16.03.2024, 13:40
Hallo miteinander,
ich dachte, ich gebe auch einmal meinen Senf dazu. Ich habe vor einiger Zeit nach wirklich jahrelanger Therapeutensuche die ADHS-Diagnose gestellt bekommen. Einerseits war ich sehr erleichtert, dass der Verdacht endlich von einer fachlich kompetenten Person bestätigt wurde, andererseits nimmt mich der Gedanke, wie viel leichter mir die Examina und mein Leben generell gefallen wären, hätte ich die Diagnose früher erhalten, nach wie vor mit.
Mittlerweile bin ich medikamentös eingestellt und es ist ein unfassbarer Game Changer. Während des Studiums und Refs habe ich gemerkt, dass meine Arbeitsweise erheblich von der meiner Kolleg:innen abweicht und ich ganz anders zu funktionieren scheine als der Rest. Natürlich habe ich das eher negativ wahrgenommen, was darin resultierte, dass ich mich jahrelang geknechtet habe, weil ich immer das Gefühl hatte, hinterher zu laufen und nie zu genügen. Kein Neurologie, Psychiater, Psychotherapeut hat mich ernst genommen, immer mit dem Argument, dass ich mein Leben doch unter Kontrolle hätte und das Studium laufen würde. Es wurde verkannt, dass ich erheblich hinter meinem Potenzial geblieben bin bzw. große Anstrengungen unternehmen musste, im dieses in unserer neurotypischen Welt zu entfalten (mal abgesehen von den Symptomen einer Depression und Essstörung). Ich war auch während des Berufseinstiegs nur bedingt leistungsfähig, ab ca. 16/17 Uhr war meine Konzentration weg, ich wurde immer frustrierter, da mein Job mir wirklich Spaß macht, ab einem gewissen Punkt aber einfach keine, überhaupt keine, kognitive Leistung mehr abrufbar war.
Turns out, dass ich mich durch die Jahre der Schufterei und vor allem der fehlenden Rücksicht auf mein Gehirn, das einfach anders funktioniert, in ein "ADHS-Burn out" manövriert hatte. Irgendwann helfen auch keine Coping-Mechanismen, die man sich über die Jahre hinweg angeeignet hat, mehr. Zusammen mit meiner Therapeutin habe ich daran gearbeitet, weniger zu tun und nicht immer bei allem 120 % zu geben. Beide Examina habe mich mit durchschnittlichen Noten abgelegt, obwohl ich weiß, dass ich zu viel besseren Noten fähig gewesen wäre. Das hat mich lange belastet, mittlerweile bin ich cool damit - zu einer Großkanzlei oder zum Staat wollte ich sowieso nie. Ich sehe nun aber, wie mühelos ich den roten Faden behalten kann, wie leicht es ist, nach kurzen Unterbrechungen wieder konzentriert weiter zu arbeiten und wie unfassbar es ist, dass man Aufgaben einfach beginnen kann, ohne sich erst einen 10minütigen Pep-Talk geben zu müssen, obwohl man die Aufgaben eigentlich mag.
Schon klar - nicht für jeden wirken die Medikamente so positiv wie bei mir und immer gilt natürlich auch, dass man eng mit der Therapeutin bzw. dem Therapeuten zusammen arbeiten sollte, da auch hier ein gewisses Suchtpotenzial besteht. Aber: wenn ihr den Verdacht habt, ADHS zu haben, dann bitte sprecht das mit Expert:innen ab. Und wenn ihr weg geschickt werdet, weil ihr "doch schon ein bestandenes Jurastudium habt" und so "wirkt, als hättet ihr euer Leben auf der Reihe", sucht euch jemand anderen. Ich wünschte wirklich, ich hätte die Diagnose samt Therapie und medikamentöser Einstellung früher erhalten. Ich bereite mich derzeit aufs StB-Examen vor und merke einen so, so erheblichen Unterschied in meiner Arbeitsweise und Konzentrationsfähigkeit, dass ich es nur schwer in Worte fassen kann.
Also: nehmt euch bitte selbst ernst, ignoriert die Menschen, die euch sagen, ihr solltet euch bloß mehr anstrengen und dass es nun mal ein schwieriges Studium sei. Das Leben ist zu kurz um sich so zu quälen.
Liebe Grüße
2468
ich dachte, ich gebe auch einmal meinen Senf dazu. Ich habe vor einiger Zeit nach wirklich jahrelanger Therapeutensuche die ADHS-Diagnose gestellt bekommen. Einerseits war ich sehr erleichtert, dass der Verdacht endlich von einer fachlich kompetenten Person bestätigt wurde, andererseits nimmt mich der Gedanke, wie viel leichter mir die Examina und mein Leben generell gefallen wären, hätte ich die Diagnose früher erhalten, nach wie vor mit.
Mittlerweile bin ich medikamentös eingestellt und es ist ein unfassbarer Game Changer. Während des Studiums und Refs habe ich gemerkt, dass meine Arbeitsweise erheblich von der meiner Kolleg:innen abweicht und ich ganz anders zu funktionieren scheine als der Rest. Natürlich habe ich das eher negativ wahrgenommen, was darin resultierte, dass ich mich jahrelang geknechtet habe, weil ich immer das Gefühl hatte, hinterher zu laufen und nie zu genügen. Kein Neurologie, Psychiater, Psychotherapeut hat mich ernst genommen, immer mit dem Argument, dass ich mein Leben doch unter Kontrolle hätte und das Studium laufen würde. Es wurde verkannt, dass ich erheblich hinter meinem Potenzial geblieben bin bzw. große Anstrengungen unternehmen musste, im dieses in unserer neurotypischen Welt zu entfalten (mal abgesehen von den Symptomen einer Depression und Essstörung). Ich war auch während des Berufseinstiegs nur bedingt leistungsfähig, ab ca. 16/17 Uhr war meine Konzentration weg, ich wurde immer frustrierter, da mein Job mir wirklich Spaß macht, ab einem gewissen Punkt aber einfach keine, überhaupt keine, kognitive Leistung mehr abrufbar war.
Turns out, dass ich mich durch die Jahre der Schufterei und vor allem der fehlenden Rücksicht auf mein Gehirn, das einfach anders funktioniert, in ein "ADHS-Burn out" manövriert hatte. Irgendwann helfen auch keine Coping-Mechanismen, die man sich über die Jahre hinweg angeeignet hat, mehr. Zusammen mit meiner Therapeutin habe ich daran gearbeitet, weniger zu tun und nicht immer bei allem 120 % zu geben. Beide Examina habe mich mit durchschnittlichen Noten abgelegt, obwohl ich weiß, dass ich zu viel besseren Noten fähig gewesen wäre. Das hat mich lange belastet, mittlerweile bin ich cool damit - zu einer Großkanzlei oder zum Staat wollte ich sowieso nie. Ich sehe nun aber, wie mühelos ich den roten Faden behalten kann, wie leicht es ist, nach kurzen Unterbrechungen wieder konzentriert weiter zu arbeiten und wie unfassbar es ist, dass man Aufgaben einfach beginnen kann, ohne sich erst einen 10minütigen Pep-Talk geben zu müssen, obwohl man die Aufgaben eigentlich mag.
Schon klar - nicht für jeden wirken die Medikamente so positiv wie bei mir und immer gilt natürlich auch, dass man eng mit der Therapeutin bzw. dem Therapeuten zusammen arbeiten sollte, da auch hier ein gewisses Suchtpotenzial besteht. Aber: wenn ihr den Verdacht habt, ADHS zu haben, dann bitte sprecht das mit Expert:innen ab. Und wenn ihr weg geschickt werdet, weil ihr "doch schon ein bestandenes Jurastudium habt" und so "wirkt, als hättet ihr euer Leben auf der Reihe", sucht euch jemand anderen. Ich wünschte wirklich, ich hätte die Diagnose samt Therapie und medikamentöser Einstellung früher erhalten. Ich bereite mich derzeit aufs StB-Examen vor und merke einen so, so erheblichen Unterschied in meiner Arbeitsweise und Konzentrationsfähigkeit, dass ich es nur schwer in Worte fassen kann.
Also: nehmt euch bitte selbst ernst, ignoriert die Menschen, die euch sagen, ihr solltet euch bloß mehr anstrengen und dass es nun mal ein schwieriges Studium sei. Das Leben ist zu kurz um sich so zu quälen.
Liebe Grüße
2468
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ADS im Ref - wie macht ihr es? - von wundertüte - 19.04.2023, 21:32
RE: ADS im Ref - wie macht ihr es? - von D77 - 20.04.2023, 11:26
RE: ADS im Ref - wie macht ihr es? - von wundertüte - 20.04.2023, 12:04
RE: ADS im Ref - wie macht ihr es? - von Cenaira - 20.04.2023, 13:11
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RE: ADS im Ref - wie macht ihr es? - von refaref22 - 20.04.2023, 17:04
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RE: ADS im Ref - wie macht ihr es? - von Juralone - 08.05.2023, 10:15
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RE: ADS im Ref - wie macht ihr es? - von I-NRW - 08.06.2024, 17:06
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