27.11.2024, 08:09
(26.11.2024, 19:01)KnappvorbeiNRW schrieb:(26.11.2024, 18:13)Pontifex Maximus schrieb:Ich glaube, dass es dabei einfach darum geht, dass es den Leuten nicht klar war, dass sie als Richter am VG ca. 50% ihrer Zeit mit Asylsachen verbringen müssen, die ihnen vorher auch niemand wirklich beigebracht hat. An der Uni und im Referat kommt Asylrecht ja quasi nicht vor (ähnlich wie Sozialrecht und Steuerrecht - zwei ganze Gerichtsbarkeit voller Volljuristen, die in ihrer Ausbildung kein Wort über ihre Tätigkeit gelernt haben...).(26.11.2024, 14:29)MichaelJordan schrieb: Ich kenne eine Verwaltungsrichterin, die nun seit kurzem in Pension ist und sehr lange ganz vorrangig Asylsachen gemacht hat.
Die hat sich immer wieder beschwert, was das für eine psychische Belastung ist, wenn man von der Lokalpresse oder Vereinigungen als "Unmensch" und Ähnliches dargestellt wird, obwohl man eben schlicht das Recht anwendet, das einem die Politik (die sich dann auch nicht hinter einen stellt) an die Hand gegeben hat. Sie hat stets gesagt, sie kann sehr gerne andere Entscheidungen treffen, dann müsse man aber eben auch die Gesetze verändern...
Sie hat mir letztlich auch abgeraten, diesen Beruf zu ergreifen, weil sie damit zuletzt gar nicht mehr zufrieden war.
Es ist nur ein einzelnes Beispiel und ich weiß nicht, inwieweit andere Richter(innen) diese psychische Belastung haben, dennoch wollte ich dir das bei deiner Entscheidungsfindung mit auf den Weg geben
Mal ganz unabhängig davon, dass es immer auf die Herkunftsländer ankommt: man muss sich davon einfach frei machen. Andere Leute treffen auch schwere Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf das Leben anderer haben. Es wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch einfach unheimlich viel rumgenörgelt, wenn es um Asylrecht geht…
Die Leute, die Asylrecht von Anfang an interessiert landen in der Wissenschaft oder der Anwaltschaft, aber nur in Ausnahmefällen am VG...
Asylrecht ist - abstrakt - eins der komplexesten Rechtsgebiete, die man so machen kann. Die verschiedenen rechtlichen Regelungen auf den verschiedenen Ebenen der Normenhierachie, stetige Änderungen in den tatsächlichen Gegebenheiten in den Herkunftsländern und dazu ein Gesetzgeber, der am laufenden Band undurchdachte Regelungen in schlecht formulierte (neue) Gesetze fasst...
Auf der anderen Seite aber auch die Tatsache, dass dieses System schamlos ausgenutzt wird und es diverse Leute gibt, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen und dann Asyl beantragen, um erstmal "einen Fuß in der Tür" zu haben. Denn wie hier schon richtig angemerkt: Wenn man erstmal lange genug da ist, findet man schon einen Weg um bleiben zu dürfen wenn man sich nicht zu dumm anstellt. Von daher ist es in vielen Fällen total egal, was der Richter dann genau entscheidet, weil das ganze Verfahren eh nur dazu da ist, um Zeit zu gewinnen. Und wenn einem als Richter erstmal klar wird, dass man (je nachdem welches Herkunftsland man hat) 30-50% de facto verschwendet, hebt das sicherlich nicht die Stimmung.
Und dann kommt dazu natürlich noch die Politik: Mal die (bestenfalls naive) Vorstellung beiseite, dass der Richter das sowieso schon bestehende Recht nur erkennt und da keine eigene Wertung einfließen lässt: Das Asylrecht ist das politisch umstrittenste aller Rechtsgebiete. In unserer Gesellschaft einigen wir uns eher auf die Höhe der Steuern als über den Umgang mit Asylbewerbern. Das führt für den Richter natürlich dazu, dass er von allen Seiten Kritik bekommt: Für die einen ist er ein Unmensch, der verfolgte und gefährdete Menschen zurück in die Gefahr schickt. Für die anderen ist er quasi der verlängerte Arm der Menschenhändler, denen es nur darum geht, das deutsche Volk abzuschaffen.
Von daher ist es schon ein undankbarer Job, den die Richter am VG da machen und ich habe tiefen Respekt für jeden, der es trotzdem noch schafft, tagtäglich motiviert den Job zu machen.
Ich kann nicht wirklich bestätigen, dass man da in irgendeiner Form persönlich (!) "Kritik" bekommt. Wer sich von irgendwelchen BILD Artikeln beeindrucken lässt, darf auch nicht Strafrichter werden, die sowieso alle viel zu lasch sind. Wer natürlich völlig losgelöst vom Tagesgeschehen möglichst nur über Geld entscheiden will, ist in der Regel als reiner Zivilrichter (am besten Amtsgericht, soll ja nicht um zu große Summen gehen) besser aufgehoben, wenn es Richter sein soll. Aber selbst dann stellt man fest, wie oft man es mit persönlichen Schicksalen zu tun hat, die die beteiligten Personen zutiefst betreffen. Vielleicht ist man dann aber von der Persönlichkeit auch nicht für ein derartiges Amt geeignet und sucht sich lieber irgendeine Stelle, in der man nicht durch persönliche Unterschrift oder nun Signatur hinter schwierigen Entscheidungen steht (und auch bereit ist, diese vielleicht in Kurzform einer weinenden Familie ins Gesicht zu begründen).
Ob man Asylrecht mal vorher hatte oder nicht ist unerheblich. Was sollen da ein paar Vorlesungen angesichts der großen Komplexität schon bringen? Die meisten Rechtsgebiete am VG hat einem vorher niemand "beigebracht", oder haben Vermögensrecht, Schulrecht, Vereinsrecht usw. da eine Rolle gespielt?
Man darf es vor allem nicht unterschätzen. Es mag Kammern geben, die ausschließlich bei Syrern noch prüfen, ob nun obendrauf Anspruch auf Flüchtlingseigenschaft besteht. Genauso wie es Kammern gibt, die vornehmlich als sichere Herkunftsländer eingestufte Staaten machen.
Sobald man aber das volle Spektrum mit Ländern hat, die im Weltgeschehen eine aktuelle Rolle spielen, hat man eine ganz andere Tatsachendynamik und Rechtsfragen wie überall sonst auch. Widerrufs- und Rücknahmefälle, Folge- und Zweitanträge (letztere europarechtlich umstritten) ...
Ob man es jetzt als VG Richter persönlich unbedingt spannender finden würde, jeden Sommer Eilanträge von Eltern zu bearbeiten, die unbedingt Filius lieber auf Gymnasium A als B sehen wollen, ist dann wohl persönliche Präferenz ;)
27.11.2024, 09:45
(26.11.2024, 23:56)Spencer schrieb:(26.11.2024, 19:01)KnappvorbeiNRW schrieb:Der Job ist seit 2015 in der Tat nicht attraktiver geworden, sowohl was die Arbeitsbelastung als auch was die Materie angeht. Was zusätzlich demotiviert ist die Scheinheiligkeit der Politik, die einerseits utopisch kurze Verfahrenslaufzeiten fordert, ohne andererseits auch nur ansatzweise das dafür notwendige Personal bereitzustellen. Von der verfassungswidrigen Besoldung fange ich jetzt gar nicht erst an…Angesichts der meisten Länderhaushalte befürchte ich sogar, dass sich die Arbeitsbedingungen eher weiter verschlechtern werden…(26.11.2024, 18:13)Pontifex Maximus schrieb:(26.11.2024, 14:29)MichaelJordan schrieb: Ich kenne eine Verwaltungsrichterin, die nun seit kurzem in Pension ist und sehr lange ganz vorrangig Asylsachen gemacht hat.
Die hat sich immer wieder beschwert, was das für eine psychische Belastung ist, wenn man von der Lokalpresse oder Vereinigungen als "Unmensch" und Ähnliches dargestellt wird, obwohl man eben schlicht das Recht anwendet, das einem die Politik (die sich dann auch nicht hinter einen stellt) an die Hand gegeben hat. Sie hat stets gesagt, sie kann sehr gerne andere Entscheidungen treffen, dann müsse man aber eben auch die Gesetze verändern...
Sie hat mir letztlich auch abgeraten, diesen Beruf zu ergreifen, weil sie damit zuletzt gar nicht mehr zufrieden war.
Es ist nur ein einzelnes Beispiel und ich weiß nicht, inwieweit andere Richter(innen) diese psychische Belastung haben, dennoch wollte ich dir das bei deiner Entscheidungsfindung mit auf den Weg geben
Mal ganz unabhängig davon, dass es immer auf die Herkunftsländer ankommt: man muss sich davon einfach frei machen. Andere Leute treffen auch schwere Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf das Leben anderer haben. Es wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch einfach unheimlich viel rumgenörgelt, wenn es um Asylrecht
Von daher ist es schon ein undankbarer Job, den die Richter am VG da machen und ich habe tiefen Respekt für jeden, der es trotzdem noch schafft, tagtäglich motiviert den Job zu machen.
Der Job ist mehr denn je etwas für Idealisten. Aber selbst von denen verlieren nicht wenige mit der Zeit die Lust.
Das sehe ich anders. Die Personalausstattung der Verwaltungsgerichte ist in den vergangenen Jahren - insbesondere in NRW - kontinuierlich erhöht worden. Zum Jahreswechsel wird es an drei Gerichten nochmal drei neue reine Asylkammern geben. Dass noch mehr Personal immer schön wäre, ist keine Frage. Man darf aber auch nichts ausblenden, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit lange Zeit die Insel der Glückseeligen war, auf der man sich tage- oder wochenlang nur mit einem oder wenigen Verfahren beschäftigen konnte. Das ist auch der Grund, warum viele der (älteren) Kollegen so viel meckern. Auch die Richterschaft ist gefordert, dass ein Umdenken stattfindet, was die eigene Arbeitsweise angeht. Effektiver Rechtsschutz ist nicht nur 130% "richtiger", sondern auch zügiger Rechtsschutz. Das bedeutet dann zB auch, dass man vielleicht auch zwei oder drei Mal im Monat terminiert (und dann auch mal fünf oder sechs und nicht nur zwei Verfahren) und Verfahren einfach zum Abschluss bringt. Ein gutes Beispiel kann man sich da an den abgeordneten Kollegen aus der ordentlichen bzw. der Sozialgerichtsbarkeit nehmen. Die haben einen ganz anderen Zug im Angang der Verfahren, ohne dass es dort Abstriche bei der "Qualität" der Entscheidungen gäbe.
27.11.2024, 10:18
Da gebe ich dir grundsätzlich absolut Recht! Der frühere „VG-Style“ mit ausufernden Entscheidungen und Verfahrensdauern passt nicht zur Belastungssituation der letzten und wohl auch nächsten Jahre. Leider stelle ich ihn häufig gerade bei jüngeren Kollegen fest, die äusserst umständlich zum Ziel kommen, so als müssten sie immer noch ihr mühsam erworbenes Wissen in einer Examensklausur unter Beweis stellen. Und plötzlich lädt man Verfahren, die 5 Jahre alt sind…
Was ich mit der unzureichenden Personalausstattung meinte, sind politische Zielvorgaben von 3 bzw 6 Monaten Verfahrensdauer in Aylverfahren bei gleichzeitig bestehendem erheblichen Altbeständen. Das ist auch mit 3 (und nicht etwa 30) zusätzlichen Asylkammern bei gleichzeitigem Anstieg der Eingangszahlen einfach völlig unrealistisch und mE nur darauf gerichtet, den schwarzen Peter in der Asylfrage zukünftig der Justiz zuzuschieben. Das BAMF bekommt übrigens alleine in diesem Jahr 1160 zusätzliche Stellen …
Um die o.g. Verfahrenslaufzeiten mit der jetzigen Personalausstattung zu erreichen, müsste man die übrige Materie deutlich länger liegen lassen als eh schon und der Bürger wartet dann zukünftig zB 5 Jahre und länger auf seine Baugenehmigung, erstinstanzlich. Das wäre dann mit Art. 19 IVGG nicht mehr vereinbar und ein echtes Konjunkturprogramm für Staatsverdrossenheit.
Was ich mit der unzureichenden Personalausstattung meinte, sind politische Zielvorgaben von 3 bzw 6 Monaten Verfahrensdauer in Aylverfahren bei gleichzeitig bestehendem erheblichen Altbeständen. Das ist auch mit 3 (und nicht etwa 30) zusätzlichen Asylkammern bei gleichzeitigem Anstieg der Eingangszahlen einfach völlig unrealistisch und mE nur darauf gerichtet, den schwarzen Peter in der Asylfrage zukünftig der Justiz zuzuschieben. Das BAMF bekommt übrigens alleine in diesem Jahr 1160 zusätzliche Stellen …
Um die o.g. Verfahrenslaufzeiten mit der jetzigen Personalausstattung zu erreichen, müsste man die übrige Materie deutlich länger liegen lassen als eh schon und der Bürger wartet dann zukünftig zB 5 Jahre und länger auf seine Baugenehmigung, erstinstanzlich. Das wäre dann mit Art. 19 IVGG nicht mehr vereinbar und ein echtes Konjunkturprogramm für Staatsverdrossenheit.
27.11.2024, 12:41
(27.11.2024, 10:18)Spencer schrieb: Da gebe ich dir grundsätzlich absolut Recht! Der frühere „VG-Style“ mit ausufernden Entscheidungen und Verfahrensdauern passt nicht zur Belastungssituation der letzten und wohl auch nächsten Jahre. Leider stelle ich ihn häufig gerade bei jüngeren Kollegen fest, die äusserst umständlich zum Ziel kommen, so als müssten sie immer noch ihr mühsam erworbenes Wissen in einer Examensklausur unter Beweis stellen. Und plötzlich lädt man Verfahren, die 5 Jahre alt sind…
Was ich mit der unzureichenden Personalausstattung meinte, sind politische Zielvorgaben von 3 bzw 6 Monaten Verfahrensdauer in Aylverfahren bei gleichzeitig bestehendem erheblichen Altbeständen. Das ist auch mit 3 (und nicht etwa 30) zusätzlichen Asylkammern bei gleichzeitigem Anstieg der Eingangszahlen einfach völlig unrealistisch und mE nur darauf gerichtet, den schwarzen Peter in der Asylfrage zukünftig der Justiz zuzuschieben. Das BAMF bekommt übrigens alleine in diesem Jahr 1160 zusätzliche Stellen …
Um die o.g. Verfahrenslaufzeiten mit der jetzigen Personalausstattung zu erreichen, müsste man die übrige Materie deutlich länger liegen lassen als eh schon und der Bürger wartet dann zukünftig zB 5 Jahre und länger auf seine Baugenehmigung, erstinstanzlich. Das wäre dann mit Art. 19 IVGG nicht mehr vereinbar und ein echtes Konjunkturprogramm für Staatsverdrossenheit.
Dann sind wir doch einer Meinung! ;)
27.11.2024, 14:17
Das ist bei 2 Juristen schon mal nicht selbstverständlich ;-)