01.10.2024, 21:25
(01.10.2024, 21:17)Praktiker schrieb: Zuallererst muss die Berufung nicht nur eingelegt werden, sondern auch fristgerecht begründet, sonst ist sie unzulässig. Du meinst vermutlich, dass in der Klausur die Berufungsbegründung zu fertigen ist?
Dann musst Du für jeden Teil des Streitgegenstands und bei Hilfsbegründungen für jede tragende Begründung ausführen, dass das Urteil fehlerhaft ist.
Fehlerhaft kann es sein, wenn das Recht falsch angewandt wurde - insoweit deckt sich die Berufung mit der Revision. Das kann Verfahrensrecht sein, vor allem aber materielles Recht. Das heißt: auf Grundlage der festgestellten Tatsachen hätte sich eine andere Rechtslage ergeben müssen. Du schreibst also z.B.: "Zu Unrecht geht das angegriffene Urteil davon aus, dass dem Kläger auf Grundlage der getroffenen Feststellungen ein Anspruch gegen den Beklagten zusteht. Richtigerweise ist der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig, der Anspruch jedenfalls bereits erfüllt und im Übrigen verjährt. Im Einzelnen: ..."
Der Fehler kann aber auch darin liegen, dass (zusätzlich oder sogar ausschließlich) Tatsachen nicht berücksichtigt wurden, die zu einer anderen Rechtsfolge führen würden, sei es, dass dazu in erster Instanz gar nichts vorgetragen wurde, kein Beweis erhoben wurde, Beweise falsch gewürdigt hat usw. Bei der Revision kann man (außer wenn neu vorgebrachten Tatsachen unstreitig sind) allenfalls erreichen, dass das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen wird, damit die Feststellungen nachgeholt werden. Denn die Revision ist keine Tatsacheninstanz und es werden dort keine Beweise erhoben. Und auch das geht nur über den Umweg, dass falsche Tatsachenfeststellungen auch ein Rechtsfehler sein können.
In der Berufungsinstanz kann man dagegen - früher tatsächlich und heute theoretisch - einen ganz anderen Sachverhalt präsentieren, sodass das Berufungsgericht auf dieser Grundlage zu einer anderen Entscheidung kommt. Theoretisch deshalb, weil das seit der letzten großen Reform eigentlich nicht mehr sein soll.
Als Anwalt musst Du also im Blick haben, warum die neuen Tatsachen noch vorgebracht werde können und das begründen. Beispielsweise
- weil etwas in der ersten Instanz noch gar nicht geschehen war (Vertrag wurde inzwischen angefochten),
- weil das Gericht einen Hinweis unterlassen hatte und man daher keine Veranlassung zum Vortrag hätte,
- oder das Vorbringen würde zu Unrecht zurückgewiesen
usw. (Lies die Paragraphen zur Berufung mal unter dem Gesichtspunkt!).
Wichtig ist auch, dass Zeugen und andere Beweise (anders als bei der Berufung im Strafprozess!) nicht einfach erneut erhoben werden, sondern nur bei konkreten Zweifeln. Die musst Du also in der Berufungsbegründung wecken.
Man könnte schreiben: "Im Übrigen ist der vom Ausgangsgericht zugrundegelegte Sachverhalt auch unrichtig. Auf Grundlage der korrekten Tatsachenfeststellung wäre die Klage abzuweisen gewesen. Zunächst ist der Vertrag, auf den das Urteil den Anspruch stützt, inzwischen angefochten worden. Wegen des irreführenden Hinweises des Ausgangsgerichts, es komme hierauf nicht entscheidend an, ist zudem nicht vorgetragen worden, woraus sich die Nichtigkeit des Vertrags wegen Geschäftsunfähigkeit ergibt. Schließlich ist das Ausgangsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, der Beklagte habe auf sein Anfechtungsrecht verzichtet, denn es hat sich bei der Würdigung der Aussage des Zeugen X nicht mit der Urkunde Seite y befasst. Im Einzelnen:..."
Das so als Erklärung. In der Berufungsbegründung würde ich es umdrehen und zuerst die Tatsachenbasis schaffen und dann die Rechtslage darstellen.
Auch dir herzlichen Dank für diese ausführliche Antwort!
Zum Verständnis, kann nach einem erstinstanzlich ergangenen Urteil ein Vertrag noch angefochten werden oder ist die Anfechtung als Verteidigungsmittel präkludiert?
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