20.06.2024, 08:32
(19.06.2024, 10:15)1Ri schrieb: Da ich selbst am Landgericht in Zivilsachen war, macht man dort definitiv keine zwei Sitzungstage pro Woche und ich kenne auch keinen Kollegen, der regelmäßig mehr als 4 bis 5 Sachen auf den Sitzungstag geladen hat. Im Asylrecht gibt es so gut wie keine unstreitigen Erledigungen, am LG lag die Quote bei mir dagegen bei 1/3 bis 2/3 pro Sitzungstag. Auch die mündlichen Verhandlungen dauern in einem normalen Zivilsachendezernat zwischen 15 Minuten und 1 Stunde, wenn man nicht ausnahmsweise mal Zeugen hört. In Asyl ist doch unter 1 Stunde schon illusorisch, allein schon wegen der Dolmetschung.
Es ist nicht vergleichbar. Zudem gebietet Art. 19 IV GG verbunden mit der beinahe gegebenen Unanfechtbarkeit der Entscheidung ja nun auch eine gewisse andere Prioritätensetzung. Als LG Richter kann ich mir immer sagen, soll es das OLG richtiger machen. Aus dem Grund (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit) ist gegen die ernstinstanzliche VG Asylsache nicht mal die Berufungszulassung möglich.
Aber wenn das der eigene Anspruch sein soll, dann bitte.
Couldn’t agree more!
Aber gleichzeitig natürlich spannend zu sehen, wie das selbe Thema von Kolleg:innen so unterschiedlich bewertet werden kann.
Nochmal zu den „einfachen Ländern“ aka sicheren Herkunftsländern: zum einen gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, sich auch die nicht asylrelevante/erkennbar unglaubhafte Fluchtgeschichte knapp anzuhören, zum anderen liegen hier dann häufiger Probleme bei der Frage nach Abschiebungsverboten. Es kann auch lange dauern, gründlich zu recherchieren, ob Tuberkulose in Guinea behandelbar ist. Ebenso kann eine kritische Befragung in der mV erforderlich sein, wenn behauptet wird, im Herkunftsland bestünden keine familiären Beziehungen mehr und die Sozialleistungen seien nicht erreichbar bzw. unzureichend. Nichts anderes gilt für den Vortrag einer PTBS nach Vergewaltigung etc.. Klar, das ist nicht klassisch „Asyl“ (3,4 AsylG), aber auch arbeitsintensiv. Oft sind die Erkenntnismittel zu den „einfachen Ländern“ dann auch recht knapp bzw unergiebig zu diesen Fragen.
20.06.2024, 11:45
(20.06.2024, 08:32)JungemitTaubenei schrieb:(19.06.2024, 10:15)1Ri schrieb: Da ich selbst am Landgericht in Zivilsachen war, macht man dort definitiv keine zwei Sitzungstage pro Woche und ich kenne auch keinen Kollegen, der regelmäßig mehr als 4 bis 5 Sachen auf den Sitzungstag geladen hat. Im Asylrecht gibt es so gut wie keine unstreitigen Erledigungen, am LG lag die Quote bei mir dagegen bei 1/3 bis 2/3 pro Sitzungstag. Auch die mündlichen Verhandlungen dauern in einem normalen Zivilsachendezernat zwischen 15 Minuten und 1 Stunde, wenn man nicht ausnahmsweise mal Zeugen hört. In Asyl ist doch unter 1 Stunde schon illusorisch, allein schon wegen der Dolmetschung.
Es ist nicht vergleichbar. Zudem gebietet Art. 19 IV GG verbunden mit der beinahe gegebenen Unanfechtbarkeit der Entscheidung ja nun auch eine gewisse andere Prioritätensetzung. Als LG Richter kann ich mir immer sagen, soll es das OLG richtiger machen. Aus dem Grund (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit) ist gegen die ernstinstanzliche VG Asylsache nicht mal die Berufungszulassung möglich.
Aber wenn das der eigene Anspruch sein soll, dann bitte.
Couldn’t agree more!
Aber gleichzeitig natürlich spannend zu sehen, wie das selbe Thema von Kolleg:innen so unterschiedlich bewertet werden kann.
Nochmal zu den „einfachen Ländern“ aka sicheren Herkunftsländern: zum einen gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, sich auch die nicht asylrelevante/erkennbar unglaubhafte Fluchtgeschichte knapp anzuhören, zum anderen liegen hier dann häufiger Probleme bei der Frage nach Abschiebungsverboten. Es kann auch lange dauern, gründlich zu recherchieren, ob Tuberkulose in Guinea behandelbar ist. Ebenso kann eine kritische Befragung in der mV erforderlich sein, wenn behauptet wird, im Herkunftsland bestünden keine familiären Beziehungen mehr und die Sozialleistungen seien nicht erreichbar bzw. unzureichend. Nichts anderes gilt für den Vortrag einer PTBS nach Vergewaltigung etc.. Klar, das ist nicht klassisch „Asyl“ (3,4 AsylG), aber auch arbeitsintensiv. Oft sind die Erkenntnismittel zu den „einfachen Ländern“ dann auch recht knapp bzw unergiebig zu diesen Fragen.
Das sehe ich völlig anders. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet, dass der Kläger sich zu allen entscheidungsrelevaten Tatsachen äußern kann. Dazu gehört eine irrelevante Fluchtgeschichte nicht. Genauso ist es völlig unerheblich, wo jemand zur Schule gegangen, wie er aufgewachsen oder wie das Verhältnis zu den Eltern ist, wenn er keine relevante Fluchtgeschichte vorträgt. Genauso ist es zB mit der von dir erwähnten PTBS. Es gibt eine gesetzgeberiche Vermutung in § 60a Abs. 2c S. 1 AufenthG, dass gesundheitliche Gründe der Abschiebung nicht entgegenstehen. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zu § 60a AufenthG ausdrücklich darauf angestellt, dass eine PTBS in aller Regel nicht zu einem Abschiebungsverbot führen soll. Wenn dann noch nicht einmal ein qualifiziertes Attest i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenhG vorliegt, gibt es auch keinen Anlass, dem weiter nachzugehen. Gleiches gilt für Fälle der offensichtlichen Unbegründetheit. Da hat der Gesetzgeber eine klare Entscheidung getroffen. Es ist nicht Sache des einzelnen Richters, sich darüber hinwegzusetzen, nur weil er anders auf die Fälle schaut.
Es ist völlig richtig, dass man zu den Klägern - gerade in Asylverfahren - in der mV nett ist, ihnen alles erklärt und vernünftig mit ihnen umgeht. Das Gericht ist aber in aussichtslosen Fällen ganz sicher kein allgemeiner Kummerkasten, der sich mal die Lebensgeschichte anhört, weil es sonst keiner tut.
20.06.2024, 18:00
Ich hab mich vielleicht etwas zu pauschal ausgedrückt. Zum rechtlichen Gehör und der Entscheidungserheblichkeit gebe ich dir Recht, wobei ich schon finde, dass man zu den Ausreisegründen auch dann fragen kann, wenn die Angaben in der Sachakte noch nicht überzeugen (Möglichkeit, Widersprüche auszuräumen etc.). Ich denke, um sich völlig unwichtiges für das Verfahren anzuhören, hat niemand Zeit. Die von dir genannten familiären Bindungen können im Übrigen ja sehr wohl relevant werden, wenn es um Art. 3 EMRK geht oder die Abschiebungsandrohung (RückführungsRL als Stichwort).
Genauso wird kaum jemand ohne hinreichendes fachärztliches Attest zum traumaauslösenden Ereignis befragen (wobei wir Instanzgerichte die Anforderungen an 60a Abs. 2c bisweilen verfassungsrechtlich unzulässig überhöhen, wie uns das BVerfG in schöner Regelmäßigkeit mitteilt…).
Das war ja auch gar nicht der Punkt, den ich machen wollte. Ich wollte lediglich sagen, dass auch jenseits der klassischen Asylaspekte (Verfolgungsgefahr, interner Schutz etc) die Asylverfahren zahlreiche Aspekte aufwerfen können, die eine zeitintensive Prüfung erfordern und deshalb 15-20 Verhandlungen in der Woche und sachgerechten Entscheidungen entgegenstehen.
Genauso wird kaum jemand ohne hinreichendes fachärztliches Attest zum traumaauslösenden Ereignis befragen (wobei wir Instanzgerichte die Anforderungen an 60a Abs. 2c bisweilen verfassungsrechtlich unzulässig überhöhen, wie uns das BVerfG in schöner Regelmäßigkeit mitteilt…).
Das war ja auch gar nicht der Punkt, den ich machen wollte. Ich wollte lediglich sagen, dass auch jenseits der klassischen Asylaspekte (Verfolgungsgefahr, interner Schutz etc) die Asylverfahren zahlreiche Aspekte aufwerfen können, die eine zeitintensive Prüfung erfordern und deshalb 15-20 Verhandlungen in der Woche und sachgerechten Entscheidungen entgegenstehen.
Erste Infos zum Bewerbungsverfahren für den Justizdienst findest Du auf den Richter-Infoseiten von Juristenkoffer.de:
https://www.juristenkoffer.de/richter/
Darüber hinaus sollte man sich dann mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Optional besteht zudem die Möglichkeit, auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zuzugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
https://www.juristenkoffer.de/richter/
Darüber hinaus sollte man sich dann mit dem Karriere-Dossier über die Einstellungschancen und Bewerbungsvoraussetzungen informieren. Optional besteht zudem die Möglichkeit, auf die vielen hunderten Erfahrungsberichte anderer Juristen zuzugreifen, die bereits das Bewerbungsverfahren erfolgreich absolviert haben:
https://www.juristenkoffer.de/richter/karriere-dossier-richter-staatsanwalt-werden.php
20.06.2024, 19:20
+ 1!
22.06.2024, 15:17
(19.06.2024, 10:15)1Ri schrieb: Da ich selbst am Landgericht in Zivilsachen war, macht man dort definitiv keine zwei Sitzungstage pro Woche und ich kenne auch keinen Kollegen, der regelmäßig mehr als 4 bis 5 Sachen auf den Sitzungstag geladen hat. Im Asylrecht gibt es so gut wie keine unstreitigen Erledigungen, am LG lag die Quote bei mir dagegen bei 1/3 bis 2/3 pro Sitzungstag. Auch die mündlichen Verhandlungen dauern in einem normalen Zivilsachendezernat zwischen 15 Minuten und 1 Stunde, wenn man nicht ausnahmsweise mal Zeugen hört. In Asyl ist doch unter 1 Stunde schon illusorisch, allein schon wegen der Dolmetschung.
Es ist nicht vergleichbar. Zudem gebietet Art. 19 IV GG verbunden mit der beinahe gegebenen Unanfechtbarkeit der Entscheidung ja nun auch eine gewisse andere Prioritätensetzung. Als LG Richter kann ich mir immer sagen, soll es das OLG richtiger machen. Aus dem Grund (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit) ist gegen die ernstinstanzliche VG Asylsache nicht mal die Berufungszulassung möglich.
Aber wenn das der eigene Anspruch sein soll, dann bitte.
Zwar Off topic, aber bitte bei der Realität bleiben. Natürlich haben Richter am Landgericht in aller Regel 2 Sitzungstage, einen mit der Kammer und einen Einzelrichtertag. Da musst du schon an einem außergewöhnlichen LG gewesen sein
25.06.2024, 09:07
(20.06.2024, 18:00)JungemitTaubenei schrieb: Ich hab mich vielleicht etwas zu pauschal ausgedrückt. Zum rechtlichen Gehör und der Entscheidungserheblichkeit gebe ich dir Recht, wobei ich schon finde, dass man zu den Ausreisegründen auch dann fragen kann, wenn die Angaben in der Sachakte noch nicht überzeugen (Möglichkeit, Widersprüche auszuräumen etc.). Ich denke, um sich völlig unwichtiges für das Verfahren anzuhören, hat niemand Zeit. Die von dir genannten familiären Bindungen können im Übrigen ja sehr wohl relevant werden, wenn es um Art. 3 EMRK geht oder die Abschiebungsandrohung (RückführungsRL als Stichwort).
Genauso wird kaum jemand ohne hinreichendes fachärztliches Attest zum traumaauslösenden Ereignis befragen (wobei wir Instanzgerichte die Anforderungen an 60a Abs. 2c bisweilen verfassungsrechtlich unzulässig überhöhen, wie uns das BVerfG in schöner Regelmäßigkeit mitteilt…).
Das war ja auch gar nicht der Punkt, den ich machen wollte. Ich wollte lediglich sagen, dass auch jenseits der klassischen Asylaspekte (Verfolgungsgefahr, interner Schutz etc) die Asylverfahren zahlreiche Aspekte aufwerfen können, die eine zeitintensive Prüfung erfordern und deshalb 15-20 Verhandlungen in der Woche und sachgerechten Entscheidungen entgegenstehen.
Darauf können wir uns zumindest im Großen und Ganzen einigen, auch wenn die familiären Bindungen zB für junge Männer im Regelfall überhaupt keine Rolle spielen.
Ich bleibe dennoch dabei, dass es mehr als genug Herkunftsländer gibt, insbesondere die sicheren Herkunftsstaaten, bei denen man ohne Probleme 15 bis 20 Verfahren in einer Woche sachgerecht entscheiden kann. Wenn Du zB zehn Verfahren Serbien, Georgien oder Albanien lädst, kommt mindestens die Hälfte schon mal nicht zur mV, der ganz überwiegende Rest hat nichts Relevantes vorzutragen und das eine Verfahren, an dem was dran sein könnte, darum kümmert man sich dann mit der gebotenen Intensität. Wenn der Bescheid des BAMF vernünftig ist (was er in diesen Fällen mittlerweile in aller Regel ist) und man von der gesetzlich ausdrücklich vorgesehen Möglichkeit der Bezugnahme nach § 77 Abs. 3 AsylG Gebraucht macht, ist das Urteil auch schnell fertig.
25.06.2024, 09:46
Gibt es am VG eigentllich auch richtig stressige Phasen?
25.06.2024, 10:12
(25.06.2024, 09:46)Brandenburg92 schrieb: Gibt es am VG eigentllich auch richtig stressige Phasen?
Kommt drauf an, was Du unter stressig verstehst.
Es ist eher selten so, dass Du viele Sachen gleichzeitig machen musst. Das habe ich zB im Ministerium ganz anders erlebt. Da musste man häufig 25 Bälle gleichzeitig in der Luft halten und es waren nicht selten sehr eilige, teilweise sehr komplexe Sachen gleichzeitig zu erledigen. Das kommt am VG im Prinzip nicht vor. Was natürlich mal sein kann, sind dringende Eilverfahren oder Eilverfahren zu ungünstigen Zeitpunkten (sehr beliebt sind Abschiebungen am Wochenende, bei denen Freitag Nachmittag der Eilantrag eingeht). Wenn Du unter stressig allgemein viel/lange arbeiten meinst, passiert das zwischendurch aber natürlich mal, klar. Meiner Erfahrung nach kann man am Gericht aber - auch bei viel Arbeit - seine Tagesstruktur viel besser planen und auch tatsächlich so durchziehen. Wenn es also stressig wird, dann eher im Sinne von lang als von hecktisch.
27.06.2024, 13:37
(22.06.2024, 15:17)RiNrw schrieb:(19.06.2024, 10:15)1Ri schrieb: Da ich selbst am Landgericht in Zivilsachen war, macht man dort definitiv keine zwei Sitzungstage pro Woche und ich kenne auch keinen Kollegen, der regelmäßig mehr als 4 bis 5 Sachen auf den Sitzungstag geladen hat. Im Asylrecht gibt es so gut wie keine unstreitigen Erledigungen, am LG lag die Quote bei mir dagegen bei 1/3 bis 2/3 pro Sitzungstag. Auch die mündlichen Verhandlungen dauern in einem normalen Zivilsachendezernat zwischen 15 Minuten und 1 Stunde, wenn man nicht ausnahmsweise mal Zeugen hört. In Asyl ist doch unter 1 Stunde schon illusorisch, allein schon wegen der Dolmetschung.
Es ist nicht vergleichbar. Zudem gebietet Art. 19 IV GG verbunden mit der beinahe gegebenen Unanfechtbarkeit der Entscheidung ja nun auch eine gewisse andere Prioritätensetzung. Als LG Richter kann ich mir immer sagen, soll es das OLG richtiger machen. Aus dem Grund (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit) ist gegen die ernstinstanzliche VG Asylsache nicht mal die Berufungszulassung möglich.
Aber wenn das der eigene Anspruch sein soll, dann bitte.
Zwar Off topic, aber bitte bei der Realität bleiben. Natürlich haben Richter am Landgericht in aller Regel 2 Sitzungstage, einen mit der Kammer und einen Einzelrichtertag. Da musst du schon an einem außergewöhnlichen LG gewesen sein
Nein, man hat nicht zwingend regelmäßig zwei Sitzungstage die Woche. Je nach Zuständigkeit wird mäßig oder gar nicht als Kammer verhandelt. Trotz Zuständigkeit für Berufung und eine Spezialmaterie, was beides nahezu immer auf der Kammer lief, habe ich nur sehr ausnahmsweise zweimal die Woche verhandelt. Das kann es geben und ist dann schon stressig, aber auf keinen Fall jede Woche.
27.06.2024, 21:21
Also ich habe schon jede Woche zwei Sitzungstage und das kenne ich auch von einigen Kollegen. Ob das dem allgemeinen LG-Schnitt entspricht kann ich aber nicht sagen.