03.10.2024, 16:24
Hey,
nehmen wir an, in einem vorangegangenen Prozess hat der jetzige Kläger eine Aufrechnung erfolglos erklärt. Jetzt will er aber den Restbetrag einklagen, wo ist das dann eine etwaige entgegenstehende Rechtskraft in diesem Verfahren zu prüfen und warum?
Insbesondere verstehe ich folgenden Vorschlag nicht: Wird eine Klage iHv 2000,- EUR voll zugesprochen und die mithilfe der Aufrechnung geltend gemachte Gegenforderung (insgesamt 4000,- EUR) abgewiesen, soll in einem Nachfolgeprozess, in dem der damalige Beklagte nun die restlichen 2000,- EUR geltend macht, das Problem in der Zulässigkeit und der Begründet angesprochen werden. In dem Fall aber, dass die Klageforderung infolge der Aufrechnung erloschen sei und der Beklagte nun die restlichen 2000,- EUR geltend macht, soll es nur ein Problem der Begründetheit sein.
Danke Euch!
nehmen wir an, in einem vorangegangenen Prozess hat der jetzige Kläger eine Aufrechnung erfolglos erklärt. Jetzt will er aber den Restbetrag einklagen, wo ist das dann eine etwaige entgegenstehende Rechtskraft in diesem Verfahren zu prüfen und warum?
Insbesondere verstehe ich folgenden Vorschlag nicht: Wird eine Klage iHv 2000,- EUR voll zugesprochen und die mithilfe der Aufrechnung geltend gemachte Gegenforderung (insgesamt 4000,- EUR) abgewiesen, soll in einem Nachfolgeprozess, in dem der damalige Beklagte nun die restlichen 2000,- EUR geltend macht, das Problem in der Zulässigkeit und der Begründet angesprochen werden. In dem Fall aber, dass die Klageforderung infolge der Aufrechnung erloschen sei und der Beklagte nun die restlichen 2000,- EUR geltend macht, soll es nur ein Problem der Begründetheit sein.
Danke Euch!
03.10.2024, 16:57
Im ersten Fall: Klage über 2000 EUR. Aufrechnung mit 4000 EUR erklärt, aber trotzdem Klagebeitrag iHv 2000 EUR zugesprochen.
Hier folgt aus § 322 II ZPO, dass das Gericht rechtskräftig festgestellt, dass der Beklagte die behauptete Forderung nicht hat, undzwar überhaupt nicht. Denn sonst wäre jedenfalls ein Teil aufgerechnet worden.
Wenn der Beklagte jetzt selbst seine im Vorprozess im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Forderung einklagen will, dann steht die rechtskräftige Entscheidung über die Forderung durch den Vorprozess dem entgegen (= wegen § 322 II ZPO erstreckt sich die materielle Rechtskraft eben über den Tenor, § 322 I ZPO, hinaus auch auf die im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Forderung). Sofern es sich also um dieselbe Forderung handelt, ist die Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Entgegenstehende (materielle) Rechtskraft ist immer eine Frage der Zulässigkeit. Deswegen macht es ja auch einen Unterschied, ob ein Prozess- oder ein Sachurteil ergeht; denn ersteres entfaltet lediglich formelle Rechtskraft und steht damit einer erneuten Klage nicht entgegen, das Sachurteil hingegen entfaltet auch materielle Rechtkraft, § 322 I ZPO, sodass eine weiter Klage wegen des gleichen Anspruchs/Streitgegenstands wegen entgegenstehender materieller Rechtskraft unzulässig ist.
Im zweiten Fall: Klage über 2000 EUR, Beklagte erklärt Aufrechnung mit 4000 EURO, Klageforderung erlischt wegen § 389 BGB. Dann hat das Gericht im Rahmen seiner Entscheidungsfindung ja nur darüber entschieden und festgestellt, die vom Beklagten behauptete Forderung besteht und zwar jedenfalls in der Höhe von 2000 EUR.
Wenn der Beklagte jetzt in einem neuen Prozess die übrigen 2000 EUR geltend machen will, dann steht dem jetzt ja keine Rechtskraft entgegen, denn es wurde nur über die ersten 2000 EUR rechtskräftig nach § 322 II ZPO entschieden. Allerdings ist das jetzt natürlich eine Frage der Begründetheit, ob der Beklagte und jetzt Kläger denn die behauptete Forderung iHv weiteren 2000 EUR hat. Im vorherigen Prozess wurde ja nur festgestellt, dass sie jedenfalls in Höhe der ersten 2000 EUR bestand.
Hier folgt aus § 322 II ZPO, dass das Gericht rechtskräftig festgestellt, dass der Beklagte die behauptete Forderung nicht hat, undzwar überhaupt nicht. Denn sonst wäre jedenfalls ein Teil aufgerechnet worden.
Wenn der Beklagte jetzt selbst seine im Vorprozess im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Forderung einklagen will, dann steht die rechtskräftige Entscheidung über die Forderung durch den Vorprozess dem entgegen (= wegen § 322 II ZPO erstreckt sich die materielle Rechtskraft eben über den Tenor, § 322 I ZPO, hinaus auch auf die im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Forderung). Sofern es sich also um dieselbe Forderung handelt, ist die Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Entgegenstehende (materielle) Rechtskraft ist immer eine Frage der Zulässigkeit. Deswegen macht es ja auch einen Unterschied, ob ein Prozess- oder ein Sachurteil ergeht; denn ersteres entfaltet lediglich formelle Rechtskraft und steht damit einer erneuten Klage nicht entgegen, das Sachurteil hingegen entfaltet auch materielle Rechtkraft, § 322 I ZPO, sodass eine weiter Klage wegen des gleichen Anspruchs/Streitgegenstands wegen entgegenstehender materieller Rechtskraft unzulässig ist.
Im zweiten Fall: Klage über 2000 EUR, Beklagte erklärt Aufrechnung mit 4000 EURO, Klageforderung erlischt wegen § 389 BGB. Dann hat das Gericht im Rahmen seiner Entscheidungsfindung ja nur darüber entschieden und festgestellt, die vom Beklagten behauptete Forderung besteht und zwar jedenfalls in der Höhe von 2000 EUR.
Wenn der Beklagte jetzt in einem neuen Prozess die übrigen 2000 EUR geltend machen will, dann steht dem jetzt ja keine Rechtskraft entgegen, denn es wurde nur über die ersten 2000 EUR rechtskräftig nach § 322 II ZPO entschieden. Allerdings ist das jetzt natürlich eine Frage der Begründetheit, ob der Beklagte und jetzt Kläger denn die behauptete Forderung iHv weiteren 2000 EUR hat. Im vorherigen Prozess wurde ja nur festgestellt, dass sie jedenfalls in Höhe der ersten 2000 EUR bestand.
03.10.2024, 21:06
(03.10.2024, 16:57)RefNdsOL schrieb: Im ersten Fall: Klage über 2000 EUR. Aufrechnung mit 4000 EUR erklärt, aber trotzdem Klagebeitrag iHv 2000 EUR zugesprochen.
Hier folgt aus § 322 II ZPO, dass das Gericht rechtskräftig festgestellt, dass der Beklagte die behauptete Forderung nicht hat, undzwar überhaupt nicht. Denn sonst wäre jedenfalls ein Teil aufgerechnet worden.
Sicher? Rechtskraft nicht nur in Höhe der Klageforderung? https://lorenz.userweb.mwn.de/skripten/Aufrechnung.htm
Letztlich ist es doch einfach so: wenn ich zur Entscheidung bringen will, was schon entschieden ist, steht die Rechtskraft entgegen und die Klage ist unzulässig. Wenn es dagegen nur um eine Vorfrage geht, die schon bindend entschieden ist, ist es eine Frage der Begründetheit.
Wo man es in der Klausur anspricht, ist nochmal eine andere Frage: man spricht es ja manchmal auch mit dem Ergebnis an, dass es an der Stelle nicht relevant ist...
03.10.2024, 21:28
Gut, das stimmt. Das ist zwar für mich auch in Teilen nachvollziehbar, weil eben über die Aufrechnung ja nach § 322 II ZPO nur bis zur Höhe in der sie geltend gemacht wird entschieden wird.
Allerdings ergibt es für mich insofern keinen Sinn, weshalb denn dann trotzdem die "restlichen" 2000 EUR der Forderung einklagen können sollte? Denn wenn die begründet wären, dann hätte doch das Prozessgericht des Vorprozesses einfach "diese" 2000 EUR zur Aufrechnung anerkannt. Schließlich ist es ja die gleiche Forderung; es geht nur um die Höhe der Forderung. Kennst du @Praktiker, dafür zufällig eine sinnvolle Begründung? Allein der Wortlaut des § 322 II ZPO?
Soweit ich bislang mal dazu in Literatur geschaut habe, ist sich selbst die Literatur weitgehend einig, dass der Wortlaut des § 322 II ZPO halt komplett unbefriedigend ist, weil er einen kleineren Anwendungsbereich suggeriere als es der Praxis entspreche.
Allerdings ergibt es für mich insofern keinen Sinn, weshalb denn dann trotzdem die "restlichen" 2000 EUR der Forderung einklagen können sollte? Denn wenn die begründet wären, dann hätte doch das Prozessgericht des Vorprozesses einfach "diese" 2000 EUR zur Aufrechnung anerkannt. Schließlich ist es ja die gleiche Forderung; es geht nur um die Höhe der Forderung. Kennst du @Praktiker, dafür zufällig eine sinnvolle Begründung? Allein der Wortlaut des § 322 II ZPO?
Soweit ich bislang mal dazu in Literatur geschaut habe, ist sich selbst die Literatur weitgehend einig, dass der Wortlaut des § 322 II ZPO halt komplett unbefriedigend ist, weil er einen kleineren Anwendungsbereich suggeriere als es der Praxis entspreche.
04.10.2024, 11:23
(03.10.2024, 21:28)RefNdsOL schrieb: Gut, das stimmt. Das ist zwar für mich auch in Teilen nachvollziehbar, weil eben über die Aufrechnung ja nach § 322 II ZPO nur bis zur Höhe in der sie geltend gemacht wird entschieden wird.
Allerdings ergibt es für mich insofern keinen Sinn, weshalb denn dann trotzdem die "restlichen" 2000 EUR der Forderung einklagen können sollte? Denn wenn die begründet wären, dann hätte doch das Prozessgericht des Vorprozesses einfach "diese" 2000 EUR zur Aufrechnung anerkannt. Schließlich ist es ja die gleiche Forderung; es geht nur um die Höhe der Forderung. Kennst du @Praktiker, dafür zufällig eine sinnvolle Begründung? Allein der Wortlaut des § 322 II ZPO?
Soweit ich bislang mal dazu in Literatur geschaut habe, ist sich selbst die Literatur weitgehend einig, dass der Wortlaut des § 322 II ZPO halt komplett unbefriedigend ist, weil er einen kleineren Anwendungsbereich suggeriere als es der Praxis entspreche.
Beim Wortlaut ist vor allem das Problem, dass nur das Nichtbestehen der Gegenforderung genannt ist, erst Recht aber das Nichtmehrbestehen in Folge wirksamer Aufrechnung gemeint ist.
Was die Teilbeträge angeht, würde ich es so herleiten:
322 I regelt Klage und Widerklage.
Anstatt widerklagend, kann eine Gegenforderung aber auch durch Aufrechnung in den Rechtsstreit eingebracht werden. Für diesen Fall, in dem die Forderung an sich nicht eingeklagt wird, erstreckt Absatz 2 die Rechtskraft.
Aber das geht eben nicht weiter als nach Absatz 1. Wenn ich gegen eine Klageforderung von 2.000 Euro Widerklage erhebe und nur 2.000 Euro geltend mache, obwohl die Gegenforderung 4.000 Euro beträgt, dann würde wegen der Teilwiderklage auch nur die Entscheidung über 2.000 Euro in Rechtskraft erwachsen und insbesondere nicht die Vorfrage, ob die ganze Forderung dem Grunde nach überhaupt besteht. Wenn der Kläger das erzwingen will, muss er nämlich Zwischenfeststellungsklage erheben.
Wenn das aber nach Absatz 1 so ist, dann erst Recht, wenn die Gegenforderung gar nicht Streitgegenstand war, sondern nur mit ihr aufgerechnet wurde. Was für den die Klageforderung übersteigenden Teil gilt, kann auch dann nur rechtskräftig festgestellt werden, wenn Feststellungsantrag gestellt wird.
04.10.2024, 12:03
Achso, gut, das war mir ehrlicherweise nicht so richtig bewusst, dass § 322 II ZPO keine Rechtskraft über den Grund der Forderung bewirkt und daher eben auch ein weiterer Teil dann noch nachträglich aus dem gleiche Grund eingeklagt werden könnte. Das hätte man mE prozessökonomisch sinnvoller lösen können, aber womöglich hat es so auch seine Vorteile und man hat das füreinander abgewogen.
Etwas anderes wäre dann, wie du sagst, wenn du der Beklagte Widerklage erheben und Antrag nach § 256 II ZPO stellen würde (oder halt der Kläger). Schließt denn das feststellungsfähige Rechtsverhältnis, dass wohl in der Verpflichtung des Drittschuldners gegenüber dem Beklagten zu sehen sein wird, dann auch die Höhe dieser Verpflichtung mit ein?
Ich nehme mal an, dass das zu bejahen ist, da andernfalls ja die die Vss des § 256 II ZPO "[...]ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt[...]" nicht vorläge. Denn die Entscheidung des Rechtsstreites hängt von dem Bestehen der Forderung ab, das schließt im Fall der Zahlungsklage aber auch die Höhe der Forderung mit ein. Denn im Fall der Zahlungsklage muss nicht nur über die Zahlungsverpflichtung des Beklagten, sondern auch die Höhe entschieden werden. Die Höhe der festzustellenden Forderung beeinflusst wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Aufrechnung nach § 389 BGB die Höhe der dem Kläger zustehenden Forderung.
Etwas anderes wäre dann, wie du sagst, wenn du der Beklagte Widerklage erheben und Antrag nach § 256 II ZPO stellen würde (oder halt der Kläger). Schließt denn das feststellungsfähige Rechtsverhältnis, dass wohl in der Verpflichtung des Drittschuldners gegenüber dem Beklagten zu sehen sein wird, dann auch die Höhe dieser Verpflichtung mit ein?
Ich nehme mal an, dass das zu bejahen ist, da andernfalls ja die die Vss des § 256 II ZPO "[...]ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt[...]" nicht vorläge. Denn die Entscheidung des Rechtsstreites hängt von dem Bestehen der Forderung ab, das schließt im Fall der Zahlungsklage aber auch die Höhe der Forderung mit ein. Denn im Fall der Zahlungsklage muss nicht nur über die Zahlungsverpflichtung des Beklagten, sondern auch die Höhe entschieden werden. Die Höhe der festzustellenden Forderung beeinflusst wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Aufrechnung nach § 389 BGB die Höhe der dem Kläger zustehenden Forderung.
04.10.2024, 12:37
Genau, die Abwägung des Gesetzgebers ging dahin, nach 322 I nur die Entscheidung über den Streitgegenstand in Rechtskraft erwachsen zu lassen, um es der Parteiautonomie zu überlassen, ob nach 256 II Weiteres herbeigeführt wird. Und das gilt dann eben ganz parallel für 322 II.
Wie man den Antrag genau fasst, muss man schauen. Wird mit einer Forderung aus Kaufvertrag aufgerechnet, so könnte der Kläger die Feststellung beantragen, dass der Kaufvertrag unwirksam ist, das wäre eine Zwischenfeststellungsklage. Er könnte aber, wenn der Beklagte sich einer betragsmäßig über die Klageforderung hinausgehenden Gegenforderung berühmt, wohl auch beantragen, dass dem Beklagten kein weitergehender Anspruch aus dem Kaufvertrag zusteht - das wäre aber wohl keine Zwischenfeststellungsklage mehr, sondern gewöhnliche (negative) Feststellungsklage.
Edit: Davon hängt dann ab, wo die neue Klage des Beklagten auf den Restbetrag scheitert: im ersten Fall scheint mir die Klage zulässig, weil nicht über den selben Streitgegenstand schon entschieden ist - aber unbegründet, weil die Unwirksamkeit des Kaufvertrages als Vorfrage schon bindend feststeht. Im zweiten Fall mag man die Klage schon für unzulässig halten, weil über das kontradiktorische Gegenteil bereits entschieden ist, aber hier kann man wohl Vieles vertreten...
Wie man den Antrag genau fasst, muss man schauen. Wird mit einer Forderung aus Kaufvertrag aufgerechnet, so könnte der Kläger die Feststellung beantragen, dass der Kaufvertrag unwirksam ist, das wäre eine Zwischenfeststellungsklage. Er könnte aber, wenn der Beklagte sich einer betragsmäßig über die Klageforderung hinausgehenden Gegenforderung berühmt, wohl auch beantragen, dass dem Beklagten kein weitergehender Anspruch aus dem Kaufvertrag zusteht - das wäre aber wohl keine Zwischenfeststellungsklage mehr, sondern gewöhnliche (negative) Feststellungsklage.
Edit: Davon hängt dann ab, wo die neue Klage des Beklagten auf den Restbetrag scheitert: im ersten Fall scheint mir die Klage zulässig, weil nicht über den selben Streitgegenstand schon entschieden ist - aber unbegründet, weil die Unwirksamkeit des Kaufvertrages als Vorfrage schon bindend feststeht. Im zweiten Fall mag man die Klage schon für unzulässig halten, weil über das kontradiktorische Gegenteil bereits entschieden ist, aber hier kann man wohl Vieles vertreten...