04.09.2024, 11:47
Hey!
Ich denke über einen Einstieg am VG nach. Wie siehts denn dort mit der Belastung aus, also wieviel Stunden pro Woche kloppt ihr so im Schnitt? Durch den politischen Druck im Asyl ("soll immer schneller gehen") dürfte die Belastung zunehmend steigen, oder?
Und wie sieht es mit der richterlichen Unabhängig bei Kammerprinzipien aus? Wird diese tatsächlich gelebt oder gibt es (interne) Vorgaben des Vorsitzenden/ der Vorsitzenden bezüglich Arbeitszeit/Ort?
LG
Ich denke über einen Einstieg am VG nach. Wie siehts denn dort mit der Belastung aus, also wieviel Stunden pro Woche kloppt ihr so im Schnitt? Durch den politischen Druck im Asyl ("soll immer schneller gehen") dürfte die Belastung zunehmend steigen, oder?
Und wie sieht es mit der richterlichen Unabhängig bei Kammerprinzipien aus? Wird diese tatsächlich gelebt oder gibt es (interne) Vorgaben des Vorsitzenden/ der Vorsitzenden bezüglich Arbeitszeit/Ort?
LG
04.09.2024, 12:33
Zu Letzterem: § 6 I VwGO ist bekannt? Im Übrigen: Wie kommst du zu dem Schluss der Kammervorsitzende könne Vorgaben zu Arbeitszeit und -ort machen? Freilich legt in der Regel der Vorsitzende die Kammertermine fest (sofern nichts anderes vereinbart) und hat weitere Zuständigkeiten, die ihm neben der Verhandlungsführung speziell durch die VwGO zugewiesen ist, bspw. § 80 VIII VwGO. Dabei ist natürlich mit dem Vorsitzenden bspw. Urlaubsplanung und Kammertermine abzustimmen. Im Übrigen steht es einem Richter, unabhängig vom in der ordentlichen oder Fachgerichtsbarkeit stets frei, wie und wo er seine Arbeit verrichtet. Entscheidend ist, dass er sie ordnungsgemäß erledigt und natürlich muss er für Sitzungstermine - sei es als Einzelrichter oder Kammertermine - anwesend sein.
Ob du jetzt für die gleiche Arbeit aber 2h, 5h, 30h benötigst oder 50h, wie soll dir das denn dein Vorsitzender vorschreiben können?
Selbst wenn du Berichterstatter in einer Kammersache bist, dann richtet sich die Abfassungsfrist für das Urteil nach den gesetzlichen Vorschriften und nicht nach deinem Vorsitzenden. Für die vorbereitende Abfassungen wie Voten oder ähnliches mag es ggf. kammerinterne Absprachen geben. Für deinen Vorsitzenden ist es auch ziemlich uninteressant, wie lange du für etwas benötigst, solange es sich im zulässigen, ggf. vereinbarten, Rahmen bewegt und am Ende ein zielführendes, nutzbares Arbeitsprodukt vorgelegt wird, wodurch die Kammer ihre Arbeit erledigen kann, bspw. das Endurteil oder ein Votum zu einer schwierigen noch zu klärenden Rechtsfrage.
Ob du jetzt für die gleiche Arbeit aber 2h, 5h, 30h benötigst oder 50h, wie soll dir das denn dein Vorsitzender vorschreiben können?
Selbst wenn du Berichterstatter in einer Kammersache bist, dann richtet sich die Abfassungsfrist für das Urteil nach den gesetzlichen Vorschriften und nicht nach deinem Vorsitzenden. Für die vorbereitende Abfassungen wie Voten oder ähnliches mag es ggf. kammerinterne Absprachen geben. Für deinen Vorsitzenden ist es auch ziemlich uninteressant, wie lange du für etwas benötigst, solange es sich im zulässigen, ggf. vereinbarten, Rahmen bewegt und am Ende ein zielführendes, nutzbares Arbeitsprodukt vorgelegt wird, wodurch die Kammer ihre Arbeit erledigen kann, bspw. das Endurteil oder ein Votum zu einer schwierigen noch zu klärenden Rechtsfrage.
04.09.2024, 13:49
(04.09.2024, 12:33)RefNdsOL schrieb: Zu Letzterem: § 6 I VwGO ist bekannt? Im Übrigen: Wie kommst du zu dem Schluss der Kammervorsitzende könne Vorgaben zu Arbeitszeit und -ort machen? Freilich legt in der Regel der Vorsitzende die Kammertermine fest (sofern nichts anderes vereinbart) und hat weitere Zuständigkeiten, die ihm neben der Verhandlungsführung speziell durch die VwGO zugewiesen ist, bspw. § 80 VIII VwGO. Dabei ist natürlich mit dem Vorsitzenden bspw. Urlaubsplanung und Kammertermine abzustimmen. Im Übrigen steht es einem Richter, unabhängig vom in der ordentlichen oder Fachgerichtsbarkeit stets frei, wie und wo er seine Arbeit verrichtet. Entscheidend ist, dass er sie ordnungsgemäß erledigt und natürlich muss er für Sitzungstermine - sei es als Einzelrichter oder Kammertermine - anwesend sein.Da hast du natürlich mit allem grundsätzlich Recht. Die richterliche Unabhängigkeit garantiert auch unterhalb des Kammervorsitzenden ein selbstbestimmtes Arbeiten.
Ob du jetzt für die gleiche Arbeit aber 2h, 5h, 30h benötigst oder 50h, wie soll dir das denn dein Vorsitzender vorschreiben können?
Selbst wenn du Berichterstatter in einer Kammersache bist, dann richtet sich die Abfassungsfrist für das Urteil nach den gesetzlichen Vorschriften und nicht nach deinem Vorsitzenden. Für die vorbereitende Abfassungen wie Voten oder ähnliches mag es ggf. kammerinterne Absprachen geben. Für deinen Vorsitzenden ist es auch ziemlich uninteressant, wie lange du für etwas benötigst, solange es sich im zulässigen, ggf. vereinbarten, Rahmen bewegt und am Ende ein zielführendes, nutzbares Arbeitsprodukt vorgelegt wird, wodurch die Kammer ihre Arbeit erledigen kann, bspw. das Endurteil oder ein Votum zu einer schwierigen noch zu klärenden Rechtsfrage.
Jetzt kommen wir nach der Theorie aber zu der Lebenswirklichkeit und der Frage, wie Unabhängigkeit gelebt wird. Und das hängt in erster Linie von dir selbst ab:
Kannst du damit leben, wenn du zwar gründlich und gewissenhaft arbeitest und dir die Zeit nimmst, die du bzw. deine Entscheidung brauchst oder nagt es mit der Zeit an dir, wenn andere Kammermitglieder „schlank“ entscheiden, dadurch deutlich mehr erledigen und du am Ende ein voll(er)es Dezernat mit älteren Verfahren hast? Wenn dein autoritärer Vorsitzender sauer ist, weil du für seinen Geschmack zu oft im Homeoffice bist/zu wenig lädst/ erledigst? Weil deine Voten nicht ausführlich genug sind? Wenn du blöde Beurteilungsgespräche hast? Wenn die anderen Kollegen an dir bei Beförderungen an dir vorbeiziehen, ua auch weil sie total freiwillig noch Zusatzaufgaben in der Verwaltung übernehmen oder nach Feierabend noch Referendar-AGs vorbereiten?
Es gibt gerade im Richterbereich viele ungeschriebene Regeln, um die Unabhängigkeit zumindest etwas wieder einzufangen („Wer schreibt, der bleibt“).
Muss man diese Regeln befolgen? Nein. Machen es die meisten? Ja.
Wenn du damit leben kannst, die Folgen eines Nichtbeachtens dieser Regeln zu tragen, musst du dich nicht gross einschränken. Ich kenne allerdings nur wenige, die sich diesem Konformitätsdruck wirklich dauerhaft entziehen können bzw. wollen. Stattdessen beobachte ich bei vielen, gerade jüngeren Kollegen eine Überangepasstheit dicht an der Schmerzgrenze. Frei nach Foucault sind sie ihre eigenen Gefängnisdirektoren.
Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wo er sich in diesem Spannungsverhältnis aus Unabhängigkeit und sozialer (Selbst-) Kontrolle positioniert. Man sollte sich dieser ungeschriebenen Einflüsse auf die innere Unabhängigkeit nur bewusst sein.
04.09.2024, 14:56
(04.09.2024, 13:49)Spencer schrieb:(04.09.2024, 12:33)RefNdsOL schrieb: Zu Letzterem: § 6 I VwGO ist bekannt? Im Übrigen: Wie kommst du zu dem Schluss der Kammervorsitzende könne Vorgaben zu Arbeitszeit und -ort machen? Freilich legt in der Regel der Vorsitzende die Kammertermine fest (sofern nichts anderes vereinbart) und hat weitere Zuständigkeiten, die ihm neben der Verhandlungsführung speziell durch die VwGO zugewiesen ist, bspw. § 80 VIII VwGO. Dabei ist natürlich mit dem Vorsitzenden bspw. Urlaubsplanung und Kammertermine abzustimmen. Im Übrigen steht es einem Richter, unabhängig vom in der ordentlichen oder Fachgerichtsbarkeit stets frei, wie und wo er seine Arbeit verrichtet. Entscheidend ist, dass er sie ordnungsgemäß erledigt und natürlich muss er für Sitzungstermine - sei es als Einzelrichter oder Kammertermine - anwesend sein.Da hast du natürlich mit allem grundsätzlich Recht. Die richterliche Unabhängigkeit garantiert auch unterhalb des Kammervorsitzenden ein selbstbestimmtes Arbeiten.
Ob du jetzt für die gleiche Arbeit aber 2h, 5h, 30h benötigst oder 50h, wie soll dir das denn dein Vorsitzender vorschreiben können?
Selbst wenn du Berichterstatter in einer Kammersache bist, dann richtet sich die Abfassungsfrist für das Urteil nach den gesetzlichen Vorschriften und nicht nach deinem Vorsitzenden. Für die vorbereitende Abfassungen wie Voten oder ähnliches mag es ggf. kammerinterne Absprachen geben. Für deinen Vorsitzenden ist es auch ziemlich uninteressant, wie lange du für etwas benötigst, solange es sich im zulässigen, ggf. vereinbarten, Rahmen bewegt und am Ende ein zielführendes, nutzbares Arbeitsprodukt vorgelegt wird, wodurch die Kammer ihre Arbeit erledigen kann, bspw. das Endurteil oder ein Votum zu einer schwierigen noch zu klärenden Rechtsfrage.
Jetzt kommen wir nach der Theorie aber zu der Lebenswirklichkeit und der Frage, wie Unabhängigkeit gelebt wird. Und das hängt in erster Linie von dir selbst ab:
Kannst du damit leben, wenn du zwar gründlich und gewissenhaft arbeitest und dir die Zeit nimmst, die du bzw. deine Entscheidung brauchst oder nagt es mit der Zeit an dir, wenn andere Kammermitglieder „schlank“ entscheiden, dadurch deutlich mehr erledigen und du am Ende ein voll(er)es Dezernat mit älteren Verfahren hast? Wenn dein autoritärer Vorsitzender sauer ist, weil du für seinen Geschmack zu oft im Homeoffice bist/zu wenig lädst/ erledigst? Weil deine Voten nicht ausführlich genug sind? Wenn du blöde Beurteilungsgespräche hast? Wenn die anderen Kollegen an dir bei Beförderungen an dir vorbeiziehen, ua auch weil sie total freiwillig noch Zusatzaufgaben in der Verwaltung übernehmen oder nach Feierabend noch Referendar-AGs vorbereiten?
Es gibt gerade im Richterbereich viele ungeschriebene Regeln, um die Unabhängigkeit zumindest etwas wieder einzufangen („Wer schreibt, der bleibt“).
Muss man diese Regeln befolgen? Nein. Machen es die meisten? Ja.
Wenn du damit leben kannst, die Folgen eines Nichtbeachtens dieser Regeln zu tragen, musst du dich nicht gross einschränken. Ich kenne allerdings nur wenige, die sich diesem Konformitätsdruck wirklich dauerhaft entziehen können bzw. wollen. Stattdessen beobachte ich bei vielen, gerade jüngeren Kollegen eine Überangepasstheit dicht an der Schmerzgrenze. Frei nach Foucault sind sie ihre eigenen Gefängnisdirektoren.
Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wo er sich in diesem Spannungsverhältnis aus Unabhängigkeit und sozialer (Selbst-) Kontrolle positioniert. Man sollte sich dieser ungeschriebenen Einflüsse auf die innere Unabhängigkeit nur bewusst sein.
Da stimme ich dir natürlich zu, dass es sicherlich Vorsitzende gibt, die durch ihre Erwartungshaltung oder zwischenmenschlichen Art für eine äußerst unangenehme Arbeitsatmosphäre sorgen. Wie du selbst zustimmst ist jedenfalls auf dem Papier nicht so vorgesehen, woraus folgt, dass es dann letztlich eben eine "hit-or-miss"-Geschichte ist, ob man einen vernünftigen Vorsitzenden erwischt oder nicht - die Eigenschaften eines unangenehmen folgen jedenfalls nicht aus gesetzlich zugeschriebenen Kompetenzen, sondern sind dann im Individuum verortet.
Deine weiteren genannten Punkte sind jedoch teilweise durch das jeweilige Kammermitglied beeinflussbar; dieses kann schließlich auch - zumindest versuchen - seine Verfahren beschleunigter zu bearbeiten, sofern die Verfahren das eben zulassen. Auch für die Übernahme von Zusatzaufgaben kann er versuchen sich zu melden. Dass je nach Organisation des jeweiligen Gerichtes solche Meldungen gegebenenfalls ausschließlich über den Vorgesetzten erfolgen müssen oder dessen Zustimmung dazu maßgeblich ist und dadurch deine mögliche Entwicklung beeinflusst wird, ist in der Tat etwas ungeheuer missliches.
Aber das ist ein grundsätzliches Problem des Staatsdienstes, das "ausgesuchte/entdeckte" Wunschkandidaten systematisch so geformt werden, dass sie für eine spätere Beförderung tatsächlich den am besten geeigneten Kandidaten darstellen. Es werden dann "sehr gute" Beurteilungen erteilt, andere bekommen "gute" - das wirst du nicht angefochten bekommen, weil du hast ja eine gute bekommen. Der Wunschkandidat wird gegebenenfalls zeitweise höherwertig verwendet und kann dadurch sich schon beschleunigt für ein Beförderungsamt qualifizieren - auch das kannst du nicht anfechten. Das einzig anfechtbare ist später die Ernennung ins Beförderungsamt via Konkurrentenklage, aber da ist es dann zu spät, weil durch die systematische Förderung des Wunschkandidaten dieser ein derartiges Profil aufweist, dass eine Konkurrentenklage unter Berufung auf Art. 33 II GG unbegründet sind.
Das sind maßgebliche Gründe, die mE den Staatsdienst so unglaublich unattraktiv machen, sofern man nicht - wie durchaus bei einem Gros der Arbeitnehmer erlebt - seine Tätigkeit nur in dem Maße ausübt wie notwendig und weil es dem Broterwerb dient. Sobald man irgendeine Art von Begeisterung an der Tätigkeit hat und insbesondere Engagement und Einsatzbereitschaft zeigt und entsprechend auch eine Wertschätzung dafür erfahren möchte, ist es eine Katastrophe - es sei denn, dass du durch richtige Zeit am richtigen Ort bei der richtigen Person zum Wunschkandidaten wirst und die besagte Förderung erhälst.
05.09.2024, 05:39
(04.09.2024, 14:56)RefNdsOL schrieb:(04.09.2024, 13:49)Spencer schrieb:(04.09.2024, 12:33)RefNdsOL schrieb: Zu Letzterem: § 6 I VwGO ist bekannt? Im Übrigen: Wie kommst du zu dem Schluss der Kammervorsitzende könne Vorgaben zu Arbeitszeit und -ort machen? Freilich legt in der Regel der Vorsitzende die Kammertermine fest (sofern nichts anderes vereinbart) und hat weitere Zuständigkeiten, die ihm neben der Verhandlungsführung speziell durch die VwGO zugewiesen ist, bspw. § 80 VIII VwGO. Dabei ist natürlich mit dem Vorsitzenden bspw. Urlaubsplanung und Kammertermine abzustimmen. Im Übrigen steht es einem Richter, unabhängig vom in der ordentlichen oder Fachgerichtsbarkeit stets frei, wie und wo er seine Arbeit verrichtet. Entscheidend ist, dass er sie ordnungsgemäß erledigt und natürlich muss er für Sitzungstermine - sei es als Einzelrichter oder Kammertermine - anwesend sein.Da hast du natürlich mit allem grundsätzlich Recht. Die richterliche Unabhängigkeit garantiert auch unterhalb des Kammervorsitzenden ein selbstbestimmtes Arbeiten.
Ob du jetzt für die gleiche Arbeit aber 2h, 5h, 30h benötigst oder 50h, wie soll dir das denn dein Vorsitzender vorschreiben können?
Selbst wenn du Berichterstatter in einer Kammersache bist, dann richtet sich die Abfassungsfrist für das Urteil nach den gesetzlichen Vorschriften und nicht nach deinem Vorsitzenden. Für die vorbereitende Abfassungen wie Voten oder ähnliches mag es ggf. kammerinterne Absprachen geben. Für deinen Vorsitzenden ist es auch ziemlich uninteressant, wie lange du für etwas benötigst, solange es sich im zulässigen, ggf. vereinbarten, Rahmen bewegt und am Ende ein zielführendes, nutzbares Arbeitsprodukt vorgelegt wird, wodurch die Kammer ihre Arbeit erledigen kann, bspw. das Endurteil oder ein Votum zu einer schwierigen noch zu klärenden Rechtsfrage.
Jetzt kommen wir nach der Theorie aber zu der Lebenswirklichkeit und der Frage, wie Unabhängigkeit gelebt wird. Und das hängt in erster Linie von dir selbst ab:
Kannst du damit leben, wenn du zwar gründlich und gewissenhaft arbeitest und dir die Zeit nimmst, die du bzw. deine Entscheidung brauchst oder nagt es mit der Zeit an dir, wenn andere Kammermitglieder „schlank“ entscheiden, dadurch deutlich mehr erledigen und du am Ende ein voll(er)es Dezernat mit älteren Verfahren hast? Wenn dein autoritärer Vorsitzender sauer ist, weil du für seinen Geschmack zu oft im Homeoffice bist/zu wenig lädst/ erledigst? Weil deine Voten nicht ausführlich genug sind? Wenn du blöde Beurteilungsgespräche hast? Wenn die anderen Kollegen an dir bei Beförderungen an dir vorbeiziehen, ua auch weil sie total freiwillig noch Zusatzaufgaben in der Verwaltung übernehmen oder nach Feierabend noch Referendar-AGs vorbereiten?
Es gibt gerade im Richterbereich viele ungeschriebene Regeln, um die Unabhängigkeit zumindest etwas wieder einzufangen („Wer schreibt, der bleibt“).
Muss man diese Regeln befolgen? Nein. Machen es die meisten? Ja.
Wenn du damit leben kannst, die Folgen eines Nichtbeachtens dieser Regeln zu tragen, musst du dich nicht gross einschränken. Ich kenne allerdings nur wenige, die sich diesem Konformitätsdruck wirklich dauerhaft entziehen können bzw. wollen. Stattdessen beobachte ich bei vielen, gerade jüngeren Kollegen eine Überangepasstheit dicht an der Schmerzgrenze. Frei nach Foucault sind sie ihre eigenen Gefängnisdirektoren.
Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wo er sich in diesem Spannungsverhältnis aus Unabhängigkeit und sozialer (Selbst-) Kontrolle positioniert. Man sollte sich dieser ungeschriebenen Einflüsse auf die innere Unabhängigkeit nur bewusst sein.
Da stimme ich dir natürlich zu, dass es sicherlich Vorsitzende gibt, die durch ihre Erwartungshaltung oder zwischenmenschlichen Art für eine äußerst unangenehme Arbeitsatmosphäre sorgen. Wie du selbst zustimmst ist jedenfalls auf dem Papier nicht so vorgesehen, woraus folgt, dass es dann letztlich eben eine "hit-or-miss"-Geschichte ist, ob man einen vernünftigen Vorsitzenden erwischt oder nicht - die Eigenschaften eines unangenehmen folgen jedenfalls nicht aus gesetzlich zugeschriebenen Kompetenzen, sondern sind dann im Individuum verortet.
Deine weiteren genannten Punkte sind jedoch teilweise durch das jeweilige Kammermitglied beeinflussbar; dieses kann schließlich auch - zumindest versuchen - seine Verfahren beschleunigter zu bearbeiten, sofern die Verfahren das eben zulassen. Auch für die Übernahme von Zusatzaufgaben kann er versuchen sich zu melden. Dass je nach Organisation des jeweiligen Gerichtes solche Meldungen gegebenenfalls ausschließlich über den Vorgesetzten erfolgen müssen oder dessen Zustimmung dazu maßgeblich ist und dadurch deine mögliche Entwicklung beeinflusst wird, ist in der Tat etwas ungeheuer missliches.
Aber das ist ein grundsätzliches Problem des Staatsdienstes, das "ausgesuchte/entdeckte" Wunschkandidaten systematisch so geformt werden, dass sie für eine spätere Beförderung tatsächlich den am besten geeigneten Kandidaten darstellen. Es werden dann "sehr gute" Beurteilungen erteilt, andere bekommen "gute" - das wirst du nicht angefochten bekommen, weil du hast ja eine gute bekommen. Der Wunschkandidat wird gegebenenfalls zeitweise höherwertig verwendet und kann dadurch sich schon beschleunigt für ein Beförderungsamt qualifizieren - auch das kannst du nicht anfechten. Das einzig anfechtbare ist später die Ernennung ins Beförderungsamt via Konkurrentenklage, aber da ist es dann zu spät, weil durch die systematische Förderung des Wunschkandidaten dieser ein derartiges Profil aufweist, dass eine Konkurrentenklage unter Berufung auf Art. 33 II GG unbegründet sind.
Das sind maßgebliche Gründe, die mE den Staatsdienst so unglaublich unattraktiv machen, sofern man nicht - wie durchaus bei einem Gros der Arbeitnehmer erlebt - seine Tätigkeit nur in dem Maße ausübt wie notwendig und weil es dem Broterwerb dient. Sobald man irgendeine Art von Begeisterung an der Tätigkeit hat und insbesondere Engagement und Einsatzbereitschaft zeigt und entsprechend auch eine Wertschätzung dafür erfahren möchte, ist es eine Katastrophe - es sei denn, dass du durch richtige Zeit am richtigen Ort bei der richtigen Person zum Wunschkandidaten wirst und die besagte Förderung erhälst.
Man muss halt auch sagen, dass die "Unangepassten", die es gerade am Amtsgericht und mit Nähe zum Pensionsalter tatsächlich gibt, die ihre Unabhängigkeit sehr ausleben, das nicht selten zu Lasten der Kollegen und der Parteien tun. Es mag einzelne Richter geben, die sich heldenhaft gegen den Druck stellen, zu schnell zu entscheiden, und zu Lasten ihrer Karriere sorgfältiger als alle anderen arbeiten. Sehr viel häufiger ist aber die Konstellation, dass die Unabhängigkeit als Rechtfertigung verstanden wird, Marotten auszuleben und die Prozessordnung zu missachten. Da werden dann Anhörungen unterlassen, wird Vortrag ignoriert oder als unsubstantiiert behandelt oder aus fernliegendsten Gründen Verfahren abgegeben bzw. verwiesen. Ich kenne auch überangepasste Kollegen, was auch wieder nicht sein muss. Aber der Schaden, der der Justiz und den Rechtssuchenden entsteht, ist beim anderen, durchaus häufigeren Extrem sehr viel größer...
05.09.2024, 10:17
Zurück zum Thema: die Ehefrau eines Kollegen ist Richterin am VG und u.a. für Asylsachen zuständig. Sie scheint dort extrem glücklich zu sein und hat aus ihrem Bekanntenkreis die mit Abstand beste Work-Life-Balance. Teilweise fängt sie wohl erst um 9 Uhr an und ist bereits um 17 Uhr Zuhause, obwohl sie eine volle Stelle hat. Das dürfte aber auch von VG zu VG anders sein.
05.09.2024, 15:12
@ Praktiker: Solche freidrehenden Amtsrichter sind natürlich das andere Extrem. Ich bin mir aber nicht sicher, was schlimmer ist: der offensichtlich sachwidrig entscheidende Amtsrichter oder der ehrgeizige Berichterstatter, der nicht ausreichend amtsermittelt, Beweis erhebt, Urteile/Beschlüsse in hoher Quantität bei schlechter Qualität raushaut und seine Rechtsmeinung nach der Erwartungshaltung des Vorsitzenden ausrichtet. Leider alles schon erlebt… Schlechte Richter sind beide Typen, nur dass letztere gute Chancen auf Beförderung haben.
@ advocatus diaboli: die work-live balance hängt natürlich wie bei vielen Richterämtern von vielem ab. Auch an manchem AG kann man nach einer Zeit auf 30-35h kommen. Aber je nach Kammer am VG geht das nur zulasten der Qualität bzw Verfahrenslaufzeiten. Die meisten jüngeren Kollegen scheinen mir eher 41h+ zu arbeiten, da fehlt es allerdings oft auch noch an der Routine bzw wird öfter noch die Kammer gewechselt. Asyl muss man auch mögen und der Arbeitsaufwand hängt auch sehr vom jeweiligen Herkunftsland ab. Juristisch empfinde ich Asylrecht überwiegend als anspruchslos, da liegt die Schwierigkeit eher in der Sachverhaltsermittlung. Deswegen hat die Asylwelle mE nicht gerade zur Attraktivität des Berufs beigetragen, zumal die meisten Urteile letztlich folgenlos bleiben.
@ advocatus diaboli: die work-live balance hängt natürlich wie bei vielen Richterämtern von vielem ab. Auch an manchem AG kann man nach einer Zeit auf 30-35h kommen. Aber je nach Kammer am VG geht das nur zulasten der Qualität bzw Verfahrenslaufzeiten. Die meisten jüngeren Kollegen scheinen mir eher 41h+ zu arbeiten, da fehlt es allerdings oft auch noch an der Routine bzw wird öfter noch die Kammer gewechselt. Asyl muss man auch mögen und der Arbeitsaufwand hängt auch sehr vom jeweiligen Herkunftsland ab. Juristisch empfinde ich Asylrecht überwiegend als anspruchslos, da liegt die Schwierigkeit eher in der Sachverhaltsermittlung. Deswegen hat die Asylwelle mE nicht gerade zur Attraktivität des Berufs beigetragen, zumal die meisten Urteile letztlich folgenlos bleiben.
05.09.2024, 17:31
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