26.05.2024, 19:04
Ich - seit 6 Monaten Staatsanwältin in NRW - bin schon sehr überrascht, wie sehr hier seitens der Anwaltschaft und einiger Kollegen aus der Justiz und Verwaltung die Zustände beschönigt werden.
Die R1-Besoldung ist auf den höheren Erfahrungsstufen verfassungswidrig niedrig. Das weiß die EU-Kommission und das weiß auch das Bundesverfassungsgericht. Nur der Politik ist es egal. Zum Berufseinstieg 3.500 euro netto monatlich nach Abzug der PKV zu bekommen, ist absolut in Ordnung. Im weiteren Fortgang lässt die Entwicklung dann aber wirklich zu wünschen übrig. Es mag zwar sein, dass man als Richter oder Staatsanwalt in ländlichen Regionen mit 5000 Euro netto monatlich auf der höchsten Erfahrungsstufe ein vergleichsweise sehr hohes Einkommen hat. Im Falle einer Einverdienerehe mit zwei Kindern ist das Einkommen aber auch alles andere als üppig. Und es wohnt auch nicht jeder Justizangehörige auf dem Land. In den Ballungsräumen wird es schon richtig eng teilweise, trotz Familienzuschlag. Und das bei einem Richter oder Staatsanwalt, der 20 Jahre Berufserfahrung hat und wirklich viel Verantwortung trägt. Das wird der Würde des Amtes einfach nicht gerecht. Es bleibt nunmal dabei, dass das Einkommen das zentrale Mittel der sozialen Differenzierung darstellt. Menschen, die den Staat in so einem sensiblen und wichtigen Bereich verkörpern und repräsentieren, müssen ein Einkommen haben, dass sich platt gesagt, sehen lassen kann. Das hat auch etwas mit Respekt vor dem Amt zu tun. Wenn der Anwalt Mercedes fährt und der Richter Skoda, hat das eine psychologische Wirkung auf die Menschen. Da mag man als Intellektueller drüber stehen, eine soziologische Erkenntnis ist es dennoch.
Jetzt kann jeder natürlich damit kommen, dass man ja nicht verpflichtet ist in die Justiz zu gehen. Und überhaupt die Sicherheit, die Pension und die Beihilfe, bla bla bla. Alles richtig. Aber wenn man als Staatsanwältin ein völlig abgesoffenes Dezernat mit 350 laufenden Ermittlungsverfahren übernimmt und in ein völlig abgewracktes Büro mit Flecken an den Wänden und auf dem Teppich gesetzt wird und dann 60 Stunden pro Woche arbeiten muss, plus Eildienste usw. dann kann einem niemand mehr erzählen, dass der Deal im Großen und Ganzen ja noch in Ordnung wäre und wir Justizangehörigen einfach nur gerne rumheulen würden.
Wenn ein Staatsanwalt in NRW in einem allgemeinen Dezernat Urlaub machen möchte, bedeutet das, dass seine Kollegen aus seiner Abteilung ihn in seinen Sachen vertreten müssen. Da diese Kollegen aber selbst alle völlig abgesoffene Dezernate haben, haben sie natürlich keine Zeit, auch noch den Scheiß ihres Kollegen zu bearbeiten. Die Folge ist, dass nur noch Fristen in die Akten geschrieben werden und der Dezernent der Urlaub hatte, dann in sein Büro zurückkehrt und erstmal verzweifelt die Rückstände der letzten 2-3 Wochen abarbeiten darf. Auch in Krankheitsfällen findet bei uns teilweise keine richtige Vertretung mehr statt. Im Großen und Ganzen werden überhaupt nur noch Eil- und Haftsachen in der Vertretung wirklich bearbeitet. Und man kann es seinen Kollegen nicht einmal übel nehmen, weil die Verfristung der Akten eine reine Notwehrhandlung darstellt.
Hinzukommt, dass ständig Akten verschwinden und aufwendig rekonstruiert werden müssen. Die Geschäftsstellen sind völlig überfordert mit der Masse an Verfahren und dementsprechend leidet auch die Einhaltung der Aktenordnung. Die Akten sind teilweise in einem katastrophalen Zustand, die Aktendeckel sind völlig zerfetzt und die Blätter fliegen lose und chronologisch nicht geordnet in der Akte herum. Damit soll ich als Staatsanwältin dann arbeiten. Wenn ich im Sitzungsdienst bin, kann ich froh sein, wenn in der Handakte überhaupt etwas brauchbares eingeheftet wurde. Die Richter merken es natürlich auch, dass bei uns alles außer Kontrolle gerät, und schimpfen ebenso über die Zustände.
Nicht zu vergessen ist auch, dass sich unter meinen 350 Ermittlungsverfahren auch Verfahren befinden, die es verdient hätten, dass man sich für sie Zeit nimmt. Es ist ja nicht immer nur der 0815 UJs Betrug, wo eh nie ein Täter identifiziert wird. Zeit ist aber absolute Mangelware und wenn man nicht 70 Stunden die Woche arbeiten möchte, muss man dafür sorgen, dass die Akte schnell wieder vom Tisch kommt. Saubere Ermittlungen? Fehlanzeige.
Ich fühle mich insgesamt von meinem Dienstherrn absolut nicht wertgeschätzt, im Gegenteil, die Zustände in den Staatsanwaltschaften in NRW sind beschämend und ein politischer Skandal. Die wenigen Berufseinsteiger, die sich noch für die StA begeistern können, werden einfach nur ausgebeutet und ihr Idealismus wird hemmungslos missbraucht. Wenn die Leute da draußen wirklich wüssten wie Katastrophal die Lage ist, sie würden ganz zurecht von einer veritablen Staatskrise sprechen.
Und jetzt gibt es nunmal nur zwei Möglichkeiten den akuten Personalmangel in der Justiz zu bekämpfen. Entweder man senkt die Notenanforderungen immer weiter oder man erhöht die R-Besoldung auf ein Niveau, das den Anforderungen des Berufs, der Würde des Amtes und der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Die Politik hat sich einfachheitshalber für ersteres entschieden. Wofür braucht es auch schon Prädikatsjuristen in der Justiz?
Ich für meinen Teil bin nach sechs Monaten als Dezernentin in einer NRW-StA dermaßen geschockt und enttäuscht, dass ich erwäge, die Entlassung zu beantragen und in eine Wirtschaftskanzlei zu wechseln, in der ich schon als Referendarin gearbeitet habe. Dort wird auch viel gearbeitet und man hat im Alltag weniger Freiheiten. Da habe ich aber wenigstens ein schönes Büro mit sehr guter IT-Ausstattung, kostenlosen Kaffee und Corporate-Events. Und natürlich ein sechsstelliges Einstiegsgehalt. Solche Entlassungsgesuche häufen sich zuletzt und damit kommt es zu einer echten Zeitenwende. Früher hatte es absoluten Seltenheitswert, wenn ein Dezernent in der Probezeit die Entlassung wollte. Heute wollen selbst die mittelmäßigen Absolventen den Job nicht mehr machen. Aber nein, im Großen und Ganzen ist natürlich alles gut! Vater Staat sorgt für seine Beamten und Systemkritik ist natürlich unangebracht und undankbar!
Wenn ein Staatsanwalt in NRW in einem allgemeinen Dezernat Urlaub machen möchte, bedeutet das, dass seine Kollegen aus seiner Abteilung ihn in seinen Sachen vertreten müssen. Da diese Kollegen aber selbst alle völlig abgesoffene Dezernate haben, haben sie natürlich keine Zeit, auch noch den Scheiß ihres Kollegen zu bearbeiten. Die Folge ist, dass nur noch Fristen in die Akten geschrieben werden und der Dezernent der Urlaub hatte, dann in sein Büro zurückkehrt und erstmal verzweifelt die Rückstände der letzten 2-3 Wochen abarbeiten darf. Auch in Krankheitsfällen findet bei uns teilweise keine richtige Vertretung mehr statt. Im Großen und Ganzen werden überhaupt nur noch Eil- und Haftsachen in der Vertretung wirklich bearbeitet. Und man kann es seinen Kollegen nicht einmal übel nehmen, weil die Verfristung der Akten eine reine Notwehrhandlung darstellt.
Hinzukommt, dass ständig Akten verschwinden und aufwendig rekonstruiert werden müssen. Die Geschäftsstellen sind völlig überfordert mit der Masse an Verfahren und dementsprechend leidet auch die Einhaltung der Aktenordnung. Die Akten sind teilweise in einem katastrophalen Zustand, die Aktendeckel sind völlig zerfetzt und die Blätter fliegen lose und chronologisch nicht geordnet in der Akte herum. Damit soll ich als Staatsanwältin dann arbeiten. Wenn ich im Sitzungsdienst bin, kann ich froh sein, wenn in der Handakte überhaupt etwas brauchbares eingeheftet wurde. Die Richter merken es natürlich auch, dass bei uns alles außer Kontrolle gerät, und schimpfen ebenso über die Zustände.
Nicht zu vergessen ist auch, dass sich unter meinen 350 Ermittlungsverfahren auch Verfahren befinden, die es verdient hätten, dass man sich für sie Zeit nimmt. Es ist ja nicht immer nur der 0815 UJs Betrug, wo eh nie ein Täter identifiziert wird. Zeit ist aber absolute Mangelware und wenn man nicht 70 Stunden die Woche arbeiten möchte, muss man dafür sorgen, dass die Akte schnell wieder vom Tisch kommt. Saubere Ermittlungen? Fehlanzeige.
Ich fühle mich insgesamt von meinem Dienstherrn absolut nicht wertgeschätzt, im Gegenteil, die Zustände in den Staatsanwaltschaften in NRW sind beschämend und ein politischer Skandal. Die wenigen Berufseinsteiger, die sich noch für die StA begeistern können, werden einfach nur ausgebeutet und ihr Idealismus wird hemmungslos missbraucht. Wenn die Leute da draußen wirklich wüssten wie Katastrophal die Lage ist, sie würden ganz zurecht von einer veritablen Staatskrise sprechen.
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Ich für meinen Teil bin nach sechs Monaten als Dezernentin in einer NRW-StA dermaßen geschockt und enttäuscht, dass ich erwäge, die Entlassung zu beantragen und in eine Wirtschaftskanzlei zu wechseln, in der ich schon als Referendarin gearbeitet habe. Dort wird auch viel gearbeitet und man hat im Alltag weniger Freiheiten. Da habe ich aber wenigstens ein schönes Büro mit sehr guter IT-Ausstattung, kostenlosen Kaffee und Corporate-Events. Und natürlich ein sechsstelliges Einstiegsgehalt. Solche Entlassungsgesuche häufen sich zuletzt und damit kommt es zu einer echten Zeitenwende. Früher hatte es absoluten Seltenheitswert, wenn ein Dezernent in der Probezeit die Entlassung wollte. Heute wollen selbst die mittelmäßigen Absolventen den Job nicht mehr machen. Aber nein, im Großen und Ganzen ist natürlich alles gut! Vater Staat sorgt für seine Beamten und Systemkritik ist natürlich unangebracht und undankbar!
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