18.11.2023, 01:14
(17.11.2023, 11:59)Staatsfeind #1 schrieb: Ich habe zwei kleine Fälle für euch:
Fall 1:
Der Täter X ermordet den Geschädigten Y. Angeklagter Anton beobachtet diesen Mord. Dabei wird der Angeklagte Anton wiederum beobachtet von Zeuge Bilal. Einige Zeit später entsorgt Angeklagter Anton dann die am Tatort liegengelassene Tatwaffe. Dabei wird der Angeklagte Anton nun beobachtet von Zeugen Christian. Die Aussagen der Zeugen Bilal und Christian gelangen in die Ermittlungsakte.
Der durchgehend schweigende Angeklagte Antwon wird wegen Strafvereitelung angeklagt und verurteilt. In der Hauptverhandlung wurde lediglich Zeuge Christian vernommen. Christian hat aber lediglich das Entsorgen der Tatwaffe durch den Angeklagten Anton beobachtet und bezeugt. Das Gericht nimmt in dem Urteil gleichwohl an, dass der Angeklagte Anton den vorhergehenden Mord des Täters X beobachtet hat oder jedenfalls davon wusste. Den Zeugen Bilal erwähnt das Gericht dabei aber nicht.
In Fall 1 kommt mir der Gedanke an die Rüge, das der Inhalt des Urteils nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft ist. Zu naheliegend ist, dass das Gericht die Annahme, der Angeklagte Anton habe den vorhergehenden Mord des Täters X beobachtet, auf die (nur) in der Ermittlungsakte enthaltene Aussage des Zeugen Bilal gestützt.
Oder würde diese Rüge verlangen, dass das Gericht ausdrücklich Bezug nimmt auf ein Beweismittel, das nicht in der Hauptverhandlung eingeführt wurde? Dann könnte das Gericht aber "heimlich" und ganz nach Belieben die Beweismittel aus der Ermittlungsakte berücksichtigen, solange das Gericht dies in dem Urteil unerwähnt lässt. Das Gebot, die Überzeugung nur auf den Inbegriff der Hauptverhandlung zu stützen, ließe sich dann in vielen Fällen reduzieren auf das Verbot, sonstige Beweismittel in den Urteilsgründen zu erwähnen.
Die Relevanz dieses "Erwähnungsverbotes" und damit der Erfolg der Revision wäre dann ggf. davon abhängig, ob solche sonstigen Beweismittel überhaupt in den Ermittlungsakten sind. Siehe hier:
Fall 2:
Wie oben. Aber den Zeugen Bilal gibt es gar nicht. Niemand hat also gesehen, dass der Angeklagte Anton den vorhergehenden Mord des Täters X beobachtet hat. Der Zeuge Christian berichtet in der Hauptverhandlung wieder nur davon, dass der Angeklagte Anton einige Zeit später die die am Tatort liegengelassene Tatwaffe entsorgt hat.
Das Gericht will wieder wegen Strafvereitelung verurteilen. Dafür muss das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte Anton von der horhergehenden Haupttat gewusst haben muss. Fraglich ist dann aber, wie das Gericht zu dieser Überzeugung gekommen sein will.
Dazu drei Varianten:
a.
Das Gericht begründet diese Überzeugung nicht.
b.
Das Gericht argumetiert: "Für das Entsorgen der liegengebliebenen Tatwaffe muss Angeklagter Anton ein Motiv gehabt haben. Dieses Motiv kann nur in der Absicht der Strafvereitelung liegen."
c.
Das Gericht argumentiert: "Der Angeklagte Anton hat innerhalb eines Kriminialitätsschwerpunktes ein in einer großen Blutlache liegendes Messer gefunden. Daraus muss er den Schluss gezogen haben, dass sich hier ein Verbrechen ereignet hat."
In Fall 2 wäre es nun fernliegend, dem Gericht eine auf nicht in die Hauptverhandlung eingeführte Beweismittel gestützte Überzeugungsbildung zu unterstellen. Denn solche sonstigen Beweismittel gibt es jedenfalls in der Ermittlungsakte nicht. Eher würde ich mich daran stören, dass das Gericht nun plötzlich eine Feststellung getroffen hat ("Angeklagter Anton wusste von dem Mord."), zu der das einzige Beweismittel (Zeuge Christian) überhaupt nicht ergiebig ist.
Aber kann in der Revision so einfach gerügt werden, dass ein Beweismittel bezüglich einer bestimmten Tatsache gar nicht ergiebig gewesen ist? Vermutlich nicht. So verstehe ich es hier: "Es kann also nicht gerügt werden, das Gericht habe die Beweise nicht richtig gewürdigt oder der im Urteil festgestellte Sachverhalt entspreche nicht den Zeugenaussagen." (Skript Berliner KG, Seite 33)
Wenn die Zeugenaussagen einigermaßen zutreffend in dem Urteil wiedergegeben sind (das ist also nicht der Streitpunkt), das Gericht dann aber plötzlich eine davon nicht erfasste Feststellung trifft, dann rügt man aber zunächst genau das: Der festgestellte Sachverhalt entspricht nicht den Zeugenaussagen.
Meine Überlegungen:
zu Fall 1: Revision hat Erfolg. Zwar lässt sich nicht feststellen, dass das Gericht die Überzeugung auf die in der Akte enthaltene Aussage des Zeugen Bilal gestützt hat. Aber das Gericht hat die bedeutsame Feststellung, dass der Angeklagte Anton Kenntnis von dem Mord hatte, in keinster Weise begründet.
zu Fall 2a: Revision hat Erfolg. Im Ergebnis wie Fall 1. Das Gericht hätte begründen müssen.
zu Fall 2b: Revision hat keinen Erfolg. Bei den Ausführungen zum subjektiven Tatbestand schließt das Gericht aus den objektiven Begleitumständen. Diese hat die Aussage des Zeugen Christian ergeben.
zu Fall 2c: Revision hat keinen Erfolg. Zwar kann das Gericht hier bei den Ausführungen zum subjektiven Tatbestand nicht auf objektive Begleitumstände zurückgreifen. Vielmehr sind die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand pure Mutmaßungen. Aber diese stehem dem Tatrichter im Wege der freien Beweiswürdigung zu. Der gewürdigte Beweis ist die Aussage des Zeugen Christian, die sich auf das spätere Entsorgen der Tatwaffe bezieht.
Was meint ihr? Habe ich einen Denkfehler?Ich störe mich vor allem an dem oben zitierten Satz aus dem Skript. Meinem Verständnis nach müssen die Feststellungen des Tatgerichts irgendwie plausibel auf die Beweismittel zurückzuführen sein. Wenn das Tatgericht aber nur wilde Spekulationen anstellt, die eben nicht auf die Beweismittel zurückführbar sein können, dann muss ich dazu doch zunächst festhalten, wozu die Beweismittel denn nun überhaupt ergiebig gewesen sind.
Ich denke die Inbegriffsrüge dürfte keinen Erfolg haben. Die Begründung, dass die Feststellung, der A habe den Mord beobachtet, im Widerspruch zum Inhalt der Beweisaufnahme stehe, weil der Zeuge C so nicht ausgesagt habe, bedürfte der vom Revisionsgericht nicht vorzunehmenden Rekonstruktion der Hauptverhandlung, da dieses schließlich feststellen müsste, was der Zeuge C tatsächlich ausgesagt hat und was nicht. Die erfolgreiche Rüge, das Gericht habe sich auf die Aussage des B gestützt, welche nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war dürfte danach nur dann erfolgreich sein, wenn dies aus einem Vergleich der Urteilsgründe mit dem Protokoll ergibt, was tatsächlich voraussetzen dürfte, dass sich das Gericht in den Urteilsgründen auf diese Aussage auch bezieht. Denn andernfalls wäre auch hier eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung erforderlich um zu ermitteln, was sich aus den dort verwendeten Beweismitteln ergeben hat und was nicht.
Ob daneben die Sachrüge Erfolg verspricht oder die unterbliebene Vernehmung des Zeugen B einen (eigenständigen) Verfahrensfehler darstellt, ist m.M.n. keine Frage der Inbegriffsrüge.
Dass sich das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung auf "pure Mutmaßungen" stützen darf, vage ich ganz stark zu bezweifeln. Ebenso erscheint mir der Fall 2 b) sehr fragwürdig. Kann man da wirklich diesen zwingenden Schluss ziehen?
Im Übrigen erscheint mir der Fall nicht so wirklich geeignet, da der Sachverhalt zu lückenhaft ist.
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