15.07.2024, 09:27
(14.07.2024, 23:41)RefNdsOL schrieb: Dauer bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist sehr unterschiedlich und hängt insbesondere von der Größe des Unternehmens und der Komplexität des Verfahrens ab; zudem muss geklärt werden, ob die Masse für die Kosten des Verfahrens genügt, § 26 I 1 InsO. Das kann je nach dem wie ordentlich die Bücher geführt wurden und ob auch tatsächlich einer möglichen Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachgekommen ist etc. unterschiedlich lange dauern. § 21 II InsO verdeutlicht, dass teilweise weitgehende Maßnahmen getroffen werden müssen, um die tatsächliche Vermögenslage des Schuldners sicher ermitteln zu können. Nicht zuletzt ist natürlich auch die Auslastung des zuständigen Insolvenzgerichtes von Bedeutung, §§ 2, I 1 InsO.
Einzelzwangsvollstreckungen nach ZPO sind grundsätzlich erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig, das heißt nach entsprechendem Beschluss des Insolvenzgerichtes und entsprechender Bekanntmachung, vgl. §§ 87, 89 InsO. Erst mit diesem Beschluss finden die Vorschriften der InsO Anwendung und die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis geht auf den Verwalter über, § 80 I InsO, d.h., sofern noch kein Eröffnungsbeschluss ergangen ist, und bereits das Eigentumsrecht an der Sache begründet wurde, kann bspw. ein Anspruch aus § 985 BGB nach § 883 I ZPO mittels Wegnahme durch den GV und Auskehrung an den Gläubiger vollstreckt werden.
Das setzt aber natürlich eine Klausel voraus, die einen Titel voraussetzt und dabei wird es dann tatsächlich - wie von Praktiker zutreffend ausgeführt - mit Bestimmtheit der Sache bei der Tenorierung schwierig, sofern es sich um ein Massenprodukt und keine Individualanfertigung handelt.
Das funktioniert natürlich dann nicht, falls schon ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde und das Insolvenzgericht vorläufige Maßnahmen nach § 21 InsO getroffen hat, die dem entgegenstehen (erscheint hier nicht der Fall zu sein nach der Schilderung). Im Übrigen kann es gegebenenfalls einen vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 21 II Nr. 1 InsO geben.
Fristsetzung gegenüber dem Unternehmen, selbst dann, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bleibt das Unternehmen schließlich Schuldner seiner Verbindlichkeiten. Die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis geht lediglich auf den Verwalter über, § 80 I InsO, nicht aber die Verbindlichkeiten des Unternehmens.
Hinsichtlich der Anmeldung des Schadensersatzanspruches kommt es drauf an:
Für das aktuelle Kleid:
Sofern der grundsätzlich auszusondernde Gegenstand vor der Eröffnung vom Schuldner oder danach vom Insolvenzverwalter veräußert wurde, besteht ein Anspruch auf Auskehrung der erhaltenen Gegenleistung, soweit sie aussonderbar ist, § 48 InsO - regelmäßig schwierig, solange nicht die Gegenleistung noch aussteht.
Zudem könnte der Besitz an dem Kleid eine ungerechtfertigte Bereicherung darstellen, denn das Herausgabeverlangen stellt letztlich eine Kündigung des Werkvertrages dar, sodass jedenfalls ex-nunc der Rechtsgrund wegfällt und damit ein Anspruch nach § 812 I 2 Alt. 1 BGB besteht.
Das ist insofern von Bedeutung, dass ungerechtfertigte Bereicherungen der Insolvenzmasse, das heißt etwas befindet sich in der Insolvenzmasse, dass nach den §§ 812 ff. BGB herausgegeben werden müsste, eine Masseverbindlichkeit nach § 55 I Nr. 3 InsO darstellt.
Masseverbindlichkeiten sind zusammen mit den Kosten des Insolvenzverfahrens vorweg zu berichtigen, § 53, das heißt sie stellen keine Insolvenzforderung dar, sind nicht zur Tabelle anzumelden und werden nicht mit der Insolvenzquote abgespeist, sondern regelmäßig völlig bedient, ggf. Wertersatz nach § 818 II BGB.
Für ein Ersatzkleid und damit zusammenhängende Kosten (vorausgesetzt es besteht ein Anspruch):
Sofern die Forderung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, ist sie Insolvenzforderung und damit der Gläubiger Insolvenzgläubiger, § 38 InsO, die Geltendmachung bestimmt sich dann nach den §§ 174 ff. durch die Anmeldung der Forderung, anschließender Feststellung und ggf. Teilhabe an der Verteilung der Insolvenzmasse nach §§ 187 ff. InsO.
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zu der Ergänzung:
§ 47 InsO findet erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung. Davor ist es eine ZPO-Zwangsvollstreckung durchzuführen, wozu zuvor natürlich ein Titel erwirkt werden müsste. § 47 InsO ist aber auch ein Pendant zu § 771 ZPO bzw. vielmehr ein Verweis auf diesen, § 47 S. 2 InsO. § 47 InsO sagt lediglich, dass der Gegenstand, an dem jemand ein dingliches Recht hat und der (die Norm setzte es voraus, aber es folgt daraus) und damit nicht zur Insolvenzmasse gehört, nicht als Insolvenzgläubiger iSd § 38 InsO zu behandeln ist. Das heißt auf die Geltendmachung der Herausgabeforderung findet nicht die InsO und damit nicht die §§ 174 ff. InsO Anwendung, sondern die sonst geltenden Gesetze, hier die ZPO-Zwangsvollstreckung. Das heißt, sofern § 47 InsO einschlägig ist, kann dies dem Insolvenzverwalter gegenüber geltend gemacht werden und ggf. auf Herausgabe geklagt werden und/oder dieser erhebt negative Feststellungsklage, im Übrigen gilt für die Klage gegen den Insolvenzverwalter dann § 19a ZPO.
Hinsichtlich des Widerrufes der Lastschrift, könnte man darüber nachdenken, ob das nicht letztlich eine Art Umgehung der InsO-Vorschriften darstellt, indem versucht wird Befriedigung für eine Insolvenzforderung zu erhalten. Dabei erfolgt die Befriedigung zwar nicht durch Rechtshandlung des Schuldners, sondern des Gläubigers, das wird aber in den §§ 129, 130 InsO auch nicht vorausgesetzt. Folglich könnte die Rücklastschrift ggf. anfechtbar sein, nach §§ 129, 130 I 1 Nr. 2 InsO, insbesondere kannte der Gläubiger zum Zeitpunkt der Gläubiger ja die Zahlungsunfähigkeit oder den gestellten Antrag durch die erhaltene Mitteilung. Da bin ich mir aber nicht ganz sicher und müsste man ggf. genauer sich anschauen.
Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort!
Realistisch betrachtet besteht also zusammemfassend leider eine nur sehr geringe Wahrscheinlichkeit die konkreten Kleider pünktlich zum Hochzeitstermin zu bekommen und man muss dann im Nachhinein versuchen, zumindest das Geld wiederzubekommen.
Bezüglich der Masseverbindlichkeit nach § 55 I Nr. 3 InsO: Es handelt sich ja um einen Kaufvertrag und nicht um einen Werkvertrag. Die Schneiderin hat nichts mit dem Unternehmen zu tun. Dieser wird ja nicht durch ein Herausgabeverlangen gekündigt. Es bestehen ja nur dingliche Herausgabeansprüche und die fallen nicht unter § 55 InsO oder?
Hinsichtlich einer möglichen Insolvenzanfechtung wäre es ja dann so, dass der Verwalter dann das Geld vom Mandanten zurückverlangen kann, dieser dann aber ja seinerseits nach §§ 47, 48 bzw. § 55 I Nr. 3 InsO einen Anspruch hätte und man ggf. eine Art Aufrechnung vornehmen könnte
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Vorgehen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens - von Topha795 - 14.07.2024, 16:49
RE: Vorgehen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens - von RefNdsOL - 14.07.2024, 18:16
RE: Vorgehen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens - von Topha795 - 14.07.2024, 21:53
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