24.01.2025, 15:52
Hallo ihr Lieben,
vielleicht gibt es einen kleinen öR-Profi unter euch, der mir vielleicht bei einer Frage rund um die Ermessensreduzierung auf 0 (nachfolgend: E0) helfen kann.
Folgendes:
Soweit ich es richtig verstanden habe, ist eine E0 immer dann gegeben, wenn besondere Schutzgüter wie Leib, Leben, Freiheit etc. betroffen sind und in der Abwägung überwiegen (im PolizeiR).
Ansonsten ist eine E0 auf Null ja auch in manchen Fällen nach hM anerkannt (z.B. baurechtlicher Nachbarschutz).
Jetzt habe ich ein Urteil (VG Gelsenkirchen vom 11.10.2017 - 17 K 4566/16, https://openjur.de/u/2154745.html ) gefunden. Da heißt es auszugsweise (Rn. 96):
"Zwar räumt die Vorschrift der Behörde Ermessen ein; bei einem vorangegangenen Widerruf der Genehmigung zum Verkehr mit Taxen wegen fehlender Zuverlässigkeit des Unternehmers reduziert sich das behördliche Ermessen aber im Regelfall auf die Betriebseinstellung als einzig sachgerechte Entscheidung (sog. Ermessensreduzierung auf Null)."
(In der Entscheidung ging es zunächst um den Widerruf der Taxikonzession - diese wurde aufgrund der mangelnden Zuverlässigkeit auch widerrufen; der zweite Antrag betraf dann die Betriebseinstellung)
Die Entscheidung klingt für mich völlig plausibel. Ich versuche nur das "WARUM" (die Argumentation dahinter zu verstehen). Vielleicht kann mir dabei jemand helfen?
Ich habe mal den VwGO-Kommentar dazu durchgeblättert und verstehe es so, dass eine weitere Fallgruppe der E0 vorliegt, wenn das Gericht in der Sache zwei Entscheidungen treffen muss, die in der Sache den gleichen Sachverhalt betreffen (und im wesentlichen auch eine ähnliche Rechtsfolge?).
Dann besteht für das Gericht, wenn keine neuen Tatsachen hinzutreten, die abwägungsrelevant sind, eine E0? Und was sind dann die Gründe? Erzielung der Einheitlichkeit der Entscheidung? Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 I GG)?
In der Klausur müsste ich ja ggf. argumentieren warum eine E0 angenommen wird?
Ich bin wirklich kein öR-Profi und würde mich sehr über euren Input freuen!
Danke und liebe Grüße
vielleicht gibt es einen kleinen öR-Profi unter euch, der mir vielleicht bei einer Frage rund um die Ermessensreduzierung auf 0 (nachfolgend: E0) helfen kann.
Folgendes:
Soweit ich es richtig verstanden habe, ist eine E0 immer dann gegeben, wenn besondere Schutzgüter wie Leib, Leben, Freiheit etc. betroffen sind und in der Abwägung überwiegen (im PolizeiR).
Ansonsten ist eine E0 auf Null ja auch in manchen Fällen nach hM anerkannt (z.B. baurechtlicher Nachbarschutz).
Jetzt habe ich ein Urteil (VG Gelsenkirchen vom 11.10.2017 - 17 K 4566/16, https://openjur.de/u/2154745.html ) gefunden. Da heißt es auszugsweise (Rn. 96):
"Zwar räumt die Vorschrift der Behörde Ermessen ein; bei einem vorangegangenen Widerruf der Genehmigung zum Verkehr mit Taxen wegen fehlender Zuverlässigkeit des Unternehmers reduziert sich das behördliche Ermessen aber im Regelfall auf die Betriebseinstellung als einzig sachgerechte Entscheidung (sog. Ermessensreduzierung auf Null)."
(In der Entscheidung ging es zunächst um den Widerruf der Taxikonzession - diese wurde aufgrund der mangelnden Zuverlässigkeit auch widerrufen; der zweite Antrag betraf dann die Betriebseinstellung)
Die Entscheidung klingt für mich völlig plausibel. Ich versuche nur das "WARUM" (die Argumentation dahinter zu verstehen). Vielleicht kann mir dabei jemand helfen?
Ich habe mal den VwGO-Kommentar dazu durchgeblättert und verstehe es so, dass eine weitere Fallgruppe der E0 vorliegt, wenn das Gericht in der Sache zwei Entscheidungen treffen muss, die in der Sache den gleichen Sachverhalt betreffen (und im wesentlichen auch eine ähnliche Rechtsfolge?).
Dann besteht für das Gericht, wenn keine neuen Tatsachen hinzutreten, die abwägungsrelevant sind, eine E0? Und was sind dann die Gründe? Erzielung der Einheitlichkeit der Entscheidung? Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 I GG)?
In der Klausur müsste ich ja ggf. argumentieren warum eine E0 angenommen wird?
Ich bin wirklich kein öR-Profi und würde mich sehr über euren Input freuen!
Danke und liebe Grüße

24.01.2025, 18:10
Was Du aus dem Kommentar herausliest, klingt sehr merkwürdig. Das kann so nicht stimmen.
Letztlich ist es doch ganz einfach: das Ermessen ist auf Null reduziert, wenn jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre. Wenn jemand anerkanntermaßen so unzuverlässig ist, dass er die Konzession verliert, wäre es ja widersprüchlich, wenn er dennoch weitermachen dürfte. Meinst Du das mit den zwei Sachverhalten?
Letztlich ist es doch ganz einfach: das Ermessen ist auf Null reduziert, wenn jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre. Wenn jemand anerkanntermaßen so unzuverlässig ist, dass er die Konzession verliert, wäre es ja widersprüchlich, wenn er dennoch weitermachen dürfte. Meinst Du das mit den zwei Sachverhalten?
24.01.2025, 19:37
In dem von dir genannten Urteil verweist das Gericht ja weiter noch auf Hessischer VGH, Beschluss vom 20. Februar 1996, 14 TG 430/95, juris, Rn. 15.
Dort wird das eigentlich ganz gut erklärt:
"Für eine behördliche Maßnahme nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO wird der Behörde zwar ein Ermessen eingeräumt; im inhaltlichen Zusammenhang mit einem vorangegangenen Widerruf der Gaststättenerlaubnis nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG wegen mangelnder Zuverlässigkeit des Gaststättenbetreibers reduziert sich das behördliche Ermessen aber im Regelfall auf die Betriebseinstellung als einzig sachgerechte Entscheidung (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Eine Zusammenschau der zitierten Vorschriften ergibt, daß bei vollziehbarem Konzessionsentzug wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden die Behörde den weiteren Betrieb der Gaststätte wegen dessen formeller und materieller Illegalität regelmäßig nicht dulden kann, da eine baldige Bereinigung dieses rechtswidrigen Zustandes wegen der im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu treffenden Unzuverlässigkeitsprognose gerade nicht zu erwarten ist. Liegen keine besonderen Umstände vor, die der Behörde (ausnahmsweise) eine andere Entscheidungsmöglichkeit eröffnen, ist die Einstellung des Betriebes die vom Gesetz vorgezeichnete behördliche Entscheidung (sogenannte intendierte Ermessensentscheidung)."
Ist zwar etwas widersprüchlich weil intendiertes Ermessen etwas anderes ist als Ermessensreduzierung auf 0, aber das Ergebnis ist klar: wenn wegen Unzuverlässigkeit die Genehmigung widerrufen wurde, wird auch die Betriebseinstellung verfügt.
Dort wird das eigentlich ganz gut erklärt:
"Für eine behördliche Maßnahme nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO wird der Behörde zwar ein Ermessen eingeräumt; im inhaltlichen Zusammenhang mit einem vorangegangenen Widerruf der Gaststättenerlaubnis nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG wegen mangelnder Zuverlässigkeit des Gaststättenbetreibers reduziert sich das behördliche Ermessen aber im Regelfall auf die Betriebseinstellung als einzig sachgerechte Entscheidung (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Eine Zusammenschau der zitierten Vorschriften ergibt, daß bei vollziehbarem Konzessionsentzug wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden die Behörde den weiteren Betrieb der Gaststätte wegen dessen formeller und materieller Illegalität regelmäßig nicht dulden kann, da eine baldige Bereinigung dieses rechtswidrigen Zustandes wegen der im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu treffenden Unzuverlässigkeitsprognose gerade nicht zu erwarten ist. Liegen keine besonderen Umstände vor, die der Behörde (ausnahmsweise) eine andere Entscheidungsmöglichkeit eröffnen, ist die Einstellung des Betriebes die vom Gesetz vorgezeichnete behördliche Entscheidung (sogenannte intendierte Ermessensentscheidung)."
Ist zwar etwas widersprüchlich weil intendiertes Ermessen etwas anderes ist als Ermessensreduzierung auf 0, aber das Ergebnis ist klar: wenn wegen Unzuverlässigkeit die Genehmigung widerrufen wurde, wird auch die Betriebseinstellung verfügt.
24.01.2025, 20:18
1. Vermutlich nur sprachlich unsauber, aber für das GERICHT ist das Ermessen nicht reduziert. Es wird überprüft (Maßstab 114 Satz 1 VwGO), ob die Behörde ihr Ermessen (40 VwVfG) richtig ausgeübt hat. Das ist ein leider auch immer wieder anzutreffender sprachlicher Lapsus in Examensklausuren.
2. Grds hast du das schon richtig verstanden mit der Ermessensreduktion auf Null. Faktisch relevant ist das nur/vorwiegend, wenn der Kläger vorbringt, die Behörde hätte ja auch eine andere mildere Maßnahme treffen können. Wenn dann eine ermessensreduktion auf Null vorliegt, kann man den Einwand so (in der Klausur und in der Praxis) abräumen.
Geht hingegen zB die Behörde in ihrer Entscheidung von einer Ermessensreduktion auf Null aus, liegt eine solche aber nicht vor, kann darin ein Ermessensfehler (Nichtgebrauch) liegen. Insofern ist es durchaus relevant zu wissen, was eine Ermessensreduktion vorliegt. Den Maßstab hat @Praktiker knapp und zutreffend formuliert.
3. Die erwähnte Entscheidung formuliert (mE jedenfalls) unsauber, weil hier keine Ermessensreduktion auf Null vorliegt oder gar vom Gericht angenommen wird, sondern ein intendiertes Ermessen. Das ist rechtsdogmatisch “ganz böse”, aber in mehreren Fallkonstellationen anerkannt. Intendiertes Ermessen ist jedoch nur eine Begründungserleichterung. Weil die eine Handlungsoption so naheliegend ist (bspw Widerruf bei zweckwidrig verwendeten Subventionen, 49 Abs. 3 VwVfG), muss die Behörde ihre Ermessenserwägungen nicht weiter ausführen. Sie muss aber prüfen, ob eine Atypik vorliegt. Mit Ermessensreduktion auf Null hat das aber (dogmatisch gesehen) nichts zu tun.
2. Grds hast du das schon richtig verstanden mit der Ermessensreduktion auf Null. Faktisch relevant ist das nur/vorwiegend, wenn der Kläger vorbringt, die Behörde hätte ja auch eine andere mildere Maßnahme treffen können. Wenn dann eine ermessensreduktion auf Null vorliegt, kann man den Einwand so (in der Klausur und in der Praxis) abräumen.
Geht hingegen zB die Behörde in ihrer Entscheidung von einer Ermessensreduktion auf Null aus, liegt eine solche aber nicht vor, kann darin ein Ermessensfehler (Nichtgebrauch) liegen. Insofern ist es durchaus relevant zu wissen, was eine Ermessensreduktion vorliegt. Den Maßstab hat @Praktiker knapp und zutreffend formuliert.
3. Die erwähnte Entscheidung formuliert (mE jedenfalls) unsauber, weil hier keine Ermessensreduktion auf Null vorliegt oder gar vom Gericht angenommen wird, sondern ein intendiertes Ermessen. Das ist rechtsdogmatisch “ganz böse”, aber in mehreren Fallkonstellationen anerkannt. Intendiertes Ermessen ist jedoch nur eine Begründungserleichterung. Weil die eine Handlungsoption so naheliegend ist (bspw Widerruf bei zweckwidrig verwendeten Subventionen, 49 Abs. 3 VwVfG), muss die Behörde ihre Ermessenserwägungen nicht weiter ausführen. Sie muss aber prüfen, ob eine Atypik vorliegt. Mit Ermessensreduktion auf Null hat das aber (dogmatisch gesehen) nichts zu tun.