inhärent und den meisten Personen, die diesen wählen, von vornherein bewusst.
Von Kolleginnen und Kollegen aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit weiß ich, dass die Belastung dort bisweilen ganz anders aussieht. Das gilt u. a. wegen der prozessualen Besonderheiten gerade in strafrechtlichen Dezernaten. Die Staatsanwaltschaft ist berüchtigt als Brutstätte für Dauerfrust und Burn-Out-Kandidaten. Ein Freund hatte auch einmal ein völlig überlastetes Strafrichterdezernat am Amtsgericht, das ihn zu regelmäßiger Wochenendarbeit brachte. Auch dort ist die individuelle Auslastung aber sehr individuell und ganz abhängig von Umfang und Art des jeweiligen Dezernats. Hier kann man keine pauschalen Aussagen treffen.
Eines kann ich aus den Erfahrungsberichten von Freunden und Bekannten eindeutig sagen: Die durchschnittliche Arbeitsbelastung im Anwaltsberuf ist deutlich höher als im Staatsdienst, und die allgemeine Zufriedenheit der Berufstätigen niedriger. Fast alle von meinen früheren Mitreferendarinnen und -referendaren, die zunächst als Rechtsanwälte tätig waren, haben sich wiederholt über die sehr langen Arbeitszeiten beklagt. Dazu kommen Beschwerden über unfreundliche oder sehr anspruchsvolle Mandanten, deren Wünsche man dennoch erfüllen muss, und die hierarchische Kanzleikultur, welche junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beim Berufseinstieg in die Rolle eines bloßen Zuarbeiters für die Partner (in der Mehrzahl Männer höheren Alters) drängt. Meist fallen für die Neulinge dann auch weniger interessante und mehr tendenziell aussichtslose Mandate ab.
Ehrlich gesagt sind unter den früheren Mitreferendarinnen und -referendaren, mit denen ich noch regelmäßigen Kontakt habe, nicht mehr viele im klassischen Anwaltsberuf übrig. Der Großteil hat die Anwaltschaft bereits nach relativ kurzer Zeit verlassen - zum Teil in Richtung Staatsdienst, zum Teil hin zu Unternehmen oder Verbänden. Ich finde das durchaus besorgniserregend, denn der Rechtsstaat braucht gute und aktive Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, um den Zugang zum Recht zu gewährleisten, gerade auch abseits von Metropolen und Großkanzleien. Wenn die insgesamt stark überalterte Rechtsanwaltschaft einen großen Teil des benötigten Nachwuchses bereits nach kurzer Zeit vergrault, wird es für den Normalbürger in Zukunft immer schwieriger werden, seine Rechte wirksam durchsetzen zu können.
Kann ich aus meiner Zeit am VG so nur bestätigen. Der große Vorteil dort ist, dass man, wenn man etwas Glück mit seiner Kammer hat, man quasi „das Beste aus beiden Welten“ bekommt. Man macht sehr viel als Einzelrichter alleine und hat alle Freiheiten, die das mit sich bringt. Im Bedarfsfall hat man aber immer auch nette Kollegen, mit denen man sich beraten kann. Schwierig wird es meiner Erfahrung nach nur dann, wenn die Kammermitglieder ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Verfahren haben, die als Kammer entschieden werden. Das kommt zwar vor, ist aber eher die Ausnahme.
26.05.2024, 19:04
Ich - seit 6 Monaten Staatsanwältin in NRW - bin schon sehr überrascht, wie sehr hier seitens der Anwaltschaft und einiger Kollegen aus der Justiz und Verwaltung die Zustände beschönigt werden.
Die R1-Besoldung ist auf den höheren Erfahrungsstufen verfassungswidrig niedrig. Das weiß die EU-Kommission und das weiß auch das Bundesverfassungsgericht. Nur der Politik ist es egal. Zum Berufseinstieg 3.500 euro netto monatlich nach Abzug der PKV zu bekommen, ist absolut in Ordnung. Im weiteren Fortgang lässt die Entwicklung dann aber wirklich zu wünschen übrig. Es mag zwar sein, dass man als Richter oder Staatsanwalt in ländlichen Regionen mit 5000 Euro netto monatlich auf der höchsten Erfahrungsstufe ein vergleichsweise sehr hohes Einkommen hat. Im Falle einer Einverdienerehe mit zwei Kindern ist das Einkommen aber auch alles andere als üppig. Und es wohnt auch nicht jeder Justizangehörige auf dem Land. In den Ballungsräumen wird es schon richtig eng teilweise, trotz Familienzuschlag. Und das bei einem Richter oder Staatsanwalt, der 20 Jahre Berufserfahrung hat und wirklich viel Verantwortung trägt. Das wird der Würde des Amtes einfach nicht gerecht. Es bleibt nunmal dabei, dass das Einkommen das zentrale Mittel der sozialen Differenzierung darstellt. Menschen, die den Staat in so einem sensiblen und wichtigen Bereich verkörpern und repräsentieren, müssen ein Einkommen haben, dass sich platt gesagt, sehen lassen kann. Das hat auch etwas mit Respekt vor dem Amt zu tun. Wenn der Anwalt Mercedes fährt und der Richter Skoda, hat das eine psychologische Wirkung auf die Menschen. Da mag man als Intellektueller drüber stehen, eine soziologische Erkenntnis ist es dennoch.
Jetzt kann jeder natürlich damit kommen, dass man ja nicht verpflichtet ist in die Justiz zu gehen. Und überhaupt die Sicherheit, die Pension und die Beihilfe, bla bla bla. Alles richtig. Aber wenn man als Staatsanwältin ein völlig abgesoffenes Dezernat mit 350 laufenden Ermittlungsverfahren übernimmt und in ein völlig abgewracktes Büro mit Flecken an den Wänden und auf dem Teppich gesetzt wird und dann 60 Stunden pro Woche arbeiten muss, plus Eildienste usw. dann kann einem niemand mehr erzählen, dass der Deal im Großen und Ganzen ja noch in Ordnung wäre und wir Justizangehörigen einfach nur gerne rumheulen würden.
Wenn ein Staatsanwalt in NRW in einem allgemeinen Dezernat Urlaub machen möchte, bedeutet das, dass seine Kollegen aus seiner Abteilung ihn in seinen Sachen vertreten müssen. Da diese Kollegen aber selbst alle völlig abgesoffene Dezernate haben, haben sie natürlich keine Zeit, auch noch den Scheiß ihres Kollegen zu bearbeiten. Die Folge ist, dass nur noch Fristen in die Akten geschrieben werden und der Dezernent der Urlaub hatte, dann in sein Büro zurückkehrt und erstmal verzweifelt die Rückstände der letzten 2-3 Wochen abarbeiten darf. Auch in Krankheitsfällen findet bei uns teilweise keine richtige Vertretung mehr statt. Im Großen und Ganzen werden überhaupt nur noch Eil- und Haftsachen in der Vertretung wirklich bearbeitet. Und man kann es seinen Kollegen nicht einmal übel nehmen, weil die Verfristung der Akten eine reine Notwehrhandlung darstellt.
Hinzukommt, dass ständig Akten verschwinden und aufwendig rekonstruiert werden müssen. Die Geschäftsstellen sind völlig überfordert mit der Masse an Verfahren und dementsprechend leidet auch die Einhaltung der Aktenordnung. Die Akten sind teilweise in einem katastrophalen Zustand, die Aktendeckel sind völlig zerfetzt und die Blätter fliegen lose und chronologisch nicht geordnet in der Akte herum. Damit soll ich als Staatsanwältin dann arbeiten. Wenn ich im Sitzungsdienst bin, kann ich froh sein, wenn in der Handakte überhaupt etwas brauchbares eingeheftet wurde. Die Richter merken es natürlich auch, dass bei uns alles außer Kontrolle gerät, und schimpfen ebenso über die Zustände.
Nicht zu vergessen ist auch, dass sich unter meinen 350 Ermittlungsverfahren auch Verfahren befinden, die es verdient hätten, dass man sich für sie Zeit nimmt. Es ist ja nicht immer nur der 0815 UJs Betrug, wo eh nie ein Täter identifiziert wird. Zeit ist aber absolute Mangelware und wenn man nicht 70 Stunden die Woche arbeiten möchte, muss man dafür sorgen, dass die Akte schnell wieder vom Tisch kommt. Saubere Ermittlungen? Fehlanzeige.
Ich fühle mich insgesamt von meinem Dienstherrn absolut nicht wertgeschätzt, im Gegenteil, die Zustände in den Staatsanwaltschaften in NRW sind beschämend und ein politischer Skandal. Die wenigen Berufseinsteiger, die sich noch für die StA begeistern können, werden einfach nur ausgebeutet und ihr Idealismus wird hemmungslos missbraucht. Wenn die Leute da draußen wirklich wüssten wie Katastrophal die Lage ist, sie würden ganz zurecht von einer veritablen Staatskrise sprechen.
Und jetzt gibt es nunmal nur zwei Möglichkeiten den akuten Personalmangel in der Justiz zu bekämpfen. Entweder man senkt die Notenanforderungen immer weiter oder man erhöht die R-Besoldung auf ein Niveau, das den Anforderungen des Berufs, der Würde des Amtes und der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Die Politik hat sich einfachheitshalber für ersteres entschieden. Wofür braucht es auch schon Prädikatsjuristen in der Justiz?
Ich für meinen Teil bin nach sechs Monaten als Dezernentin in einer NRW-StA dermaßen geschockt und enttäuscht, dass ich erwäge, die Entlassung zu beantragen und in eine Wirtschaftskanzlei zu wechseln, in der ich schon als Referendarin gearbeitet habe. Dort wird auch viel gearbeitet und man hat im Alltag weniger Freiheiten. Da habe ich aber wenigstens ein schönes Büro mit sehr guter IT-Ausstattung, kostenlosen Kaffee und Corporate-Events. Und natürlich ein sechsstelliges Einstiegsgehalt. Solche Entlassungsgesuche häufen sich zuletzt und damit kommt es zu einer echten Zeitenwende. Früher hatte es absoluten Seltenheitswert, wenn ein Dezernent in der Probezeit die Entlassung wollte. Heute wollen selbst die mittelmäßigen Absolventen den Job nicht mehr machen. Aber nein, im Großen und Ganzen ist natürlich alles gut! Vater Staat sorgt für seine Beamten und Systemkritik ist natürlich unangebracht und undankbar!
Wenn ein Staatsanwalt in NRW in einem allgemeinen Dezernat Urlaub machen möchte, bedeutet das, dass seine Kollegen aus seiner Abteilung ihn in seinen Sachen vertreten müssen. Da diese Kollegen aber selbst alle völlig abgesoffene Dezernate haben, haben sie natürlich keine Zeit, auch noch den Scheiß ihres Kollegen zu bearbeiten. Die Folge ist, dass nur noch Fristen in die Akten geschrieben werden und der Dezernent der Urlaub hatte, dann in sein Büro zurückkehrt und erstmal verzweifelt die Rückstände der letzten 2-3 Wochen abarbeiten darf. Auch in Krankheitsfällen findet bei uns teilweise keine richtige Vertretung mehr statt. Im Großen und Ganzen werden überhaupt nur noch Eil- und Haftsachen in der Vertretung wirklich bearbeitet. Und man kann es seinen Kollegen nicht einmal übel nehmen, weil die Verfristung der Akten eine reine Notwehrhandlung darstellt.
Hinzukommt, dass ständig Akten verschwinden und aufwendig rekonstruiert werden müssen. Die Geschäftsstellen sind völlig überfordert mit der Masse an Verfahren und dementsprechend leidet auch die Einhaltung der Aktenordnung. Die Akten sind teilweise in einem katastrophalen Zustand, die Aktendeckel sind völlig zerfetzt und die Blätter fliegen lose und chronologisch nicht geordnet in der Akte herum. Damit soll ich als Staatsanwältin dann arbeiten. Wenn ich im Sitzungsdienst bin, kann ich froh sein, wenn in der Handakte überhaupt etwas brauchbares eingeheftet wurde. Die Richter merken es natürlich auch, dass bei uns alles außer Kontrolle gerät, und schimpfen ebenso über die Zustände.
Nicht zu vergessen ist auch, dass sich unter meinen 350 Ermittlungsverfahren auch Verfahren befinden, die es verdient hätten, dass man sich für sie Zeit nimmt. Es ist ja nicht immer nur der 0815 UJs Betrug, wo eh nie ein Täter identifiziert wird. Zeit ist aber absolute Mangelware und wenn man nicht 70 Stunden die Woche arbeiten möchte, muss man dafür sorgen, dass die Akte schnell wieder vom Tisch kommt. Saubere Ermittlungen? Fehlanzeige.
Ich fühle mich insgesamt von meinem Dienstherrn absolut nicht wertgeschätzt, im Gegenteil, die Zustände in den Staatsanwaltschaften in NRW sind beschämend und ein politischer Skandal. Die wenigen Berufseinsteiger, die sich noch für die StA begeistern können, werden einfach nur ausgebeutet und ihr Idealismus wird hemmungslos missbraucht. Wenn die Leute da draußen wirklich wüssten wie Katastrophal die Lage ist, sie würden ganz zurecht von einer veritablen Staatskrise sprechen.
Und jetzt gibt es nunmal nur zwei Möglichkeiten den akuten Personalmangel in der Justiz zu bekämpfen. Entweder man senkt die Notenanforderungen immer weiter oder man erhöht die R-Besoldung auf ein Niveau, das den Anforderungen des Berufs, der Würde des Amtes und der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Die Politik hat sich einfachheitshalber für ersteres entschieden. Wofür braucht es auch schon Prädikatsjuristen in der Justiz?
Ich für meinen Teil bin nach sechs Monaten als Dezernentin in einer NRW-StA dermaßen geschockt und enttäuscht, dass ich erwäge, die Entlassung zu beantragen und in eine Wirtschaftskanzlei zu wechseln, in der ich schon als Referendarin gearbeitet habe. Dort wird auch viel gearbeitet und man hat im Alltag weniger Freiheiten. Da habe ich aber wenigstens ein schönes Büro mit sehr guter IT-Ausstattung, kostenlosen Kaffee und Corporate-Events. Und natürlich ein sechsstelliges Einstiegsgehalt. Solche Entlassungsgesuche häufen sich zuletzt und damit kommt es zu einer echten Zeitenwende. Früher hatte es absoluten Seltenheitswert, wenn ein Dezernent in der Probezeit die Entlassung wollte. Heute wollen selbst die mittelmäßigen Absolventen den Job nicht mehr machen. Aber nein, im Großen und Ganzen ist natürlich alles gut! Vater Staat sorgt für seine Beamten und Systemkritik ist natürlich unangebracht und undankbar!
26.05.2024, 19:43
(26.05.2024, 19:04)JuraFuchs123 schrieb:Achso und mehr netto auf deinem Konto behebt dann deine Unzufriedenheit? Oder meinst Du, Du und deine Kollege arbeiten bei 1000 EUR netto effizienter resp. zumindest quantitativ mehr? Oder erwartest du einfach nur ein erhöhtes "Schmerzensgeld" für selbst gewähltes und bekanntes Elend?Ich - seit 6 Monaten Staatsanwältin in NRW - bin schon sehr überrascht, wie sehr hier seitens der Anwaltschaft und einiger Kollegen aus der Justiz und Verwaltung die Zustände beschönigt werden.Die R1-Besoldung ist auf den höheren Erfahrungsstufen verfassungswidrig niedrig. Das weiß die EU-Kommission und das weiß auch das Bundesverfassungsgericht. Nur der Politik ist es egal. Zum Berufseinstieg 3.500 euro netto monatlich nach Abzug der PKV zu bekommen, ist absolut in Ordnung. Im weiteren Fortgang lässt die Entwicklung dann aber wirklich zu wünschen übrig. Es mag zwar sein, dass man als Richter oder Staatsanwalt in ländlichen Regionen mit 5000 Euro netto monatlich auf der höchsten Erfahrungsstufe ein vergleichsweise sehr hohes Einkommen hat. Im Falle einer Einverdienerehe mit zwei Kindern ist das Einkommen aber auch alles andere als üppig. Und es wohnt auch nicht jeder Justizangehörige auf dem Land. In den Ballungsräumen wird es schon richtig eng teilweise, trotz Familienzuschlag. Und das bei einem Richter oder Staatsanwalt, der 20 Jahre Berufserfahrung hat und wirklich viel Verantwortung trägt. Das wird der Würde des Amtes einfach nicht gerecht. Es bleibt nunmal dabei, dass das Einkommen das zentrale Mittel der sozialen Differenzierung darstellt. Menschen, die den Staat in so einem sensiblen und wichtigen Bereich verkörpern und repräsentieren, müssen ein Einkommen haben, dass sich platt gesagt, sehen lassen kann. Das hat auch etwas mit Respekt vor dem Amt zu tun. Wenn der Anwalt Mercedes fährt und der Richter Skoda, hat das eine psychologische Wirkung auf die Menschen. Da mag man als Intellektueller drüber stehen, eine soziologische Erkenntnis ist es dennoch.Jetzt kann jeder natürlich damit kommen, dass man ja nicht verpflichtet ist in die Justiz zu gehen. Und überhaupt die Sicherheit, die Pension und die Beihilfe, bla bla bla. Alles richtig. Aber wenn man als Staatsanwältin ein völlig abgesoffenes Dezernat mit 350 laufenden Ermittlungsverfahren übernimmt und in ein völlig abgewracktes Büro mit Flecken an den Wänden und auf dem Teppich gesetzt wird und dann 60 Stunden pro Woche arbeiten muss, plus Eildienste usw. dann kann einem niemand mehr erzählen, dass der Deal im Großen und Ganzen ja noch in Ordnung wäre und wir Justizangehörigen einfach nur gerne rumheulen würden.
Wenn ein Staatsanwalt in NRW in einem allgemeinen Dezernat Urlaub machen möchte, bedeutet das, dass seine Kollegen aus seiner Abteilung ihn in seinen Sachen vertreten müssen. Da diese Kollegen aber selbst alle völlig abgesoffene Dezernate haben, haben sie natürlich keine Zeit, auch noch den Scheiß ihres Kollegen zu bearbeiten. Die Folge ist, dass nur noch Fristen in die Akten geschrieben werden und der Dezernent der Urlaub hatte, dann in sein Büro zurückkehrt und erstmal verzweifelt die Rückstände der letzten 2-3 Wochen abarbeiten darf. Auch in Krankheitsfällen findet bei uns teilweise keine richtige Vertretung mehr statt. Im Großen und Ganzen werden überhaupt nur noch Eil- und Haftsachen in der Vertretung wirklich bearbeitet. Und man kann es seinen Kollegen nicht einmal übel nehmen, weil die Verfristung der Akten eine reine Notwehrhandlung darstellt.
Hinzukommt, dass ständig Akten verschwinden und aufwendig rekonstruiert werden müssen. Die Geschäftsstellen sind völlig überfordert mit der Masse an Verfahren und dementsprechend leidet auch die Einhaltung der Aktenordnung. Die Akten sind teilweise in einem katastrophalen Zustand, die Aktendeckel sind völlig zerfetzt und die Blätter fliegen lose und chronologisch nicht geordnet in der Akte herum. Damit soll ich als Staatsanwältin dann arbeiten. Wenn ich im Sitzungsdienst bin, kann ich froh sein, wenn in der Handakte überhaupt etwas brauchbares eingeheftet wurde. Die Richter merken es natürlich auch, dass bei uns alles außer Kontrolle gerät, und schimpfen ebenso über die Zustände.
Nicht zu vergessen ist auch, dass sich unter meinen 350 Ermittlungsverfahren auch Verfahren befinden, die es verdient hätten, dass man sich für sie Zeit nimmt. Es ist ja nicht immer nur der 0815 UJs Betrug, wo eh nie ein Täter identifiziert wird. Zeit ist aber absolute Mangelware und wenn man nicht 70 Stunden die Woche arbeiten möchte, muss man dafür sorgen, dass die Akte schnell wieder vom Tisch kommt. Saubere Ermittlungen? Fehlanzeige.
Ich fühle mich insgesamt von meinem Dienstherrn absolut nicht wertgeschätzt, im Gegenteil, die Zustände in den Staatsanwaltschaften in NRW sind beschämend und ein politischer Skandal. Die wenigen Berufseinsteiger, die sich noch für die StA begeistern können, werden einfach nur ausgebeutet und ihr Idealismus wird hemmungslos missbraucht. Wenn die Leute da draußen wirklich wüssten wie Katastrophal die Lage ist, sie würden ganz zurecht von einer veritablen Staatskrise sprechen.
Und jetzt gibt es nunmal nur zwei Möglichkeiten den akuten Personalmangel in der Justiz zu bekämpfen. Entweder man senkt die Notenanforderungen immer weiter oder man erhöht die R-Besoldung auf ein Niveau, das den Anforderungen des Berufs, der Würde des Amtes und der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Die Politik hat sich einfachheitshalber für ersteres entschieden. Wofür braucht es auch schon Prädikatsjuristen in der Justiz?
Ich für meinen Teil bin nach sechs Monaten als Dezernentin in einer NRW-StA dermaßen geschockt und enttäuscht, dass ich erwäge, die Entlassung zu beantragen und in eine Wirtschaftskanzlei zu wechseln, in der ich schon als Referendarin gearbeitet habe. Dort wird auch viel gearbeitet und man hat im Alltag weniger Freiheiten. Da habe ich aber wenigstens ein schönes Büro mit sehr guter IT-Ausstattung, kostenlosen Kaffee und Corporate-Events. Und natürlich ein sechsstelliges Einstiegsgehalt. Solche Entlassungsgesuche häufen sich zuletzt und damit kommt es zu einer echten Zeitenwende. Früher hatte es absoluten Seltenheitswert, wenn ein Dezernent in der Probezeit die Entlassung wollte. Heute wollen selbst die mittelmäßigen Absolventen den Job nicht mehr machen. Aber nein, im Großen und Ganzen ist natürlich alles gut! Vater Staat sorgt für seine Beamten und Systemkritik ist natürlich unangebracht und undankbar!
26.05.2024, 20:25
@ Jurafuchs123: Vielen Dank für deine eindrückliche Schilderung, die sich leider mit dem deckt, was ich von anderen über sie StA NRW gehört habe.
Meine einzige Hoffnung darauf, dass die rechtsstaatliche Abwärtsspirale zumindest bei der Bezahlung aufhört und es überhaupt wieder möglich wird, gute Juristen für die Justiz zu finden und auch zu halten, lautet Karlsruhe.
Wie man es hier im Forum wieder eindrucksvoll bestätigt sieht, hat die Justiz in der Öffentlichkeit keine echte Lobby. Läuft doch alles irgendwie und 5.000 Euro sind viel Geld, sonst geht doch nach drüben (= freie Wirtschaft).
Was eine mit hochqualifiziertem Personal ausgestattete Justiz für einen Rechtsstaat bedeutet, werden viele erst kapieren, wenn dieser endgültig kaputt gespart wurde.
Der von mir zitierte Peter Müller hat es mE auf den Punkt gebracht und ich rechne noch in diesem Jahr mit einem Paukenschlag aus Karlsruhe.
Bis dahin zitiere ich mal Prof. Battis aus seinem Gutachten an das BVerfG zur Besoldungsfrage:
Meine einzige Hoffnung darauf, dass die rechtsstaatliche Abwärtsspirale zumindest bei der Bezahlung aufhört und es überhaupt wieder möglich wird, gute Juristen für die Justiz zu finden und auch zu halten, lautet Karlsruhe.
Wie man es hier im Forum wieder eindrucksvoll bestätigt sieht, hat die Justiz in der Öffentlichkeit keine echte Lobby. Läuft doch alles irgendwie und 5.000 Euro sind viel Geld, sonst geht doch nach drüben (= freie Wirtschaft).
Was eine mit hochqualifiziertem Personal ausgestattete Justiz für einen Rechtsstaat bedeutet, werden viele erst kapieren, wenn dieser endgültig kaputt gespart wurde.
Der von mir zitierte Peter Müller hat es mE auf den Punkt gebracht und ich rechne noch in diesem Jahr mit einem Paukenschlag aus Karlsruhe.
Bis dahin zitiere ich mal Prof. Battis aus seinem Gutachten an das BVerfG zur Besoldungsfrage:
Zitat:Völlig unterschätzt wird dabei offenbar die Symbolwirkung einer derartigen Besoldungsgesetzgebung. Darin kommt nicht nur eine offene Missachtung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, sondern nicht zuletzt auch eine Missachtung der hiervon unmittelbar betroffenen Beamtinnen und Beamten.https://www.sbb.de/fileadmin/user_upload...0_2022.pdf
Angesichts der Dreistigkeit dieses offensichtlich inzwischen über Jahre hinweg länderübergreifend konzertierten Verfassungsbruchs verbietet sich inzwischen jegliche diplomatische Zurückhaltung. Vielmehr ist einmal mehr herauszustellen, dass hier mit voller Absicht die eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, deren Bindungswirkung § 31 BVerfGG sowie zuletzt auch die Verfassung selbst, insbesondere die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG offen missachtet werden. Der Unterzeichner hat bereits bei früheren Gelegenheiten deutlich gemacht, dass die fortgesetzte Missachtung der Judikate von Bundesverfassungsgericht und Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtsstaatsgefährdend ist.
Die (Landes-)Besoldungsgesetzgeber führen mit dieser Art der Gesetzgebung letztlich eine Verfassungskrise herbei, die über den eigentlichen Regelungsbereich hinaus weitreichende Auswirkungen haben wird. Nicht nur wird damit die Autorität des Bundesverfassungsgerichts beschädigt, sondern darüber hinaus die Integrität und damit auch die Funktionalität des Beamtentums insgesamt untergraben. Damit steuert der Besoldungsgesetzgeber im Ergebnis genau in die entgegengesetzte Richtung der vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung verfolgten Zielsetzung.“
26.05.2024, 20:31
(26.05.2024, 19:43)Kugelblitz schrieb:(26.05.2024, 19:04)JuraFuchs123 schrieb:Achso und mehr netto auf deinem Konto behebt dann deine Unzufriedenheit? Oder meinst Du, Du und deine Kollege arbeiten bei 1000 EUR netto effizienter resp. zumindest quantitativ mehr? Oder erwartest du einfach nur ein erhöhtes "Schmerzensgeld" für selbst gewähltes und bekanntes Elend?Ich - seit 6 Monaten Staatsanwältin in NRW - bin schon sehr überrascht, wie sehr hier seitens der Anwaltschaft und einiger Kollegen aus der Justiz und Verwaltung die Zustände beschönigt werden.Die R1-Besoldung ist auf den höheren Erfahrungsstufen verfassungswidrig niedrig. Das weiß die EU-Kommission und das weiß auch das Bundesverfassungsgericht. Nur der Politik ist es egal. Zum Berufseinstieg 3.500 euro netto monatlich nach Abzug der PKV zu bekommen, ist absolut in Ordnung. Im weiteren Fortgang lässt die Entwicklung dann aber wirklich zu wünschen übrig. Es mag zwar sein, dass man als Richter oder Staatsanwalt in ländlichen Regionen mit 5000 Euro netto monatlich auf der höchsten Erfahrungsstufe ein vergleichsweise sehr hohes Einkommen hat. Im Falle einer Einverdienerehe mit zwei Kindern ist das Einkommen aber auch alles andere als üppig. Und es wohnt auch nicht jeder Justizangehörige auf dem Land. In den Ballungsräumen wird es schon richtig eng teilweise, trotz Familienzuschlag. Und das bei einem Richter oder Staatsanwalt, der 20 Jahre Berufserfahrung hat und wirklich viel Verantwortung trägt. Das wird der Würde des Amtes einfach nicht gerecht. Es bleibt nunmal dabei, dass das Einkommen das zentrale Mittel der sozialen Differenzierung darstellt. Menschen, die den Staat in so einem sensiblen und wichtigen Bereich verkörpern und repräsentieren, müssen ein Einkommen haben, dass sich platt gesagt, sehen lassen kann. Das hat auch etwas mit Respekt vor dem Amt zu tun. Wenn der Anwalt Mercedes fährt und der Richter Skoda, hat das eine psychologische Wirkung auf die Menschen. Da mag man als Intellektueller drüber stehen, eine soziologische Erkenntnis ist es dennoch.Jetzt kann jeder natürlich damit kommen, dass man ja nicht verpflichtet ist in die Justiz zu gehen. Und überhaupt die Sicherheit, die Pension und die Beihilfe, bla bla bla. Alles richtig. Aber wenn man als Staatsanwältin ein völlig abgesoffenes Dezernat mit 350 laufenden Ermittlungsverfahren übernimmt und in ein völlig abgewracktes Büro mit Flecken an den Wänden und auf dem Teppich gesetzt wird und dann 60 Stunden pro Woche arbeiten muss, plus Eildienste usw. dann kann einem niemand mehr erzählen, dass der Deal im Großen und Ganzen ja noch in Ordnung wäre und wir Justizangehörigen einfach nur gerne rumheulen würden.
Wenn ein Staatsanwalt in NRW in einem allgemeinen Dezernat Urlaub machen möchte, bedeutet das, dass seine Kollegen aus seiner Abteilung ihn in seinen Sachen vertreten müssen. Da diese Kollegen aber selbst alle völlig abgesoffene Dezernate haben, haben sie natürlich keine Zeit, auch noch den Scheiß ihres Kollegen zu bearbeiten. Die Folge ist, dass nur noch Fristen in die Akten geschrieben werden und der Dezernent der Urlaub hatte, dann in sein Büro zurückkehrt und erstmal verzweifelt die Rückstände der letzten 2-3 Wochen abarbeiten darf. Auch in Krankheitsfällen findet bei uns teilweise keine richtige Vertretung mehr statt. Im Großen und Ganzen werden überhaupt nur noch Eil- und Haftsachen in der Vertretung wirklich bearbeitet. Und man kann es seinen Kollegen nicht einmal übel nehmen, weil die Verfristung der Akten eine reine Notwehrhandlung darstellt.
Hinzukommt, dass ständig Akten verschwinden und aufwendig rekonstruiert werden müssen. Die Geschäftsstellen sind völlig überfordert mit der Masse an Verfahren und dementsprechend leidet auch die Einhaltung der Aktenordnung. Die Akten sind teilweise in einem katastrophalen Zustand, die Aktendeckel sind völlig zerfetzt und die Blätter fliegen lose und chronologisch nicht geordnet in der Akte herum. Damit soll ich als Staatsanwältin dann arbeiten. Wenn ich im Sitzungsdienst bin, kann ich froh sein, wenn in der Handakte überhaupt etwas brauchbares eingeheftet wurde. Die Richter merken es natürlich auch, dass bei uns alles außer Kontrolle gerät, und schimpfen ebenso über die Zustände.
Nicht zu vergessen ist auch, dass sich unter meinen 350 Ermittlungsverfahren auch Verfahren befinden, die es verdient hätten, dass man sich für sie Zeit nimmt. Es ist ja nicht immer nur der 0815 UJs Betrug, wo eh nie ein Täter identifiziert wird. Zeit ist aber absolute Mangelware und wenn man nicht 70 Stunden die Woche arbeiten möchte, muss man dafür sorgen, dass die Akte schnell wieder vom Tisch kommt. Saubere Ermittlungen? Fehlanzeige.
Ich fühle mich insgesamt von meinem Dienstherrn absolut nicht wertgeschätzt, im Gegenteil, die Zustände in den Staatsanwaltschaften in NRW sind beschämend und ein politischer Skandal. Die wenigen Berufseinsteiger, die sich noch für die StA begeistern können, werden einfach nur ausgebeutet und ihr Idealismus wird hemmungslos missbraucht. Wenn die Leute da draußen wirklich wüssten wie Katastrophal die Lage ist, sie würden ganz zurecht von einer veritablen Staatskrise sprechen.
Und jetzt gibt es nunmal nur zwei Möglichkeiten den akuten Personalmangel in der Justiz zu bekämpfen. Entweder man senkt die Notenanforderungen immer weiter oder man erhöht die R-Besoldung auf ein Niveau, das den Anforderungen des Berufs, der Würde des Amtes und der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Die Politik hat sich einfachheitshalber für ersteres entschieden. Wofür braucht es auch schon Prädikatsjuristen in der Justiz?
Ich für meinen Teil bin nach sechs Monaten als Dezernentin in einer NRW-StA dermaßen geschockt und enttäuscht, dass ich erwäge, die Entlassung zu beantragen und in eine Wirtschaftskanzlei zu wechseln, in der ich schon als Referendarin gearbeitet habe. Dort wird auch viel gearbeitet und man hat im Alltag weniger Freiheiten. Da habe ich aber wenigstens ein schönes Büro mit sehr guter IT-Ausstattung, kostenlosen Kaffee und Corporate-Events. Und natürlich ein sechsstelliges Einstiegsgehalt. Solche Entlassungsgesuche häufen sich zuletzt und damit kommt es zu einer echten Zeitenwende. Früher hatte es absoluten Seltenheitswert, wenn ein Dezernent in der Probezeit die Entlassung wollte. Heute wollen selbst die mittelmäßigen Absolventen den Job nicht mehr machen. Aber nein, im Großen und Ganzen ist natürlich alles gut! Vater Staat sorgt für seine Beamten und Systemkritik ist natürlich unangebracht und undankbar!
Die Kollegin hat durchaus einen Punkt. Es geht allerdings weniger um die einzelne Person als darum, dass die derzeitige Ausstattung der und die Zustände in der Justiz ein absolutes Armutszeugnis für ein Land wie die Bundesrepublik sind, die sich - wie man gerade wieder an den ganzen Beiträgen und Feierlichkeiten zum Jubiläum des Grundgesetzes sehen konnte - (auch international) sehr viel auf ihre Rechtsstaatlichkeit einbildet.