28.09.2024, 11:13
Hallo zusammen,
ich bin in Zivil an einem AG tätig und merke seit einiger Zeit, dass mich umfangreichere Verfahren (konkret: Verfahren, in denen um X Einzelpositionen gestritten wird, zB Mietmängel) erheblich aufhalten, weil ich lange brauche, um das Verfahren vorzubereiten und das Urteil zu schreiben. Verliere mich da oft in Kleinigkeiten. Bei den Standard-Verfahren (Verkehrsunfälle etc.) passiert mir das nicht.
Habt ihr Tipps, wie man durch solche dicken Akten schneller durchkommt?
ich bin in Zivil an einem AG tätig und merke seit einiger Zeit, dass mich umfangreichere Verfahren (konkret: Verfahren, in denen um X Einzelpositionen gestritten wird, zB Mietmängel) erheblich aufhalten, weil ich lange brauche, um das Verfahren vorzubereiten und das Urteil zu schreiben. Verliere mich da oft in Kleinigkeiten. Bei den Standard-Verfahren (Verkehrsunfälle etc.) passiert mir das nicht.
Habt ihr Tipps, wie man durch solche dicken Akten schneller durchkommt?
28.09.2024, 12:17
Selbige Frage stellt sich mir als Proberichterin am VG 😃 daher danke ich dir sehr für die Frage und bin auf die Antworten gespannt!
Vielleicht noch eine Frage speziell aus den Kreisen des VG: Könnt ihr viele eurer Verfahren vergleichen oder anderweitig unstreitig erledigen? Wenn ja, wie macht/ schafft ihr das?
Vielleicht noch eine Frage speziell aus den Kreisen des VG: Könnt ihr viele eurer Verfahren vergleichen oder anderweitig unstreitig erledigen? Wenn ja, wie macht/ schafft ihr das?
28.09.2024, 12:44
Das kommt natürlich immer darauf an, warum genau sich der Prozess hinzieht. Es kann ja auch einfach in der Natur der Sache begründet sein - nicht selten bei Mängeln in Bausachen der Fall, insbesondere, wenn dann noch teils SV-Gutachten infrage gestellt werden etc. oder auch darüber gestritten wird, wer letztlich den Mangel beheben muss, bei den ganzen Subunternehmerklauseln etc. oder wer den überhaupt verursacht hat.
Wenn in deinem Verfahren nur noch einzelne Forderungen streitig sind, aber andere abgrenzbare Teile (bspw. andere Forderungen) schon entscheidungsreif sind, kannst du nach § 301 I ZPO vorgehen. Im Fall, dass schon jedenfalls das Bestehen der Forderung unstreitig ist und nur noch über die Höhe zu entscheiden ist nach § 304 ZPO. Zudem kannst du natürlich umfangreich Fristen zur Beweisbeibringung setzen und damit über die Verspätungsvorschriften arbeiten, § 296 ZPO; gerade, wenn die Prozessverschleppung aufgrund ständig noch neuer Beweisanträge entsteht.
Falls dir das Verfahren weniger verfahren erscheint als den Parteien, kann ggf. ein Hinweis nach § 139 ZPO notwendig sein, wo du auf etwas deines Erachtens entscheidendes hinweist. Zudem kannst du natürlich auch Beweiserhebung anordnen, § 273 II ZPO, falls dir das sachdienlich erscheint/maßgeblich für das Verfahren und die Parteien nicht selbst den Beweis anbieten. Möglicherweise kann das auch schon weiterhelfen.
Ggf. hilft es natürlich, wenn du das Problem konkretisierst. Ist das Problem mehr im Bereich, dass sich der Prozess hinzieht und damit die Ursache in nicht unerheblichem Maße auch bei den Parteien zu sehen ist (Dispositionsmaxime, Beibringungsgrundsatz) oder ist es tatsächlich ausschließlich Probleme vor der mdl. Verhandlung (prozessleitende Maßnahmen etc.) und/oder dann nach der Schluss der mdl. Verhandlung das Urteil abzufassen wie von dir geschildert?
Wenn in deinem Verfahren nur noch einzelne Forderungen streitig sind, aber andere abgrenzbare Teile (bspw. andere Forderungen) schon entscheidungsreif sind, kannst du nach § 301 I ZPO vorgehen. Im Fall, dass schon jedenfalls das Bestehen der Forderung unstreitig ist und nur noch über die Höhe zu entscheiden ist nach § 304 ZPO. Zudem kannst du natürlich umfangreich Fristen zur Beweisbeibringung setzen und damit über die Verspätungsvorschriften arbeiten, § 296 ZPO; gerade, wenn die Prozessverschleppung aufgrund ständig noch neuer Beweisanträge entsteht.
Falls dir das Verfahren weniger verfahren erscheint als den Parteien, kann ggf. ein Hinweis nach § 139 ZPO notwendig sein, wo du auf etwas deines Erachtens entscheidendes hinweist. Zudem kannst du natürlich auch Beweiserhebung anordnen, § 273 II ZPO, falls dir das sachdienlich erscheint/maßgeblich für das Verfahren und die Parteien nicht selbst den Beweis anbieten. Möglicherweise kann das auch schon weiterhelfen.
Ggf. hilft es natürlich, wenn du das Problem konkretisierst. Ist das Problem mehr im Bereich, dass sich der Prozess hinzieht und damit die Ursache in nicht unerheblichem Maße auch bei den Parteien zu sehen ist (Dispositionsmaxime, Beibringungsgrundsatz) oder ist es tatsächlich ausschließlich Probleme vor der mdl. Verhandlung (prozessleitende Maßnahmen etc.) und/oder dann nach der Schluss der mdl. Verhandlung das Urteil abzufassen wie von dir geschildert?
28.09.2024, 14:08
Solche Verfahren machen einfach keinen Spaß. Umso größer die Gefahr, dass man sich nicht kümmert und die Anwälte drauflosschreiben. Die Akte wird immer dicker und niemand blickt mehr durch... Daher:
Früh klar machen, was der Schwerpunkt ist und was nebensächlich (z.B. im frühen ersten Termin).
Tabelle zu den einzelnen Posten machen und fortschreiben.
Ständig Hinweise geben, damit dazu vorgetragen wird, wo noch etwas fehlt - und im Hinweisbeschluss zur Rechtslage hat man auch für sich selbst festgehalten, was geklärt und was noch offen ist.
Große Brocken zuerst angehen. Nach der Beweisaufnahme darüber ist schon viel geklärt. Niemand will danach noch Zeit und Geld in Nebenpunkte stecken. Durchdachten Vergleichsvorschlag machen, dabei offene Punkte halbieren und im Übrigen nach Prognose. Das kann klappen.
Wenn die Einigung misslingt, die übrigen Punkte abarbeiten. Wenn möglich, Schäden schätzen.
Früh klar machen, was der Schwerpunkt ist und was nebensächlich (z.B. im frühen ersten Termin).
Tabelle zu den einzelnen Posten machen und fortschreiben.
Ständig Hinweise geben, damit dazu vorgetragen wird, wo noch etwas fehlt - und im Hinweisbeschluss zur Rechtslage hat man auch für sich selbst festgehalten, was geklärt und was noch offen ist.
Große Brocken zuerst angehen. Nach der Beweisaufnahme darüber ist schon viel geklärt. Niemand will danach noch Zeit und Geld in Nebenpunkte stecken. Durchdachten Vergleichsvorschlag machen, dabei offene Punkte halbieren und im Übrigen nach Prognose. Das kann klappen.
Wenn die Einigung misslingt, die übrigen Punkte abarbeiten. Wenn möglich, Schäden schätzen.
28.09.2024, 16:44
@RefNdsOL: Konkret am Beispiel des typischen Mietprozesses. Vermieter hat wegen Zahlungsverzug gekündigt. Mieter wendet ein, dass er zurecht die Miete minder durfte wegen Mietmangel 1 - 25, jeweils mit Zeugenbeweis bzw. bei Schimmel oder Lärm auch mit Sachverständigengutachten als Beweisangebot. Meine Vorgehensweise war dann bisher, solche Dinge auszusortieren, die offensichtlich keine Mängel sind (Beispiel: Wohnungstür quietscht) und bei den verbleibenden 20 Mängeln die Zeugen zu hören bzw. das Gutachten einzuholen. Und ich hatte mich gefragt, ob das nicht auch effizienter geht, weil die Beweisaufnahme auf diese Weise ewig dauert und man sich im Urteil in der Beweiswürdigung die Finger wund tippt.
@Praktiker: Würdest du in meinem Beispiel oben dann zB zunächst das Schimmelgutachten einholen, dann Vergleich vorschlagen und erst bei dessen Scheitern dann die Zeugen zu den übrigen Mängeln hören? Würde das nicht den Prozess in die Länge ziehen, wenn der Vergleichsvorschlag scheitert und man erst dann die Zeugen hört?
@Praktiker: Würdest du in meinem Beispiel oben dann zB zunächst das Schimmelgutachten einholen, dann Vergleich vorschlagen und erst bei dessen Scheitern dann die Zeugen zu den übrigen Mängeln hören? Würde das nicht den Prozess in die Länge ziehen, wenn der Vergleichsvorschlag scheitert und man erst dann die Zeugen hört?
28.09.2024, 18:03
Da kann je nach finanzieller Situation des Beklagten ggf. §§ 379, 401 ZPO bzw. für den SV §§ 379, 402, 411 ZPO helfen, dass der Beklagte Vorschuss für alle mit den Beweismitteln entstehenden Kosten zu leisten hat. Gerade im Fall der SV (dann auch noch in mehreren Fällen) kann sich das durchaus summieren.
Du kannst zudem jederzeit eben darauf hinweisen, insbesondere, wenn eine für die eine oder andere Seite (hier wohl vor allem für den Beklagten) günstige Tatsache bewiesen oder mit den bislang angetretenen Beweisen nicht bewiesen wurde/er erkennbar beweisfällig bleibt, ob denn die Parteien tatsächlich weiterhin eine streitige Entscheidung / ein Urteil möchten oder ob man sich nicht einigen möchte.
An § 278 VI 1 Alt. 2 ZPO denken! Das Gericht darf sowohl in der mdl. Verhandlung als auch schriftlich den Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreiten!
Bei Räumungsklagen ist dabei natürlich immer dann die Schwierigkeit, dass es i.E. immer auf Räumung Ja/Nein hinausläuft, es ist weniger Abstufung möglich als bei reinen auf Geld gerichteten Leistungsklagen. Allerdings kann in solchen Fällen teilweise eine Einigung/Vergleich dergestalt funktionieren, dass der Beklagte der Räumung zustimmt/anerkennt, im Gegenzug der Kläger ggf. Umzugskostenzuschuss zahlt und/oder auf die Mietrückstände verzichtet und/oder eine gewisse Frist zur Umsetzung eingeräumt wird, ggf. § 721 ZPO. Das "lohnt" sich insofern auch für den Kläger, dass er eben sein Eigentum ggf. schneller wieder neu vermieten kann und der Prozess ein Ende findet.
Du kannst ja versuchen einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten und dabei durchaus auf den Verfahrensstand und - sofern du das für förderlich erachtest - die bislang vorhandene Auffassung des Gerichtes darlegen. Das kann z.T. auch Parteien vergleichswilliger machen, wenn sie sehen, dass sie absehbar nicht mit ihrem Antrag durchdringen werden.
Du kannst zudem jederzeit eben darauf hinweisen, insbesondere, wenn eine für die eine oder andere Seite (hier wohl vor allem für den Beklagten) günstige Tatsache bewiesen oder mit den bislang angetretenen Beweisen nicht bewiesen wurde/er erkennbar beweisfällig bleibt, ob denn die Parteien tatsächlich weiterhin eine streitige Entscheidung / ein Urteil möchten oder ob man sich nicht einigen möchte.
An § 278 VI 1 Alt. 2 ZPO denken! Das Gericht darf sowohl in der mdl. Verhandlung als auch schriftlich den Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreiten!
Bei Räumungsklagen ist dabei natürlich immer dann die Schwierigkeit, dass es i.E. immer auf Räumung Ja/Nein hinausläuft, es ist weniger Abstufung möglich als bei reinen auf Geld gerichteten Leistungsklagen. Allerdings kann in solchen Fällen teilweise eine Einigung/Vergleich dergestalt funktionieren, dass der Beklagte der Räumung zustimmt/anerkennt, im Gegenzug der Kläger ggf. Umzugskostenzuschuss zahlt und/oder auf die Mietrückstände verzichtet und/oder eine gewisse Frist zur Umsetzung eingeräumt wird, ggf. § 721 ZPO. Das "lohnt" sich insofern auch für den Kläger, dass er eben sein Eigentum ggf. schneller wieder neu vermieten kann und der Prozess ein Ende findet.
Du kannst ja versuchen einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten und dabei durchaus auf den Verfahrensstand und - sofern du das für förderlich erachtest - die bislang vorhandene Auffassung des Gerichtes darlegen. Das kann z.T. auch Parteien vergleichswilliger machen, wenn sie sehen, dass sie absehbar nicht mit ihrem Antrag durchdringen werden.
28.09.2024, 20:24
(28.09.2024, 11:13)Leo@ius schrieb: Hallo zusammen,
ich bin in Zivil an einem AG tätig und merke seit einiger Zeit, dass mich umfangreichere Verfahren (konkret: Verfahren, in denen um X Einzelpositionen gestritten wird, zB Mietmängel) erheblich aufhalten, weil ich lange brauche, um das Verfahren vorzubereiten und das Urteil zu schreiben. Verliere mich da oft in Kleinigkeiten. Bei den Standard-Verfahren (Verkehrsunfälle etc.) passiert mir das nicht.
Habt ihr Tipps, wie man durch solche dicken Akten schneller durchkommt?
Super Beitrag! So läuft das Business! Ich kann mich nur anschließen.
28.09.2024, 22:11
(28.09.2024, 16:44)Leo@ius schrieb: @Praktiker: Würdest du in meinem Beispiel oben dann zB zunächst das Schimmelgutachten einholen, dann Vergleich vorschlagen und erst bei dessen Scheitern dann die Zeugen zu den übrigen Mängeln hören? Würde das nicht den Prozess in die Länge ziehen, wenn der Vergleichsvorschlag scheitert und man erst dann die Zeugen hört?
Kommt natürlich immer drauf an. Aber vermutlich brauchst Du für den Schimmel die übrigen Zeugen nicht. Also damit anfangen. Andererseits: mein Tipp oben war mehr für Parteien, die Kaufleute sind und sachlich agieren, also weder Zeit noch Geld für Nebenpunkte haben. Bei der Räumungsklage hat der Beklagte natürlich eher das Ziel, alles in die Länge zu ziehen, und emotionaler geht es auch zu.
Du kannst es aber natürlich auch drehen: früher erster Termin oder sonst früher Termin mit richtig Zeit und allen Zeugen. Alles abarbeiten was geht. Danach Hinweis zur Rechtslage, dass quietschende Tür kein Mangel oder kein erheblicher ist. Dann die Frage: wollen Sie jetzt wirklich nochmal 3.000 Euro für das Gutachten vorschießen? Sie haben gesehen, wie die Sache nach hinten losgehen kann - die Zeugen haben die Erwartungen auch nicht erfüllt. Bisher war es noch günstig, jetzt wird es teuer. Und dauert. Und wenn Sie Unrecht haben und die Räumung kommt? Wollen wir das alles nicht heute einvernehmlich beilegen? Entweder Vertrag fortsetzen, wenn man nicht völlig zerstritten ist, oder lange Räumungsfrist und Umzugsbeihilfe - wollen wir die 3.000 Euro für den Sachverständigen nicht lieber zwischen den Parteien aufteilen?
Es gibt kein Patentrezept! Du musst dir jeweils eine Taktik zurechtlegen, die auf Fall, Anwälte und Parteien passt. Das macht es ja so spannend! Nur durchdacht muss es halt sein. Und Du musst den Fall durchdrungen haben, jederzeit ausstrahlen: ich habe mich reingearbeitet, ich ziehe es auch Schritt für Schritt durch, wenn Sie wollen. Nur für Sie täte es mir leid. Und das musst Du am besten auch ehrlich so meinen, das merken die nämlich.
Und wenn sie es ausfechten wollen, geht nichts an sorgfältiger Arbeit Posten für Posten vorbei. Macht keinen Spaß, aber die Erfahrung zeigt, dass jeder Prozess irgendwann zu Ende geht.
28.09.2024, 22:41
Achso, und Du musst natürlich bei den Zeugen darauf achten, dass Du jeden zu allen erheblichen Punkten befragst, zu denen er benennt ist. Sonst brauchst Du ihn nochmal...
Und von 7 Zeugen kommen natürlich 2 nicht. Dann ergehen natürlich nicht weitere Verfügungen von Amts wegen oder es wird Verkündungstermin bestimmt, sondern Du klärst mit den Anwälten noch im Sitzungssaal, wann sie Zeit haben und beschließt Termin zur Fortsetzung der Beweisaufnahme, zu dem die weiteren Zeugen gestaffelt geladen werden. Spart Wochen, und Terminverlegung wird auch keine beantragt werden. Ich hatte auch schon Anwälte, die ihre Parteien zum Vergleich genötigt haben, als sie gemerkt haben, dass das durchgezogen wird und einen halben Tag kostet - Terminsgebühr war ja schon verdient...
Und von 7 Zeugen kommen natürlich 2 nicht. Dann ergehen natürlich nicht weitere Verfügungen von Amts wegen oder es wird Verkündungstermin bestimmt, sondern Du klärst mit den Anwälten noch im Sitzungssaal, wann sie Zeit haben und beschließt Termin zur Fortsetzung der Beweisaufnahme, zu dem die weiteren Zeugen gestaffelt geladen werden. Spart Wochen, und Terminverlegung wird auch keine beantragt werden. Ich hatte auch schon Anwälte, die ihre Parteien zum Vergleich genötigt haben, als sie gemerkt haben, dass das durchgezogen wird und einen halben Tag kostet - Terminsgebühr war ja schon verdient...
29.09.2024, 07:50
Okay, danke euch, ich werde versuchen, eure Tipps mal in meine Verfahren einzubauen. Bei Räumungsstreitigkeiten sind Vergleiche derzeit schwierig, weil die Beklagten idR einwenden, dass sie noch nichts anderes haben und es ihnen zu unsicher ist, ob sie innerhalb einer gewährten Räumungsfrist etwas anderes finden. Habt ihr da eine Idee, was man dem entgegenhalten könnte?