09.10.2024, 17:32
(09.10.2024, 14:25)Ex-GK schrieb:(09.10.2024, 12:12)Freidenkender schrieb:(09.10.2024, 10:38)Ex-GK schrieb: Vorweg: diese Gespräche haben sich ergeben, weil ich bei der Aktenbearbeitung und Begleitung der für mich zuständigen Anwälte zu Verhandlungen, Mandantengespräche, JVA, whatever gemerkt habe, dass das alles etwas mit mir macht. Ich beziehe mich auch ausschließlich auf das klassische Strafrecht (Wirtschaftsstrafrecht schließe ich immer noch nicht ganz aus). Ich kann gerne auch mehr über meine persönlichen Erfahrungen berichten, wenn gewollt. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen bin ich immer mehr von meinem Wunsch Strafverteidiger (STA/Richter kam für mich nicht in Frage) abgerückt. Dann habe ich aber meine Ausbilder und im privaten Umfeld gefragt, wie man bitte mit diesen Themen, die ich persönlich als belastend empfand, umgehen soll, weil es ja offensichtlich möglich ist, ohne in Dauertherapie zu müssen. Zwei Antworten kamen immer, die mE auch richtig sind: man ist der Typ dafür und stumpft auch mit der Zeit ab. Aber auch trotz des Abstumpfens haben so gut wie alle, die ich kenne, in regelmäßigen Abständen "Episoden", in denen sie auch mental ziemlich im Keller sind - liegt dann oft an einem speziellen Fall.
Ich bin nun mal nicht der Typ dafür (da ich gemerkt habe, dass ich die Tätigkeiten insgesamt aus verschiedenen Gründen als psychisch belastend empfand) und ich habe entschieden, dass ich gar nicht abstumpfen will. Ich möchte nicht den Tag erleben, an dem es „normal“ für mich ist, gewisse Bilder zu sehen oder irgendwann festzustellen, dass ich doch nicht abgestumpft bin, dafür aber selbst nicht mehr klarkomme. Das ist mir, bei aller Liebe zu Jura, die Arbeit nicht wert und ich verzichte gerne darauf, etwas inhaltliches interessantes zu machen, um mich selbst zu schützen. Wie schon gesagt, einige Mandanten kommen aus einer Welt, mit der weder ich noch meine Ausbilder täglich zu tun habe; ich bin aber durchaus auch mit Menschen aus eher nicht so guten Umgebungen aufgewachsen und habe daher einen einigermaßen oberflächlichen Einblick dahin, wie ein Aufwachsen abseits der „Mittel- und Oberschicht“ aussehen kann und was für Konsequenzen das für Menschen haben kann. Es ist verständlich, dass man in gewissen Umgebungen etwas „härter“ sein „muss“ als bspw. wenn man in Kronberg aufwächst – damit muss man eben umgehen können. Anfangs macht man auch viele Pflichtmandate, um Übung zu bekommen und sich einen Ruf aufzubauen – klar, man kann auch ein Mandat, dass einem moralisch nicht passt, ablehnen, aber dann fragt das Gericht auch ziemlich bald nie wieder und man schneidet sich sozusagen selbst den Weg, Erfahrung zu sammeln, ab. Zu Beginn wird man auch einiges an Pflichtmandaten mit PKH machen müssen – finanziell ist das nun mal nicht super lukrativ, wäre für mich aber nicht unbedingt ein Faktor gewesen. Sprich: gerade in den ersten Jahren wird man sich idR nicht aussuchen können, was man macht und sollte darauf vorbereitet sein, sämtliche Facetten des Strafrechts kennenzulernen – von betrunkenen Autofahrern bis zum Kindesmissbrauch. Dazu kommt als individueller Faktor, dass ich eine Frau mit kleiner Statur bin (was bei Besuchen in Männer-JVAen immer ein besonderes Erlebnis war) und einen sichtbaren Migrationshintergrund habe – mir wurde mehrfach sehr offen gesagt, dass ich aufgrund dessen durchaus einige Widrigkeiten seitens der Kollegen erleben werde (und auch teilweise schon erleben „durfte“, insbesondere von den männlichen Strafverteidigern, die nicht selten relativ große Egos haben). Ich habe auch keine Lust, nicht nur für meine Mandanten, sondern auch gleichzeitig für mich selbst im Gericht kämpfen zu müssen.
vielen Dank für diesen sehr offenen Einblick!
Vieles was du da schreibst kann ich voll nachvollziehen. Das ging mir auch damals im Kopf rum.
Wir hatten im Rahmen des Refs damals eine sog. Anwaltswoche. Verschiedenste RA aus verschiedenen Rechtsgebieten gaben uns fachlichen Input aus der Praxis, aber es war auch ein großer Block "Berufsberatung" dabei. Ein sehr renommierter Strafrechtler aus München gab uns Einblicke in seinen Alltag. Was der über seinen Berufsstart als Strafverteidiger erzählt hat, wie die Mandantschaft versucht ggf sogar die Lage eines jungen RAs der auf Geschäft angewiesen ist, versucht auszunutzen, das war schon krass. Und bei aller Unschuldsvermutung, die Mehrheit der Mandantschaft hat eine Straftat begangen. Sehr häufig mehrfach und auch keine Kavaliersdelikte. Klare Aussage damals von ihm, war auch, dass er keine Sexualdelikte verteidigt, außer die Mandantschaft ist geständig. Er meinte. "ich kann mir das inzwischen leisten. Ich kann mir diese Akten nicht mehr ansehen und lesen..."
Es hat mich damals sehr bewegt. Es deckt sich auch mit den Erzählungen von Kollegen, die dann in diese Richtung gegangen sind. Man braucht schon ein dickes Fell
Aber trotzdem mein Respekt an alle Kollegen, die es machen
Danke Dir für das Feedback. Ich habe mir diese Art von Offenheit oft selbst von älteren KollegInnen gewünscht und versuche das an die jüngeren KollegInnen weiterzugeben. Das Problem ist mE oft, dass wir alle, besonders aber die Leute in Einzelkämpfer-Jobs, sehr auf die Außendarstellung schauen und damit auch unter KollegInnen diese Offenheit entsprechend nicht entstehen kann. Das führt aber dazu, dass Dinge immer besser dargestellt werden als sie sind und Leute in Jobs wollen, die für sie nichts sind. Dass man mit einer Sache nicht gut zurechtkommt, ist ja keine Schwäche, sondern eine Frage der Persönlichkeit – wir sind halt individuell. Leider impliziert aber immer noch „etwas nicht zu können/wollen“ Schwäche und so redet niemand über die beschissenen Seiten und Belastungen. Insbesondere was Strafrecht betrifft, habe ich oft den Eindruck, dass sehr viele weder wissen, was da auf sie wartet, noch dass sie überhaupt wüssten, wie man sich einen Eindruck verschaffen kann (etwas durch Köln Chorweiler zu laufen reicht ja nicht) – ist man erstmal im Beruf, wird man dann halt nicht selten überrascht.
Deinen Eindruck aus der Anwaltswoche kann ich absolut nachvollziehen, finde es aber auch gut, dass die RAs auch über die Mandanten und nicht nur den Job an sich gesprochen haben. Ich werde nie vergessen, wie meine Gruppe im Gerichtspraktikum bei einer Verhandlung über Vergewaltigung zugeschaut haben und danach mit dem Richter sprechen konnten. Frage war, warum XY Strafmaß getroffen wurde, subjektiv empfunden wäre da „mehr“ drin gewesen. Der Richter hat uns dann ziemlich ungeschönt klar gemacht, dass es natürlich ein Spektrum einer Straftat gibt, was die „Qualität/Intensität“ betrifft und dann Beispiele genannt, bei denen er auch mal die maximal mögliche Strafe verhängt hat. Den meisten von uns wurde ziemlich übel beim Zuhören. Vielleicht etwas geschmacklos, aber nicht ganz sinnfrei: wer das Urteil zum JVA-Mord in Siegburg lesen mag, kann ja mal schauen, wie man sich beim Lesen des Urteils/Sachverhalts fühlt. Dann stelle man sich vor, was alles in der Akte gewesen sein muss und versetzt sich mal kurz in die Lage der STA/Richter/Verteidiger und was diese alles gesehen/gehört/getan haben, bis es zu diesem Urteil kam.
unser Berufsstand neigt dazu sich nach außen stark und unverletzlich zu verkaufen. Aber nur wenige Menschen sind das tatsächlich. Ich arbeite nur schon sehr lange im Arbeitsrecht, inzwischen im Unternehmen und auch da lässt mich nicht jeder Sachverhalt so einfach los. Ich persönlich fände es komisch, wenn es anders wäre, aber das mögen Kolleg:innen auch anders sehen.
Eine Aussage ist mir von dem Strafverteidiger noch im Ohr: "Wenn sie neu als Strafverteidiger anfangen, dann geht ihre Visitenkarte in der JVA um. Darauf können Sie sich verlassen. Es wird auch viele Insassen geben, die sie anrufen. Das sind aber nicht die, die mit der Verteidigung nicht zufrieden waren. Nein, es sind die Insassen, die testen wollen, ob sie ein Verteidiger sind, den sie z.B. zum Schmuggel von Drogen, Handys oder Nachrichten oder anderer krimineller Aktivitäten nutzen können. Es sitzen wenige unschuldige Menschen dort ein, aber viele mit krimineller Energie und mehr davon, als Sie sich vorstellen können. Wenn sie kein gefestigter Charakter sind, dann lassen sie es bitte"
Ich hatte mir im Vorfeld über so was keine Gedanken gemacht, aber es war schlüssig.
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