17.06.2021, 16:12
(17.06.2021, 15:54)Dartus-BW schrieb: Baden-Württemberg ÖR I - Widerspruchsbescheid: Stressiger Petitionsanwalt
Sachverhalt1. Es liegt seit Monaten ein unbearbeiteter Widerspruch gegen eine Versagung einer Ausnahme / Befreiung vom Bebauungsplan sowie einer Rückbauanordnung in selber Sache beim Regierungspräsidium Tübingen ("RP") rum (Praxisnähe hat die Klausur damit schonmal). Der Anwalt drängt nun auf Entscheidung, da er sonst Untätigkeitsklage erhebt.
Am 23.12.2020 erließ das Landratsamt Reutlingen ("LRA") einen Bescheid, in welchem es eine Ausnahmebewilligung vom Bebauungsplan ablehnte. Zudem ordnete es den teilweisen Rückbau des "Wintergartens" von 2m an.
Die Widerspruchsführerin ("B") baute auf ihrer Garage ein "wintergartenähnliches Konstrukt". Die Terrasse auf der Garage wurde überdacht und abgeschlossen durch Glas. Eine Dämmung und Belichtung wurde nicht eingebaut. Die Garage ist (rechtmäßig) 2m über die Baugrenze des Grundstücks gebaut; in selber Richtung befindet sich ein Nachbargrundstück. Die Terrasse hat eine Grundfläche von 16m². Höhe des Umbaus beträgt 2,8m. Ähnliche Bauten gibt es in der Umgebung nicht; diese wurden nie zugelassen. Das Grundstück liegt innerhalb eines qualifizierten Bebauungsplans. Die bebaute Fläche ist als Fläche für Nebenanlagen festgesetzt (§ 9 I Nr. 4 BauGB). Die Gemeinde hat Baugrenzen gem. § 23 BauNVO in den Bebauungsplan einbezogen.
B begehrt Befreiung von den Festsetzungen bzgl. der Baugrenzen. Die Gemeinde erteilt kein gemeindliches Einvernehmen. Zugleich ordnet das LRA den Rückbau der Terrasse an, soweit sie 2m über die Baugrenze gebaut wurde. Der Nachbar fühlt sich durch den Terrassenaufbau in optischer und akustischer Hinsicht beeinträchtigt.
2. Der Anwalt der B droht mit der Einrechnung einer Petition, wenn das LRA nicht die Ausnahme erteilt. Damit habe er schon in der Vergangenheit Erfolg gehabt. Wäre da nicht die fiese Gemeinde gewesen, die Ihm mit ihrer Planungshoheit einen Strich durch die Rechnung im Klageverfahren gemacht hat. Damals habe auf jeden Fall das Ministerium die Sache an sich gerissen und die Baugenehmigung erteilt; bis sie dann durch die Klage der Gemeinde wieder aufgehoben wurde.
a) Das RP will wissen, ob ein Petitionsverfahren neben einem Widerspruchsverfahren Erfolg hat. Daneben will es wissen, ob das auch neben einem Klageverfahren zulässig sei.
b) Das RP will wissen, ob das Ministerium die Sache an sich reißen kann und damit die Entscheidung der unteren Baurechtsbehörde abändern kann.
Aufgabe 1Regierungspräsidium Tübingenals höhere BaurechtsbehördeZustellung an RA gegen EB, §§ 5, 7 VwZG
Sehr geehrter Herr Anwalt,
hiermit ergeht folgenderWiderspruchsbescheid1. Ihr Widerspruch vom 23.01.2021 gegen den Bescheid des Landratsamts Reutlingen wird zurückgewiesen.2. Sie haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
I.1. Zuständigkeit RP nach §§ 46 I Nr. 2 LBO; 15 I Nr. 1, 12 IV, 11 I, 20 II LVG i.V.m. § 73 I 2 Nr. 1 VwGO2. Statthaftigkeit, § 68 VwGO- VK und AK in Hauptsache- negativer Abhilfebescheid3. Form und Frist, § 70 VwGOa) Form- Einlegung auch bei Widerspruchsbehörde zulässig, § 70 I 2 VwGOb) Frist- Falle vom Prüfungsamt: Bescheid vom 23.12.2020; aber erst am 28.12.2020 zur Post gegeben = Fristbeginn mit Bekanntgabe nach Fiktion aus § 41 II 1 LVwVfG erst am 31.12.2020--> schriftliche Einlegung Widerspruch am 28.01.2021 innerhalb Frist (31.12.2020-31.01.2021)--> Email vom 23.01.2021 = nach Kommentar nicht ausreichend (iSv Art. 19 IV GG wohl auch anders vertretbar)4. Widerspruchsbefugnis, § 42 II VwGO analoga) Anspruch auf Erteilung Genehmigung- §§ 23 I, III, V, 14 I BauNVO- § 31 II BauGB- §§ 31 I, 9 I Nr. 4 BauGB iVm §§ 23 V, 14 I BauNVO --> § 23 V BauNVO wohl unabhängig von § 31 BauGBb) Rückbauanordnung = Baufreiheit, Art. 14 I GG (oder Adressatentheorie, Art. 2 I GG)
II.1. Anspruch auf Befreiung, §§ 23 I, III, V, 14 I BauNVO (-)- Prüfung unter § 31 II BauGB möglich --> dann ist zunächst zu prüfen:--> Grundzüge der Planung nicht berührt = Bebauungsplan darf durch Befreiung nicht abgeändert werden--> städtebauliche Vertretbarkeit = § 9 I Nr. 4 BauGB (+) = Terrassenkonstrukt als "Erholung"--> Interessenabwägunga) Anwendungsbereich von § 23 BauNVO- Regelung nach Sachverhalt ausdrücklich in qualifizierten Bebauungsplan einbezogenb) Notwendigkeit einer Befreiung, 23 III BauNVO- Baugrenze um 2m überschritten- keine Bagatelle iSv § 23 III 2 BauNVO (2,8m Höhe x 2m Breite)c) Ausnahmetatbestand nach § 23 V BauNVOaa) nichts anderes im Bebauungsplan festgesetzt- Bezugnahme Bbplan auf § 23 BauNVO- Festsetzung streitige Baufläche lediglich als Fläche für Nebenanlagen, § 9 I Nr. 4 BauGB--> Folge: Festsetzung der erlaubten Nutzung im Bebauungsplan entspricht Ausnahmeregelung des § 23 V BauNVO, der Nebenanlagen zulässt--> Terrassenkonstrukt nach § 9 I Nr. 4 BauGB zulässig, da "Erholungszweck"aa) Terrassenkonstrukt als Nebenanlage- untergeordnete Anlage oder eigenständige Anlage?(1) bauliche Anlage (+) = Ortsfestigkeit(2) Unterordnung (+)- auch "echter" Wintergarten nur untergeordnete Anlage, da keine selbstständige Existenz möglich- hier zudem: keine Dämmung; kein eigenes Licht; Sitzgelegenheit und Lautsprecher = allgemein auch im Garten möglich--> Folge: untergeordnetes Terrassenkonstrukt mit dem Zweck der Nutzung auch bei schlechtem Wetterbb) Ermessensentscheidung(1) Terrassenkonstrukt widerspricht Eigenart der Umgebung- keine vergleichbare Anlage --> sonst auch immer abgelehnt = Widerspruch mit Eigenart der Umgebung liegt vor(2) Rücksichtnahmegebot, § 15 I BauNVO- zumindest optische Beeinträchtigung Nachbar, durch 2,8m hohe Terrassenkonstrukt knapp vor eigenem Grundstück, da auch 2m über Baugrenze gebaut- nach Umfang auch "wintergartenähnlich" und zudem auf Garage = mauerähnliche Gestalt = unzumutbare optische Beeinträchtigung- bzgl. akustischer Beeinträchtigung keine Anhaltspunkte (-)(3) Gebietserhaltungsansprüche anderer Eigentümer bzw. Art. 3 I GG- nach Sachverhalt ähnliche Anlagen immer abgelehnt = Verstoß gegen Art. 3 I GG, wenn jetzt Zulassung (=Selbstbindung der Verwaltung)--> damit auch Gebietserhaltungsanspruch erfasst- zudem Eingriff in Planungshoheit, Art. 28 II GG, da kein gemeindliches Einvernehmen(4) Ergebnis: Ablehnung der Ausnahme nicht ermessenfehlerhaftd) Gemeindliches Einvernehmen, § 31 I, 36 I BauGB?- § 23 V BauNVO als eigenständige flexible Regelnutzung = §§ 31 I, 36 I BauGB (-)d) Bestandschutz wegen genehmigter Garage?- (-), da Wesensveränderung mit Erhöhung der Garage um 2,8m
2. Rechtmäßigkeit Rückbauanordnung, § 65 I 1 LBO (+)- Prüfungsumfang: grnds. formelle und materielle "Bauillegalität" (da hat mich der altmodische Thüringer Ausdruck aus dem Studium erwischt)
a) formelle RW- keine Baugenehmigungaa) Notwendigkeit Baugenehmigung?(1) Genehmigungsbedürftigkeit, §§ 49, 2 I, XIII Nr. 1 LBO(a) bauliche Anlage, § 2 I LBO- überwiegend ortsfest (+)(b) Errichtung (+)- hier keine reine Nutzungsänderung, da Substanzveränderung(2) Genehmigungsfreiheit, § 50 LBO- Anhang Nr. 1 l), m), 12 b) zur LBO = Genehmigungsfreiheitbb) keine Baugenehmigung notwendig- Folge: materielle RW ausreichend bei genehmigungsfreien Anlagen, § 50 V LBO
b) materielle RWaa) Widerspruch zu öffentlich-rechtliche Vorschriften- über Baugrenze gebaut, § 23 I, III BauNVO- zudem Nebenanlage entgegen Eigenart der Umgebung, § 14 I BauNVO- zudem Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot, § 15 I BauNVO- zudem Verstoß gegen Planungshoheit, Art. 28 II GGbb) Vorgezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung ("rechtmäßige Zustände nicht auf andere Weise")- Befreiung nach § 23 V BauNVO (§ 31 I, II BauGB)- nach vorgenannten, zu intensive Eingriffe in Rechte Dritter- bei Ausnahmegenehmigung zudem Gebietserhaltungsanspruch anderer Eigentümer betroffen (bzw. Art. 3 I GG)cc) Ermessen(1) Grundsatz- intendiert bei Vorliegen Voraussetzungen, da vorgezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung(2) Rückbau möglich- nach Sachverständigengutachten Teilrückbau möglich(3) Gesamtrückbau kostet 20.000 EUR- "Scheinfehlerhaft" als irrelevant durch LRA angegeben, aber dann mit Verweis auf Zivilrechtsschutz abgelehnt--> Zivilrechtsschutz als zulässiges Ermessenskriterium, wenn nicht offensichtlich ausgeschlossen--> SEA aus §§ 280 I, 241 II BGB wegen Beratungsfehler möglich- Folge: Kosten zumindest nicht mehr so stark gegen Ermessensausübung(4) Vertrauensschutz wegen Beauftragung privates Unternehmen und dessen Zusage- kein Vertrauensschutz durch private Zusagen, da nach § 50 V 2 LBO Möglichkeit eines Bauvorbescheides gegeben, der (ggf.) Vertrauensschutz geben könntedd) Reformatio in peius- nur Teilrückbau angeordnet- bei Fachaufsicht auf Verböserung zulässig = Anordnung kompletter Rückbau zulässig, da Verstoß Terrassenkonstrukt gegen § 14 I BauNVO- aber: Schreiben lässt erkennen, dass Gemeinde mit Rückbau um 2m zufrieden ist = Achtung Planungshoheit und Verhältnismäßigkeit in § 65 I 1 LBO
III.Kostenentscheidung aus § 80 I 3, III 2 LVwVfG
Rechtsbehelfsbelehrung: Klage innerhalb eines Monats ab Zustellung beim VG Stuttgart
Zusatzaufgabe zum Petitionsrecht1. Zulässigkeit Petition nach Art. 17 GG- Zuständigkeit Petitionsausschuss Landtag, § 35a LV- während Klage unzulässig, § 67 II 1 Nr. 3 LTGO (nach HS 2, erst nach Entscheidung des Gerichts wieder zulässig)- während Widerspruchsverfahren unzulässig, da Unzuständigkeit Land für Petitionsgegenstand, § 67 II 1 Nr. 3 LTGO--> Eingriff Planungshoheit, Art. 28 II GG--> BauGB und BauNVO = Bundesgesetz--> Zuständigkeit Landtag = grnds. Landesgesetzgebung--> Rechtsträger LRA aber Land = mittelbare Betroffenheit des Landes--> je nach Argumentation also (+/-)
2. Übernahme Entscheidungsgewalt durch Ministerium- Ministerium = oberste Baurechtsbehörde, § 46 I Nr. 1 LBO- unbeschränktes Weisungsrecht, § 47 V LBO- Ministerium mit Aufsicht über Regierungspräsidium --> Folge: Weisungsrecht nach § 47 V LBO an Regierungspräsidium--> Nichtbefolgung Weisung und Fristablauf = § 47 V 2 LBO = Eigenvornahme Ministerium- Folge: Übernahme durch Ministerium möglich
Danke, Dartus! Ich traue mich fast nicht, es zu schreiben, aber hast Du möglicherweise einen (winzigen!) Fehler in Deiner Skizze? In die Rechtsbehelfsbelehrung müsste das VG Sigmaringen (§ 1 Abs. 2 AGVwGO), falls ich nichts übersehen habe, oder?
17.06.2021, 16:15
Oh ha, da hätte ich wohl mal in die AGVwGO gucken sollen. :D
17.06.2021, 16:20
17.06.2021, 16:25
Ich bin nur noch frustriert von diesem Examen… hab seit Februar intensiv gelernt, mich gezwungen, Klausuren zu schreiben und kam jetzt mit allen bisher gestellten Fällen nicht zurecht. Öff. Recht ist eigentlich meine Stärke und auch da heute - mit nachlassender Konzentration und Hitze - auch wieder zahlreiche Probleme übersehen bzw falsch gemacht. Ich hab keine Lust mehr.
17.06.2021, 16:27
(17.06.2021, 16:25)Gast-BW schrieb: Ich bin nur noch frustriert von diesem Examen… hab seit Februar intensiv gelernt, mich gezwungen, Klausuren zu schreiben und kam jetzt mit allen bisher gestellten Fällen nicht zurecht. Öff. Recht ist eigentlich meine Stärke und auch da heute - mit nachlassender Konzentration und Hitze - auch wieder zahlreiche Probleme übersehen bzw falsch gemacht. Ich hab keine Lust mehr.
Geht mir genauso. Ich hab einfach nicht in die Klausur gefunden...
17.06.2021, 16:30
Hoffentlich gibt es morgen etwas Schöneres!
17.06.2021, 16:31
Dann kämpft nochmal Morgen und dann habt ihr es geschafft. Eventuell einfach an die frische Luft / Wasser / Ruhe und dann noch einmal Knallgas. Immer bewusst machen, dass es die entscheidende Klausur sein kann! Gutes Gelingen Euch

17.06.2021, 16:31
Noch schöner?
17.06.2021, 16:32
Fand die Klausur in BW gut machbar, hatte aber zeitlich erhebliche Probleme und die Hitze hat das Denken auch noch ausgeschaltet irgendwann

17.06.2021, 16:33
(17.06.2021, 16:27)Gast schrieb:(17.06.2021, 16:25)Gast-BW schrieb: Ich bin nur noch frustriert von diesem Examen… hab seit Februar intensiv gelernt, mich gezwungen, Klausuren zu schreiben und kam jetzt mit allen bisher gestellten Fällen nicht zurecht. Öff. Recht ist eigentlich meine Stärke und auch da heute - mit nachlassender Konzentration und Hitze - auch wieder zahlreiche Probleme übersehen bzw falsch gemacht. Ich hab keine Lust mehr.
Geht mir genauso. Ich hab einfach nicht in die Klausur gefunden...
Schließe mich mal an. Ich hab grad echt keine Kraft mehr. Würd am liebsten die Wahlstation tauchen, um zu lernen, weil ich diese scheiße aber sowas von wiederholen muss.