04.09.2024, 13:49
(04.09.2024, 12:33)RefNdsOL schrieb: Zu Letzterem: § 6 I VwGO ist bekannt? Im Übrigen: Wie kommst du zu dem Schluss der Kammervorsitzende könne Vorgaben zu Arbeitszeit und -ort machen? Freilich legt in der Regel der Vorsitzende die Kammertermine fest (sofern nichts anderes vereinbart) und hat weitere Zuständigkeiten, die ihm neben der Verhandlungsführung speziell durch die VwGO zugewiesen ist, bspw. § 80 VIII VwGO. Dabei ist natürlich mit dem Vorsitzenden bspw. Urlaubsplanung und Kammertermine abzustimmen. Im Übrigen steht es einem Richter, unabhängig vom in der ordentlichen oder Fachgerichtsbarkeit stets frei, wie und wo er seine Arbeit verrichtet. Entscheidend ist, dass er sie ordnungsgemäß erledigt und natürlich muss er für Sitzungstermine - sei es als Einzelrichter oder Kammertermine - anwesend sein.Da hast du natürlich mit allem grundsätzlich Recht. Die richterliche Unabhängigkeit garantiert auch unterhalb des Kammervorsitzenden ein selbstbestimmtes Arbeiten.
Ob du jetzt für die gleiche Arbeit aber 2h, 5h, 30h benötigst oder 50h, wie soll dir das denn dein Vorsitzender vorschreiben können?
Selbst wenn du Berichterstatter in einer Kammersache bist, dann richtet sich die Abfassungsfrist für das Urteil nach den gesetzlichen Vorschriften und nicht nach deinem Vorsitzenden. Für die vorbereitende Abfassungen wie Voten oder ähnliches mag es ggf. kammerinterne Absprachen geben. Für deinen Vorsitzenden ist es auch ziemlich uninteressant, wie lange du für etwas benötigst, solange es sich im zulässigen, ggf. vereinbarten, Rahmen bewegt und am Ende ein zielführendes, nutzbares Arbeitsprodukt vorgelegt wird, wodurch die Kammer ihre Arbeit erledigen kann, bspw. das Endurteil oder ein Votum zu einer schwierigen noch zu klärenden Rechtsfrage.
Jetzt kommen wir nach der Theorie aber zu der Lebenswirklichkeit und der Frage, wie Unabhängigkeit gelebt wird. Und das hängt in erster Linie von dir selbst ab:
Kannst du damit leben, wenn du zwar gründlich und gewissenhaft arbeitest und dir die Zeit nimmst, die du bzw. deine Entscheidung brauchst oder nagt es mit der Zeit an dir, wenn andere Kammermitglieder „schlank“ entscheiden, dadurch deutlich mehr erledigen und du am Ende ein voll(er)es Dezernat mit älteren Verfahren hast? Wenn dein autoritärer Vorsitzender sauer ist, weil du für seinen Geschmack zu oft im Homeoffice bist/zu wenig lädst/ erledigst? Weil deine Voten nicht ausführlich genug sind? Wenn du blöde Beurteilungsgespräche hast? Wenn die anderen Kollegen an dir bei Beförderungen an dir vorbeiziehen, ua auch weil sie total freiwillig noch Zusatzaufgaben in der Verwaltung übernehmen oder nach Feierabend noch Referendar-AGs vorbereiten?
Es gibt gerade im Richterbereich viele ungeschriebene Regeln, um die Unabhängigkeit zumindest etwas wieder einzufangen („Wer schreibt, der bleibt“).
Muss man diese Regeln befolgen? Nein. Machen es die meisten? Ja.
Wenn du damit leben kannst, die Folgen eines Nichtbeachtens dieser Regeln zu tragen, musst du dich nicht gross einschränken. Ich kenne allerdings nur wenige, die sich diesem Konformitätsdruck wirklich dauerhaft entziehen können bzw. wollen. Stattdessen beobachte ich bei vielen, gerade jüngeren Kollegen eine Überangepasstheit dicht an der Schmerzgrenze. Frei nach Foucault sind sie ihre eigenen Gefängnisdirektoren.
Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wo er sich in diesem Spannungsverhältnis aus Unabhängigkeit und sozialer (Selbst-) Kontrolle positioniert. Man sollte sich dieser ungeschriebenen Einflüsse auf die innere Unabhängigkeit nur bewusst sein.
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Belastung an den VG - von Braunbaer11 - 04.09.2024, 11:47
RE: Belastung an den VG - von RefNdsOL - 04.09.2024, 12:33
RE: Belastung an den VG - von Spencer - 04.09.2024, 13:49
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