09.10.2020, 18:11
Finde das ehrlich gesagt erschreckend, wie wenig das Thema hier manche interessiert. Als Richter verstehe ich das, da soll man sich ja objektiv vom Recht leiten lassen. Aber als Anwalt? Da hat man schon eine Wahl, was man macht. Man kann also Anwalt ziemlich großen Schaden anrichten oder sinnvolle Dinge erreichen. Wenn man sich darauf zurückzieht, man würde halt gesetzliche Spielräume ausnutzen, macht man sich unnötig klein. Mein ehemaliger Cheg zB (GK-Partner) ist ein brillanter Jurist und hat mE moralisch eher fragwürdige Mandate gemacht. Die Verfahren, die er gewonnen hat, hätte nicht jeder gewonnen. Und hätte er sich auf die andere Seite gestellt, dann hätte er dort viel Gutes bewirken können. Also, für mich war das bei der Wahl der Stelle eine ganz wesentliche Erwägung und ich kann sehr gut von meiner Tätigkeit leben, werde aber wohl kein Millionär. Dafür kann ich mir am Ende meiner Berufstätigkeit sagen, dass ich etwas sinnvolles gemacht habe.
09.10.2020, 19:54
Im Rechtsstaat gibt es keine verbindliche Moral. Das kann in einer offenen Gesellschaft, deren eines Fundament der Rechtsstaat ist, auch nicht anders sein. Ich halte es auch deswegen für zweifelhaft, juristische Berufsoptionen moralisch (oder auch mit Sinnfragen) aufzuladen. Meine Motivation für das Richteramt war eher, dass ich durch die damit einhergehende Unabhängigkeit, auch geistig und zeitlich unabhängig bleibe, daneben mich Dingen widmen zu können, die ich zum Beispiel für moralisch wertvoll halte, Stichwort ehrenamtliches Engagement. Das wäre in einer Anwaltstätigkeit jedenfalls in einer GK aufgrund der Zuarbeitsstruktur und der Abhängigkeit vom Mandanten aus meiner Sicht so nicht möglich. Es geht also nicht so sehr um die Tätigkeit selbst, sondern um dasjenige, was die Tätigkeit ermöglicht.
10.10.2020, 09:01
(09.10.2020, 01:09)Gast schrieb: Also um hier auch mal die andere Seiten zu vertreten: Ich hab mich mit Noten, die für wahrscheinlich jeden anderen Job (außer vielleicht Nur-Notariat) gereicht hätten, bewusst dazu entschieden, in einer kleinen Kanzlei zu arbeiten, die sich hauptsächlich mit so gewinnbringenden Thematiken wie Migrationsrecht, Sozialrecht und Strafrecht beschäftigt. Aber eigentlich sind wir FWW für finanziell schwache Mandanten. Ich hab angefangen Jura zu studieren, um etwas gegen Ungerechtigkeit zu tun und Menschen zu helfen, die ansonsten mit unserem Rechtssystem überfordert wären.
Der Job ist oft frustrierend, anstrengend und nicht besonders gut bezahlt (gerade im Vergleich zu dem was möglich gewesen wäre), aber er ist auch immer wieder unglaublich erfüllend. Einer 18-jährigen, die in ihrem Heimatland genitalverstümmelt wurde, ohne ihre Eltern monatelang durch die Welt gereist ist und seitdem in jeder Sekunde Angst hat, wieder ach Hause zu müssen, sagen zu können, dass sie als Flüchtling anerkannt wurde und hierbleiben darf, gibt mir persönlich so viel mehr als dass ich mir ein schönes Haus kaufen kann oder Urlaub im Luxushotel. Da ist mir der Bulli eh lieber.
Ich finde, wenn man wie wir den Luxus genossen hat, sehr lange auf Kosten der Allgemeinheit ausgebildet zu werden, dafür teilweise sogar bezahlt zu werden, sollte man dafür auch irgendwas zurück geben. Steuern sind da natürlich ein Weg, aber auch eine Selbstverständlichkeit und nicht wirklich ausreichend. Man sollte den Anspruch haben, die Gesellschaft oder auch nur das Leben Einzelner, die es alleine nicht schaffen, besser zu machen. Und man sollte die Verantwortung für sein Handeln übernehmen, was bedeutet, dass man sich durch die Mitarbeit an bestimmten Mandaten eben auch mit der jeweiligen Sache gemein macht...ob man will oder nicht.
Interessanter Beitrag! Auf der einen Seite halte ich Deine Einstellung für extrem naiv. Auf der anderen Seite bewundere (und beneide) ich es auch iwie, dass Du Dir Deinen Idealismus so erhalten hast!
10.10.2020, 09:39
Wes Lied ich sing, des Brot ich ess.
10.10.2020, 09:40
im Job ist mir Moral egal. Moral gibts im Privatleben und der Kirche.
10.10.2020, 10:05
(10.10.2020, 09:01)Ernüchtert schrieb:(09.10.2020, 01:09)Gast schrieb: Also um hier auch mal die andere Seiten zu vertreten: Ich hab mich mit Noten, die für wahrscheinlich jeden anderen Job (außer vielleicht Nur-Notariat) gereicht hätten, bewusst dazu entschieden, in einer kleinen Kanzlei zu arbeiten, die sich hauptsächlich mit so gewinnbringenden Thematiken wie Migrationsrecht, Sozialrecht und Strafrecht beschäftigt. Aber eigentlich sind wir FWW für finanziell schwache Mandanten. Ich hab angefangen Jura zu studieren, um etwas gegen Ungerechtigkeit zu tun und Menschen zu helfen, die ansonsten mit unserem Rechtssystem überfordert wären.
Der Job ist oft frustrierend, anstrengend und nicht besonders gut bezahlt (gerade im Vergleich zu dem was möglich gewesen wäre), aber er ist auch immer wieder unglaublich erfüllend. Einer 18-jährigen, die in ihrem Heimatland genitalverstümmelt wurde, ohne ihre Eltern monatelang durch die Welt gereist ist und seitdem in jeder Sekunde Angst hat, wieder ach Hause zu müssen, sagen zu können, dass sie als Flüchtling anerkannt wurde und hierbleiben darf, gibt mir persönlich so viel mehr als dass ich mir ein schönes Haus kaufen kann oder Urlaub im Luxushotel. Da ist mir der Bulli eh lieber.
Ich finde, wenn man wie wir den Luxus genossen hat, sehr lange auf Kosten der Allgemeinheit ausgebildet zu werden, dafür teilweise sogar bezahlt zu werden, sollte man dafür auch irgendwas zurück geben. Steuern sind da natürlich ein Weg, aber auch eine Selbstverständlichkeit und nicht wirklich ausreichend. Man sollte den Anspruch haben, die Gesellschaft oder auch nur das Leben Einzelner, die es alleine nicht schaffen, besser zu machen. Und man sollte die Verantwortung für sein Handeln übernehmen, was bedeutet, dass man sich durch die Mitarbeit an bestimmten Mandaten eben auch mit der jeweiligen Sache gemein macht...ob man will oder nicht.
Interessanter Beitrag! Auf der einen Seite halte ich Deine Einstellung für extrem naiv. Auf der anderen Seite bewundere (und beneide) ich es auch iwie, dass Du Dir Deinen Idealismus so erhalten hast!
Wo ist da die Naivität? Er sagt ja, die Arbeit sei anstrengend und frustrierend. Ist es nicht geradezu hartgesotten, eine Überzeugung zu bilden und sie, komme was wolle, umzusetzen?
10.10.2020, 10:08
10.10.2020, 10:18
Moral muss man sich leisten können. Das ist nur was für Reiche und Erben.
Ich erarbeite mir mein Geld selbst. Jetzt heißt es erstmal in der Großkanzlei malochen.
Ich erarbeite mir mein Geld selbst. Jetzt heißt es erstmal in der Großkanzlei malochen.
10.10.2020, 10:20
(10.10.2020, 10:08)Gast Gast schrieb:Nee, das passt schon so. Man will ja nicht jedes Brot essen. Nur wer einen guten Song zum Mitsingen vorschlägt, darf auch erwarten, dass man seine Stulle annimmt.(10.10.2020, 09:39)Gast schrieb: Wes Lied ich sing, des Brot ich ess.
Geht der Spruch nicht andersrum :D
10.10.2020, 11:45
(09.10.2020, 17:51)Gast23 schrieb: Also als Jurist in der Justiz finde ich es sogar wichtig meine Moral aus meinen Entscheidung raus zu lassen.Welcher Rechtssatz ist es denn genau, der den Strafrichter dazu zwingen würde, "einen Drogensüchtigen nach dem 18ten BZR Eintrag wegen eines weiteren Diebstahls für 10 Monate in den Knast zu schicken"? Wäre mir nicht bekannt, es hat sich nur einfach so eingebürgert, dass man Menschen für die 18. Tat härter bestraft als für die erste. Aus § 46 StGB ergibt sich aber nichts derartiges. Also ist der ganze Kram von der "Anwendung demokratisch legitimierter Rechtssätze" ziemlicher Quatsch. Man macht einfach, was alle anderen machen, weil man so am bequemsten aus der Nummer rauskommt und -zugegeben- als Strafrichter gar nicht die Zeit hat, auf jeden Einzellfall eines Angeklagten angemessen einzugehen.
90 % von dem was beim Strafrichter verhandelt wird halte ich moralisch für nicht strafwürdig.
Auch finde ich es moralisch nicht richtig einen Drogensüchtigen nach dem 18ten BZR Eintrag wegen eines weiteren Diebstahls für 10 Monate in den Knast zu schicken.
Aber ich bin ja nicht von Gottes Gnaden ernannt sondern bin lediglich Anwender von demokratisch legitimierten Rechtssätzen und an diese (Recht) halt auch gebunden. Die Moral, auch nach Radbruch, kommt da erst in ectremfällen zur Anwendung, die wir alle hoffentlich nie wieder erleben werden.