06.01.2022, 14:38
(06.01.2022, 13:04)omnimodo schrieb: Das Ref ist mE ein schlechter Scherz, eine Aneinanderreihung mehr oder weniger sinnvoller Praktika, deren Ertrag vom Zufall abhängt, ob man einen fähigen Ausbilder hat.
Weiterhin ist die Qualität der AGs ebenfalls durchwachsen, Tendenz eher schlecht.
Wieder einmal zählen die Noten während des Refs quasi 0, was einem auch wenig Anreiz bietet, sich anzustrengen in den Stationen.
Irgendwie weil man denkt es wäre sinnvoll zwängt man auch allen 9 Monate RA auf, wobei da eh quasi alle tauchen können.
Das Examen ist dann losgelöst von den Stationsinhalten und verhält sich zur Realität in etwa so wie Pornos zu Sex. Es werden fragwürdige Skills belohnt (Textbausteinen können).
Praktisch jeden Aspekt der Ausbildung wird man während des ersten Monats im richtigen Job dann schnell überholen oder als nicht mehr zweckmäßig erachten, weil viel zu verschult oder man es dort wo man gelandet ist eben anders macht.
Es ist definitiv ganz dringend nötig nach dem ersten Examen einen umfassenden Einblick und eine umfassende Einfüjrung in die Praxis zu erhalten. Das geht aber auch deutlich einfacher und vor allem muss man keinen zweiten Endgegner wie das zweite Examen einbauen. Es dürften Prüfungen während des Refs genügen, die darstellen, ob man die wesentlichen formalen Dinge anwenden kann und auch materiell noch nicht an Alzheimer erkrankt ist.
Alles Weitere ergibt sich dann im Job, in dem man nach ein paar Wochen dann froh ist, alles andere langsam vergessen zu können.
Ich glaube dieses Gefühl tragen alle Refis mit sich herum. Das Ref hat mich auf das spätere Berufsleben als Volljurist furchtbar abgeturnt. Von Ausbildung kann hier auch nicht mehr die Rede sein. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass ich "verdumme" und habe mich im Vergleich zum Studium in diesen 2 Jahren genau 0 % weiterentwickelt. Hier war tatsächlich niemand, die Anwaltsstation ausgenommen, von dem ich hätte etwas lernen können. Deprimierte Richter, die mir von ihrem Leiden im Hamsterrad berichten und dann noch ältere Staatsanwälte, die darauf bestehen handschriftlich (no joke) zu arbeiten. Die Zeit scheint in der Justiz wirklich stehen geblieben zu sein. Das dann ambitionierte Vorhaben wie die E-Akte scheitern, erklärt sich von selbst.
MMn braucht ausschließlich das Referendariat ein Update. Hier sollte dann step by step auch das Thema Legal Tech einen höheren Stellenwert genießen. Statt Formulare auswendiglernen, Projektarbeit fördern.
Allerdings darf man hier keinen falschen Erwartungen wecken. Juristen werden naturgemäß erzkonservativ erzogen. Schließlich sind wir der Anker in einer komplexen Welt und nunmal nicht der Dynamik der Wirtschaft unterworfen. Bei uns kommt jede Modernisierung gefühlt 20 Jahre später an. Das sollte man sich vor Studienbeginn mal vergegenwärtigen. Wer Spaß an Innovation und Change Management hat, der wird als Jurist untergehen.
06.01.2022, 14:39
(06.01.2022, 13:44)Gast schrieb:(06.01.2022, 13:04)omnimodo schrieb: Das Ref ist mE ein schlechter Scherz, eine Aneinanderreihung mehr oder weniger sinnvoller Praktika, deren Ertrag vom Zufall abhängt, ob man einen fähigen Ausbilder hat.
Weiterhin ist die Qualität der AGs ebenfalls durchwachsen, Tendenz eher schlecht.
Wieder einmal zählen die Noten während des Refs quasi 0, was einem auch wenig Anreiz bietet, sich anzustrengen in den Stationen.
Irgendwie weil man denkt es wäre sinnvoll zwängt man auch allen 9 Monate RA auf, wobei da eh quasi alle tauchen können.
Das Examen ist dann losgelöst von den Stationsinhalten und verhält sich zur Realität in etwa so wie Pornos zu Sex. Es werden fragwürdige Skills belohnt (Textbausteinen können).
Praktisch jeden Aspekt der Ausbildung wird man während des ersten Monats im richtigen Job dann schnell überholen oder als nicht mehr zweckmäßig erachten, weil viel zu verschult oder man es dort wo man gelandet ist eben anders macht.
Es ist definitiv ganz dringend nötig nach dem ersten Examen einen umfassenden Einblick und eine umfassende Einfüjrung in die Praxis zu erhalten. Das geht aber auch deutlich einfacher und vor allem muss man keinen zweiten Endgegner wie das zweite Examen einbauen. Es dürften Prüfungen während des Refs genügen, die darstellen, ob man die wesentlichen formalen Dinge anwenden kann und auch materiell noch nicht an Alzheimer erkrankt ist.
Alles Weitere ergibt sich dann im Job, in dem man nach ein paar Wochen dann froh ist, alles andere langsam vergessen zu können.
+1. So ist es.
Wobei ich das zweite Examen deutlich besser fand als das erste Examen. Man hat einen Fall, der zumindest eine gewisse Nähe zur Praxis hat. Dazu ist die angestrebte Lösung praxisnah und es geht nicht darum, wer am besten den siebenunddreißigsten Meinungsstreit auswendig gelernt hat. Dazu der Rückgriff auf Kommentare, wie man es auch in der Praxis schnell machen würde.
So gesehen würde ich lieber das Studium auf Bachelor-Master umstellen und das Ref mit dem Staatsexamen beibehalten.
Abgesehen davon zielen viele der Reformvorschläge ja darauf ab, dass mehr Leute gute Noten bekommen. Was aber nichts daran ändert, dass die GKs etwa weiterhin die besten 20% wollen. Ähnlich wie die UBs in BWL. Dann wird halt nach anderen Kriterien gefiltert, die im Zweifel noch schlimmer sind als die Examen. Du hast kein 1er Abi und hast nicht an einer Target Uni studiert? Tschüss. Deine Eltern haben dir kein Praktikum bei der Deutschen Bank im dritten Semester verschafft? Tschüss. Du hast am Anfang etwas gebummelt und deswegen drei extra Semester? Tschüss.
Ja, Examen nerven aber es muss jeder durch und eigentlich kann man sich darauf auch vorbereiten. Und auch das Ref kann man vernünftig gestalten mit etwas Eigeninitiative. Verwaltungs- Anwalts- und Wahlstation hat man selbst in der Hand und die AG kann man - wenn sie überhaupt verpflichtend ist - auch regelmäßig umgehen.
08.01.2022, 16:07
Es ist doch sinnvoll, bei der Kritik am deutschen System ins Ausland zu schauen, wie dort die unzweifelhaft zwingende Differenzierung erfolgt und wann.
Wie schon erwähnt finden bei den meisten westeuropäischen Ländern (Frankreich, Spanien, Italien) spezielle Zugangsprüfungen für Richter, Notare, Staatsanwälte etc. statt. Der "Stress" verlagert sich dann auf diese Ebene. Eine Anrechnung der Studienleistungen kann man sich abschminken. Mir ist unklar, wie Anwälte dort sieben, aber vermutlich danach, welche teuer Uni Mama und Papa haben bezahlen können und welche nicht, welche Auslandspraktika man sich hat leisten können und welche nicht etc. Jedenfalls sind die Studienleistungen dort tendenziell genauso "wertlos". Du hast anstelle des generellen 2. Examens halt ein spezielles 2. Examen.
Das zwanghafte oposiciones-System in Spanien führt dazu, dass kompetente Ärzte keine Festanstellungen bekommen, sondern immer nur widerwärtig befristete Verträge.
In den USA werden Richter/Staatsanwälte entweder auf Bundesstaatsebene gewählt (das mag demokratisch sein, aber hat auch mit Meritokratie wenig zu tun) oder von Kommissionen ausgewählt bzw. auf Bundesebene ernannt, wenn es Art. 3-judges sind. Ich sehe absolut nicht, wie in dem US-System und dem UK-System Menschen aus armen Schichten durch Leistung besser aufsteigen können. Ivy-League-Schools kosten ein paar Dollar fünfzig...
Wie schon erwähnt finden bei den meisten westeuropäischen Ländern (Frankreich, Spanien, Italien) spezielle Zugangsprüfungen für Richter, Notare, Staatsanwälte etc. statt. Der "Stress" verlagert sich dann auf diese Ebene. Eine Anrechnung der Studienleistungen kann man sich abschminken. Mir ist unklar, wie Anwälte dort sieben, aber vermutlich danach, welche teuer Uni Mama und Papa haben bezahlen können und welche nicht, welche Auslandspraktika man sich hat leisten können und welche nicht etc. Jedenfalls sind die Studienleistungen dort tendenziell genauso "wertlos". Du hast anstelle des generellen 2. Examens halt ein spezielles 2. Examen.
Das zwanghafte oposiciones-System in Spanien führt dazu, dass kompetente Ärzte keine Festanstellungen bekommen, sondern immer nur widerwärtig befristete Verträge.
In den USA werden Richter/Staatsanwälte entweder auf Bundesstaatsebene gewählt (das mag demokratisch sein, aber hat auch mit Meritokratie wenig zu tun) oder von Kommissionen ausgewählt bzw. auf Bundesebene ernannt, wenn es Art. 3-judges sind. Ich sehe absolut nicht, wie in dem US-System und dem UK-System Menschen aus armen Schichten durch Leistung besser aufsteigen können. Ivy-League-Schools kosten ein paar Dollar fünfzig...
08.01.2022, 18:25
Gerade in Frankreich besuchen die Aspiranten des jeweiligen Fachzweigs (Anwaltsschule, Richterschule etc) idR 6-12monatige class preparatoire (vergleichbar mit unserem Rep) als Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung. Der Vorteil ist , wenn ich mich recht entsinne, dass es nur bestanden oder durchgefallen gibt. Die Durchfallquote der Aufnahmeprüfung an der franz Anwaltsschule beträgt im Schnitt ca 65%. Un Frankreich gibt es ca 60.000 Anwälte, von denen 1/3 im Großraum Paris tätig sind
08.01.2022, 22:41
(08.01.2022, 16:07)Reformator schrieb: Es ist doch sinnvoll, bei der Kritik am deutschen System ins Ausland zu schauen, wie dort die unzweifelhaft zwingende Differenzierung erfolgt und wann.
Wie schon erwähnt finden bei den meisten westeuropäischen Ländern (Frankreich, Spanien, Italien) spezielle Zugangsprüfungen für Richter, Notare, Staatsanwälte etc. statt. Der "Stress" verlagert sich dann auf diese Ebene. Eine Anrechnung der Studienleistungen kann man sich abschminken. Mir ist unklar, wie Anwälte dort sieben, aber vermutlich danach, welche teuer Uni Mama und Papa haben bezahlen können und welche nicht, welche Auslandspraktika man sich hat leisten können und welche nicht etc. Jedenfalls sind die Studienleistungen dort tendenziell genauso "wertlos". Du hast anstelle des generellen 2. Examens halt ein spezielles 2. Examen.
Und noch etwas: ich war in meinem Berufsleben Richter, Staatsanwalt und Ministerialbeamter. Anwalt werde ich garantiert keiner mehr, aber nicht wenige Kollegen eben doch. Ein solcher flexibler Wechsel geht im Ausland oft nicht. Ich finde diese Möglichkeiten bei uns sehr gut.
09.01.2022, 00:22
Demgegenüber funktioniert das Steuerberaterexamen wie die Führerscheinprüfung: Entweder hat man bestanden und kann auf die Menschheit losgelassen werden oder eben nicht. Eine Gesamtnote wird nicht mitgeteilt.
Die Prüfung besteht aus drei sechsstündigen Klausuren und einer mündlichen Prüfung. Die Durchfallquote liegt bei etwa 50 %. Dabei werden aber Kandidaten, die am dritten Prüfungstag ihre Klausur nicht abgeben, nicht mitgezählt. Denn dies gilt als Rücktritt, der nicht auf die drei Versuche angerechnet wird.
Die Prüfung besteht aus drei sechsstündigen Klausuren und einer mündlichen Prüfung. Die Durchfallquote liegt bei etwa 50 %. Dabei werden aber Kandidaten, die am dritten Prüfungstag ihre Klausur nicht abgeben, nicht mitgezählt. Denn dies gilt als Rücktritt, der nicht auf die drei Versuche angerechnet wird.
09.01.2022, 00:45
(08.01.2022, 18:25)Gast schrieb: Gerade in Frankreich besuchen die Aspiranten des jeweiligen Fachzweigs (Anwaltsschule, Richterschule etc) idR 6-12monatige class preparatoire (vergleichbar mit unserem Rep) als Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung. Der Vorteil ist , wenn ich mich recht entsinne, dass es nur bestanden oder durchgefallen gibt. Die Durchfallquote der Aufnahmeprüfung an der franz Anwaltsschule beträgt im Schnitt ca 65%. Un Frankreich gibt es ca 60.000 Anwälte, von denen 1/3 im Großraum Paris tätig sind
Und trotzdem haben doch nicht alle, die bestehen, eine Chance bei Freshfields Paris, oder?
09.01.2022, 01:08
(09.01.2022, 00:22)Gast schrieb: Demgegenüber funktioniert das Steuerberaterexamen wie die Führerscheinprüfung: Entweder hat man bestanden und kann auf die Menschheit losgelassen werden oder eben nicht. Eine Gesamtnote wird nicht mitgeteilt.
Die Prüfung besteht aus drei sechsstündigen Klausuren und einer mündlichen Prüfung. Die Durchfallquote liegt bei etwa 50 %. Dabei werden aber Kandidaten, die am dritten Prüfungstag ihre Klausur nicht abgeben, nicht mitgezählt. Denn dies gilt als Rücktritt, der nicht auf die drei Versuche angerechnet wird.
Ich dachte, auch da werden Noten (im Schulnotensystem) verkündet?
Der Prof. Dr. Juhn, der auf YouTube Videos über Steuerrecht macht, wirbt doch mit seiner Note.
09.01.2022, 01:14
(09.01.2022, 00:45)Gast Gast schrieb:(08.01.2022, 18:25)Gast schrieb: Gerade in Frankreich besuchen die Aspiranten des jeweiligen Fachzweigs (Anwaltsschule, Richterschule etc) idR 6-12monatige class preparatoire (vergleichbar mit unserem Rep) als Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung. Der Vorteil ist , wenn ich mich recht entsinne, dass es nur bestanden oder durchgefallen gibt. Die Durchfallquote der Aufnahmeprüfung an der franz Anwaltsschule beträgt im Schnitt ca 65%. Un Frankreich gibt es ca 60.000 Anwälte, von denen 1/3 im Großraum Paris tätig sind
Und trotzdem haben doch nicht alle, die bestehen, eine Chance bei Freshfields Paris, oder?
Das Durchschnittsgehalt eines RA in Frankreich liegt bei ca 80.000. In Frankreich kommt 1 RA auf ca 1000 Einwohner. In Deutschland 1 RA auf 500 Einwohner. Da aber die RAe mit droit des affaires (Wirtschaftsrecht) und droit fiscal (Steuerrecht) zum Großteil in Paris Lyon verkehren sollten, gehe ich davon aus, dass dieses ansehnliche Durchschnittsgehalt insb durch gut laufende Großkanzleien aus den USA/UK und aus FR (zB Gide, Lefebrvre, Fidal etc) und Boutiquen aus dem Großraum Paris beeinflusst wird.
09.01.2022, 01:26
Das gilt aber nicht nur für FR. In den NL und in Belgien oder Österreich ist die Bevölkerung-RA-Ratio ebenfalls deutlich besser als in Deutschland.