07.05.2021, 01:18
Hallo zusammen,
ich habe jetzt beide Examina absolviert und stehe vor der Entscheidung, wohin es mich beruflich zieht.
Von den Noten her kann ich es mir eigentlich aussuchen und mein Interesse liegt grundsätzlich am ehesten im Bereich des Strafrechts, aber auch das Öffentliche Recht fand ich immer ganz spannend.
Zuerst hatte ich Richter in Betracht gezogen, wurde aber von den vielen Berichten, die man hier, aber auch von jungen Richtern im Referendariat hört, abgeschreckt. Eine 50-60 Stunden-Woche kann ich mir beim besten Willen einfach nicht vorstellen, wenn das die regelmäßige Arbeitszeit auch außerhalb von Belastungsspitzen darstellt.
Ich habe eigentlich Jura studiert, weil ich immer mal Staatsanwalt werden wollte, aber auch dort hört man - allerdings nur sehr vage - häufig, dass StA noch unbeliebter als Richter*in sein soll. Woran genau liegt das? Sind die Arbeitszeiten noch schlimmer? Ist es der Erledigungsdruck?
Am meisten würden mich tatsächlich Berichte von jungen (Ex-)Staatsanwältinnen und (Ex-)Staatsanwälten interessieren.
Vielen Dank im Voraus.
ich habe jetzt beide Examina absolviert und stehe vor der Entscheidung, wohin es mich beruflich zieht.
Von den Noten her kann ich es mir eigentlich aussuchen und mein Interesse liegt grundsätzlich am ehesten im Bereich des Strafrechts, aber auch das Öffentliche Recht fand ich immer ganz spannend.
Zuerst hatte ich Richter in Betracht gezogen, wurde aber von den vielen Berichten, die man hier, aber auch von jungen Richtern im Referendariat hört, abgeschreckt. Eine 50-60 Stunden-Woche kann ich mir beim besten Willen einfach nicht vorstellen, wenn das die regelmäßige Arbeitszeit auch außerhalb von Belastungsspitzen darstellt.
Ich habe eigentlich Jura studiert, weil ich immer mal Staatsanwalt werden wollte, aber auch dort hört man - allerdings nur sehr vage - häufig, dass StA noch unbeliebter als Richter*in sein soll. Woran genau liegt das? Sind die Arbeitszeiten noch schlimmer? Ist es der Erledigungsdruck?
Am meisten würden mich tatsächlich Berichte von jungen (Ex-)Staatsanwältinnen und (Ex-)Staatsanwälten interessieren.
Vielen Dank im Voraus.
Erste Infos zum Bewerbungsverfahren für den Justizdienst findest Du auf den Richter-Infoseiten von Juristenkoffer.de:
https://www.juristenkoffer.de/richter/
Darüber hinaus sollte man sich dann mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Optional besteht zudem die Möglichkeit, auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zuzugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
https://www.juristenkoffer.de/richter/
Darüber hinaus sollte man sich dann mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Optional besteht zudem die Möglichkeit, auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zuzugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
07.05.2021, 06:23
Die Horrorgeschichten von dauerhaften 50-60 Stunden sind meiner Erfahrung nach unrealistisch, sowohl bei der StA als auch bei Richtern. In den ersten Jahren, bei Dezernatswechseln und bei Spitzen ist die Arbeitszeit aber realistisch.
Gründe für die mangelnde Attraktivität:
- Bei der StA wird durchschnittlich ein wenig länger gearbeitet als bei Richtern (subjektives Empfinden)
- man ist nominell in einer Behörde tätig, mit entsprechender Hierarchie, es besteht keine richterliche Unabhängigkeit
- Renommee ist geringer als das des Richters
- je nach Dezernat ist man mit Fließbandarbeit beschäftigt
Ich bin dennoch bei der StA geblieben
- Arbeitszeit sinkt mit Erfahrung auf vollkommen annehmbare Zeiten, Einteilung ist flexibel
- in der tatsächlichen Arbeit ist man genau so unabhängig wie Richter, Weisungen oder Marschrichtungen habe ich noch nie erhalten
- es ist wesentlich kommunikativer als die Arbeit am Gericht (wobei der hauptsächliche Kontakt aber zur Polizei besteht)
- man bekommt keinen fertigen Sachverhalt sondern kann ihn erst noch ermitteln
- die Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sind für die StA enorm
- es kommt keine Routine auf, jeder Fall hat seine rechtlichen/tatsächlichen Schwierigkeiten (stark dezernatsabhängig)
Vieles davon ist subjektiv, es ja hängt auch viel von der Behörde und den Kollegen ab.
Gründe für die mangelnde Attraktivität:
- Bei der StA wird durchschnittlich ein wenig länger gearbeitet als bei Richtern (subjektives Empfinden)
- man ist nominell in einer Behörde tätig, mit entsprechender Hierarchie, es besteht keine richterliche Unabhängigkeit
- Renommee ist geringer als das des Richters
- je nach Dezernat ist man mit Fließbandarbeit beschäftigt
Ich bin dennoch bei der StA geblieben
- Arbeitszeit sinkt mit Erfahrung auf vollkommen annehmbare Zeiten, Einteilung ist flexibel
- in der tatsächlichen Arbeit ist man genau so unabhängig wie Richter, Weisungen oder Marschrichtungen habe ich noch nie erhalten
- es ist wesentlich kommunikativer als die Arbeit am Gericht (wobei der hauptsächliche Kontakt aber zur Polizei besteht)
- man bekommt keinen fertigen Sachverhalt sondern kann ihn erst noch ermitteln
- die Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sind für die StA enorm
- es kommt keine Routine auf, jeder Fall hat seine rechtlichen/tatsächlichen Schwierigkeiten (stark dezernatsabhängig)
Vieles davon ist subjektiv, es ja hängt auch viel von der Behörde und den Kollegen ab.
07.05.2021, 07:46
Als Ex-Staatsanwalt und jetziger Richter:
Deiner Frage entnehme ich, dass in Deinem Bundesland die Laufbahnen getrennt sind und Du dich von vornherein entscheiden musst.
Für die StA gilt in der Tat, was schon gesagt worden ist: kommunikativer, mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Alles Weitere kommt auf Behörde und Abteilung an: wenn es gut läuft, ist man als Team unterwegs (kein Grundrecht auf den gesetzlichen Richter verhindert, dem stark belasteten Kollegen ein paar Verfahren abzunehmen!), hinsichtlich der Unabhängigkeit an die des Richters angenähert (da von Gegenzeichnungspflicht befreit oder mehr als Qualitätskontrolle verstanden) und muss sich anders als als Richter nicht mit Unsinn auseinandersetzen (153 StPO). Jedenfalls in BW gibt es außerdem einen Haufen EStA-Stellen, ist also finanziell etwas attraktiver.
Deiner Frage entnehme ich, dass in Deinem Bundesland die Laufbahnen getrennt sind und Du dich von vornherein entscheiden musst.
Für die StA gilt in der Tat, was schon gesagt worden ist: kommunikativer, mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Alles Weitere kommt auf Behörde und Abteilung an: wenn es gut läuft, ist man als Team unterwegs (kein Grundrecht auf den gesetzlichen Richter verhindert, dem stark belasteten Kollegen ein paar Verfahren abzunehmen!), hinsichtlich der Unabhängigkeit an die des Richters angenähert (da von Gegenzeichnungspflicht befreit oder mehr als Qualitätskontrolle verstanden) und muss sich anders als als Richter nicht mit Unsinn auseinandersetzen (153 StPO). Jedenfalls in BW gibt es außerdem einen Haufen EStA-Stellen, ist also finanziell etwas attraktiver.
07.05.2021, 07:48
Achso, und Richter ist natürlich ebenso ein sehr schöner Beruf. Ich weiß nicht, wo (welches Bundesland?) die Horrorgeschichten hier immer herkommen.
07.05.2021, 09:01
(07.05.2021, 07:48)Praktiker schrieb: Achso, und Richter ist natürlich ebenso ein sehr schöner Beruf. Ich weiß nicht, wo (welches Bundesland?) die Horrorgeschichten hier immer herkommen.
Beispielsweise aus Berlin. Wenn man in Berlin Ref gemacht hat lernt man früher oder später den ein oder anderen kaputten Staatsanwalt kennen, der sich bei jungen Leuten gern über die Zustände der Justiz auslässt und meint er wäre nur deshalb damals nicht nach Brandenburg gegangen, weil das noch ein anderer Staat war.
07.05.2021, 09:17
Also bei der StA meiner Ausbildung gab es jedes Jahr ca. 45000 Akten, aufgetailt auf ca. 80 Amts- und Staatsanwälte.
Das macht round about 550 Akten pro Person pro Jahr.
Mal unabhängig vom Anklage schreiben oder dergleichen weiß ich z.B. nicht wie viel Arbeit das im Schnitt wirklich ist. Es sieht nach sehr viel aus und ich persönlich würde mir dann unter dem Zeitdruck um die Qualität der Arbeit etwas Sorgen machen. Vorallem kann ich den Ermittlungsaufwand nicht einschätzen, da ich natürlich in der Ausbildung immer entscheidungsreife Akten bekommen habe. Auch gruselt es mich ein wenig vor der Verfügungstechnik, die faktisch unbekannt geblieben ist, da man die bei uns jedenfalls auch nicht fürs Examen gebraucht hat.
Das macht round about 550 Akten pro Person pro Jahr.
Mal unabhängig vom Anklage schreiben oder dergleichen weiß ich z.B. nicht wie viel Arbeit das im Schnitt wirklich ist. Es sieht nach sehr viel aus und ich persönlich würde mir dann unter dem Zeitdruck um die Qualität der Arbeit etwas Sorgen machen. Vorallem kann ich den Ermittlungsaufwand nicht einschätzen, da ich natürlich in der Ausbildung immer entscheidungsreife Akten bekommen habe. Auch gruselt es mich ein wenig vor der Verfügungstechnik, die faktisch unbekannt geblieben ist, da man die bei uns jedenfalls auch nicht fürs Examen gebraucht hat.
07.05.2021, 09:42
Bei uns sind es fast doppelt so viele Akten pro Kopf ;)
07.05.2021, 09:45
Gibt es hier jemanden, der erfolgreich einen Laufbahnwechsel von der StA zur Richterschaft (NRW) gemacht hat und hier über die Erfahrungen berichten könnte?
07.05.2021, 10:48
(07.05.2021, 09:17)Gast schrieb: Also bei der StA meiner Ausbildung gab es jedes Jahr ca. 45000 Akten, aufgetailt auf ca. 80 Amts- und Staatsanwälte.
Das macht round about 550 Akten pro Person pro Jahr.
Mal unabhängig vom Anklage schreiben oder dergleichen weiß ich z.B. nicht wie viel Arbeit das im Schnitt wirklich ist. Es sieht nach sehr viel aus und ich persönlich würde mir dann unter dem Zeitdruck um die Qualität der Arbeit etwas Sorgen machen. Vorallem kann ich den Ermittlungsaufwand nicht einschätzen, da ich natürlich in der Ausbildung immer entscheidungsreife Akten bekommen habe. Auch gruselt es mich ein wenig vor der Verfügungstechnik, die faktisch unbekannt geblieben ist, da man die bei uns jedenfalls auch nicht fürs Examen gebraucht hat.
Wenn man bedenkt, dass nicht jede akte mega umfangreich sein muss/ist, sind 550/Person. Jetzt nicht so viel. Das sind mit Urlaub eingeplant, 2 am Tag.
07.05.2021, 12:18
(07.05.2021, 10:48)Gast schrieb:(07.05.2021, 09:17)Gast schrieb: Also bei der StA meiner Ausbildung gab es jedes Jahr ca. 45000 Akten, aufgetailt auf ca. 80 Amts- und Staatsanwälte.
Das macht round about 550 Akten pro Person pro Jahr.
Mal unabhängig vom Anklage schreiben oder dergleichen weiß ich z.B. nicht wie viel Arbeit das im Schnitt wirklich ist. Es sieht nach sehr viel aus und ich persönlich würde mir dann unter dem Zeitdruck um die Qualität der Arbeit etwas Sorgen machen. Vorallem kann ich den Ermittlungsaufwand nicht einschätzen, da ich natürlich in der Ausbildung immer entscheidungsreife Akten bekommen habe. Auch gruselt es mich ein wenig vor der Verfügungstechnik, die faktisch unbekannt geblieben ist, da man die bei uns jedenfalls auch nicht fürs Examen gebraucht hat.
Wenn man bedenkt, dass nicht jede akte mega umfangreich sein muss/ist, sind 550/Person. Jetzt nicht so viel. Das sind mit Urlaub eingeplant, 2 am Tag.
Nur das du jede Akte natürlich mehrmals vorgelegt bekommst und Vollstreckungsakten und sonstige Akten, liegen gebliebene Entscheidungen über Asservate etc hinzukommen...
Mir wurden Im Schnitt 50 - 80 Akten pro Tag vorgelegt (auch an Sitzungstagen).
Diese arbeitet man ab. Alleine (positiv auch in alleiniger Verantwortung). Am PC. Jeden Tag.
Und wenn mit "kommunikativer" Job gemeint ist, dass man ein bis zwei Mal am Tag Mit der Polizei telefoniert, naja. Mehr Kommunikation im beruflichen Teil ist nämlich nicht.
Zu Durchsuchungen etc geht man nicht, auch befragt man keine Zeugen selbst oder sowas. Der Job besteht an 4,5 Tagen aus dem Abarbeiten von Akten und an 0,5 Tagen aus Sitzungen.