29.03.2024, 15:24
Hey Leute,
hatte zwei kurze Frage zum Revisionsgutachten: Wenn ein Verteidiger während einer Zeugenvernehmung vor einem Schöffengericht den Sitzungssaal für längere Zeit verlässt, ist dann ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO über § 140 StPO oder über § 145 StPO gegeben? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?
Und noch eine kurze Stilfrage: Prüft ihr bei den relativen Revisionsgründen immer die verletzte Verfahrensnorm "iVm § 337 StPO" oder schreibt ihr nur die möglicherweise verletzte Norm in das Gutachten?
Vielen Dank im Voraus!
hatte zwei kurze Frage zum Revisionsgutachten: Wenn ein Verteidiger während einer Zeugenvernehmung vor einem Schöffengericht den Sitzungssaal für längere Zeit verlässt, ist dann ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO über § 140 StPO oder über § 145 StPO gegeben? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?
Und noch eine kurze Stilfrage: Prüft ihr bei den relativen Revisionsgründen immer die verletzte Verfahrensnorm "iVm § 337 StPO" oder schreibt ihr nur die möglicherweise verletzte Norm in das Gutachten?
Vielen Dank im Voraus!
31.03.2024, 08:44
Eine Zeugenvernehmung sollte ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung sein und damit ein Ausbleiben ein absoluter Revisionsgrund sein. Grundsätzlich ergibt sich die Anwesenheitspflicht des Verteidigers aus § 140.
Sollte der Verteidiger mutwillig fernbleiben und das Gericht dies bekannt sein und in Kenntnis dessen die HV fortführen, könnte § 145 die verletzte Verfahrensnorm sein.
Man schreibt immer § 337 / 338 iVm Verfahrensnorm.
Sollte der Verteidiger mutwillig fernbleiben und das Gericht dies bekannt sein und in Kenntnis dessen die HV fortführen, könnte § 145 die verletzte Verfahrensnorm sein.
Man schreibt immer § 337 / 338 iVm Verfahrensnorm.
01.04.2024, 13:52
Ich würde sagen, das kommt auf den Fall drauf an. § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO beschreibt den Fehler, dass ohne den Verteidiger weiterverhandelt wurde, da seine Anwesenheitspflicht aus § 140 StPO missachtet wurde. § 338 Nr. 5 iVm § 145 StPO beschreibt den Fehler, dass das Gericht keinen neuen Verteidiger bestellt hat, obwohl dies nach § 145 StPO notwendig gewesen wäre. Das sind meiner Meinung nach zwei zu unterscheidende Fälle. Aber zur Sicherheit würde ich dir empfehlen einfach nochmal in der Kommentierung im Meyer-Goßner zu den jeweiligen Norm zu schauen, was da zur Revision steht. Gibt doch immer in den letzten Randnummern der Kommentierung was zur Revision. Da sollte die Differenzierung klar draus hervorgehen.
Bei § 337 StPO ist es keine Stilfrage, ob man diesen mitzitiert. Die verletzte Norm ist immer iVm § 337 StPO zu zitieren, da sich erst aus § 337 StPO die Voraussetzung des Beruhens ergibt und erst iVm dieser Voraussetzung ein Revisionsgrund besteht. Die reine Verletzung der Verfahrensnorm genügt für einen Revisionsgrund gerade nicht, wie sich aus § 337 I StPO ergibt. Daher ist § 337 StPO stets mitzuzitieren.
Bei § 337 StPO ist es keine Stilfrage, ob man diesen mitzitiert. Die verletzte Norm ist immer iVm § 337 StPO zu zitieren, da sich erst aus § 337 StPO die Voraussetzung des Beruhens ergibt und erst iVm dieser Voraussetzung ein Revisionsgrund besteht. Die reine Verletzung der Verfahrensnorm genügt für einen Revisionsgrund gerade nicht, wie sich aus § 337 I StPO ergibt. Daher ist § 337 StPO stets mitzuzitieren.
01.04.2024, 14:28
Naja also in dem vom TE gestellten Fall liegt ja zwangsnotwendig neben einem Verstoß gegen 145 auch immer ein Verstoß gegen 140 vor, weil dann eben ohne Verteidiger weiterverhandelt wird, der notwendige Verteidiger also nicht anwesend war. Dass das Gericht einen neuen Verteidiger hätte bestellen müssen ändert ja nichts daran, dass der notwendige Verteidiger in der HV nicht da war bzw. einfach gegangen ist. Die fehlende Neubestellung führt also neben dem Verstoß gegen 145 in dem Fall hier auch zu einem Verstoß gegen 140. Im Grunde handelt es sich auch um den selben Grundverstoß, nämlich das Verhandeln ohne Verteidiger trotz Vorliegens der Voraussetzungen des 140.
Ich halte es deshalb für gangbar in diesem Fall beide Normen zusammen zu prüfen, vllt sogar für richtiger.
Ich halte es deshalb für gangbar in diesem Fall beide Normen zusammen zu prüfen, vllt sogar für richtiger.
01.04.2024, 14:45
Also meiner Ansicht nach sind es schon zwei unterschiedliche Vorwürfe, die die Normverletzungen mit sich bringen. Im Karlsruher Kommentar findet man dazu zwar wenig, aber auch da wird meiner Ansicht nach an zwei unterschiedliche Fälle angeknüpft. Bei § 145 StPO steht explizit, dass die Weiterverhandlung ohne Bestellung eines neuen Verteidigers die Revision nach § 338 Nr. 5 StPO begründet. Bei § 140 StPO steht, dass die Abwesenheit des RA bei einem wesentlichen Teil der HV, egal aus welchem Grund und egal für wie lange, den Revisionsgrund begründet.
Meiner Ansicht nach ist der Unterschied gerade, dass § 145 StPO zwar auch die Abwesenheit des RA betrifft, aber die Pflicht des Gerichts zur Bestellung eines neuen RA in den Fokus stellt und § 145 StPO gerade für den Fall, wo das Gericht keine Neubestellung vornimmt, lex specialis zur allgemeinen Anwesenheitspflicht des § 140 StPO darstellt.
An sich stimme ich dem zu, dass wohl in den meisten Fällen - wobei mir auch kein Ausnahmefall einfällt - beide Normen betroffen sein werden. Den einzigen Fall, in dem sich das vielleicht mal ausspielen kann ist, wenn der Verteidiger gar nicht geladen wurde durch das Gericht. Da wäre m.E.n. nur § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO relevant und nicht § 145 StPO, da der RA nicht nach dem Wortlaut "ausbleibt". KK sagt dazu, dass hierfür eine ordnungsgemäße Ladung relevant ist, um auszubleiben. Selbst eine Verspätung genügt für das Ausbleiben nach § 145 StPO nicht. Ist demnach bei fehlender ordnungegemäßer Ladung der RA nicht gekommen, hat man keinen Verstoß gegen § 145 StPO, trotz fehlender Anwesenheit und nur nach § 140 StPO einen Verstoß. Ebenso, wenn der RA zu spät kommt, ein wesentlicher Teil der HV bereits durchgeführt wurde und nicht wiederholt wurde. Auch das wäre dann nur § 140 StPO und nicht § 145 StPO.
Der Vorwurf an das Gericht ist für mich ein anderer. § 338 Nr. 5 iVm § 145 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hättest hier neu bestellen müssen und hast es nicht getan und dennoch weiterverhandelt!" § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hast einen wesentlichen Teil der HV durchgeführt, obwohl der RA nicht anwesend war trotz notwendiger Verteidigung!".
Kann sein, dass ich hier spezielle Rechtsprechung nicht gesichtet habe, die etwas anderes sagt, aber aus den Kommentierungen des KK und des MüKo ergibt sich für mich diese Differenzierung.
Meiner Ansicht nach ist der Unterschied gerade, dass § 145 StPO zwar auch die Abwesenheit des RA betrifft, aber die Pflicht des Gerichts zur Bestellung eines neuen RA in den Fokus stellt und § 145 StPO gerade für den Fall, wo das Gericht keine Neubestellung vornimmt, lex specialis zur allgemeinen Anwesenheitspflicht des § 140 StPO darstellt.
An sich stimme ich dem zu, dass wohl in den meisten Fällen - wobei mir auch kein Ausnahmefall einfällt - beide Normen betroffen sein werden. Den einzigen Fall, in dem sich das vielleicht mal ausspielen kann ist, wenn der Verteidiger gar nicht geladen wurde durch das Gericht. Da wäre m.E.n. nur § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO relevant und nicht § 145 StPO, da der RA nicht nach dem Wortlaut "ausbleibt". KK sagt dazu, dass hierfür eine ordnungsgemäße Ladung relevant ist, um auszubleiben. Selbst eine Verspätung genügt für das Ausbleiben nach § 145 StPO nicht. Ist demnach bei fehlender ordnungegemäßer Ladung der RA nicht gekommen, hat man keinen Verstoß gegen § 145 StPO, trotz fehlender Anwesenheit und nur nach § 140 StPO einen Verstoß. Ebenso, wenn der RA zu spät kommt, ein wesentlicher Teil der HV bereits durchgeführt wurde und nicht wiederholt wurde. Auch das wäre dann nur § 140 StPO und nicht § 145 StPO.
Der Vorwurf an das Gericht ist für mich ein anderer. § 338 Nr. 5 iVm § 145 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hättest hier neu bestellen müssen und hast es nicht getan und dennoch weiterverhandelt!" § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hast einen wesentlichen Teil der HV durchgeführt, obwohl der RA nicht anwesend war trotz notwendiger Verteidigung!".
Kann sein, dass ich hier spezielle Rechtsprechung nicht gesichtet habe, die etwas anderes sagt, aber aus den Kommentierungen des KK und des MüKo ergibt sich für mich diese Differenzierung.
01.04.2024, 15:23
(01.04.2024, 14:45)Ref´inHessen schrieb: Also meiner Ansicht nach sind es schon zwei unterschiedliche Vorwürfe, die die Normverletzungen mit sich bringen. Im Karlsruher Kommentar findet man dazu zwar wenig, aber auch da wird meiner Ansicht nach an zwei unterschiedliche Fälle angeknüpft. Bei § 145 StPO steht explizit, dass die Weiterverhandlung ohne Bestellung eines neuen Verteidigers die Revision nach § 338 Nr. 5 StPO begründet. Bei § 140 StPO steht, dass die Abwesenheit des RA bei einem wesentlichen Teil der HV, egal aus welchem Grund und egal für wie lange, den Revisionsgrund begründet.
Meiner Ansicht nach ist der Unterschied gerade, dass § 145 StPO zwar auch die Abwesenheit des RA betrifft, aber die Pflicht des Gerichts zur Bestellung eines neuen RA in den Fokus stellt und § 145 StPO gerade für den Fall, wo das Gericht keine Neubestellung vornimmt, lex specialis zur allgemeinen Anwesenheitspflicht des § 140 StPO darstellt.
An sich stimme ich dem zu, dass wohl in den meisten Fällen - wobei mir auch kein Ausnahmefall einfällt - beide Normen betroffen sein werden. Den einzigen Fall, in dem sich das vielleicht mal ausspielen kann ist, wenn der Verteidiger gar nicht geladen wurde durch das Gericht. Da wäre m.E.n. nur § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO relevant und nicht § 145 StPO, da der RA nicht nach dem Wortlaut "ausbleibt". KK sagt dazu, dass hierfür eine ordnungsgemäße Ladung relevant ist, um auszubleiben. Selbst eine Verspätung genügt für das Ausbleiben nach § 145 StPO nicht. Ist demnach bei fehlender ordnungegemäßer Ladung der RA nicht gekommen, hat man keinen Verstoß gegen § 145 StPO, trotz fehlender Anwesenheit und nur nach § 140 StPO einen Verstoß. Ebenso, wenn der RA zu spät kommt, ein wesentlicher Teil der HV bereits durchgeführt wurde und nicht wiederholt wurde. Auch das wäre dann nur § 140 StPO und nicht § 145 StPO.
Der Vorwurf an das Gericht ist für mich ein anderer. § 338 Nr. 5 iVm § 145 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hättest hier neu bestellen müssen und hast es nicht getan und dennoch weiterverhandelt!" § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hast einen wesentlichen Teil der HV durchgeführt, obwohl der RA nicht anwesend war trotz notwendiger Verteidigung!".
Kann sein, dass ich hier spezielle Rechtsprechung nicht gesichtet habe, die etwas anderes sagt, aber aus den Kommentierungen des KK und des MüKo ergibt sich für mich diese Differenzierung.
Ich widerspreche dir nicht. Ich wollte damit nur ausdrücken, dass es jedenfalls mir in dem vom TE gestellten Fall nicht aufstoßen würde, wenn beide Normen zusammen geprüft würden, da sie ja so eng zusammenhängen. Dass man da eine Differenzierung vornehmen kann, will ich auch gar nicht bestreiten. Ich finde das Argument, dass 145 in dem geschilderten Fall spezieller ist, lässt sich gut hören.
Nichtsdestominder ist der Vorwurf - jedenfalls in dem Fall - der Selbe. Wenn du schreibst ,,§ 338 Nr. 5 iVm § 145 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hättest hier neu bestellen müssen und hast es nicht getan und dennoch weiterverhandelt!" § 338 Nr. 5 iVm § 140 StPO normiert den Vorwurf "Gericht, du hast einen wesentlichen Teil der HV durchgeführt, obwohl der RA nicht anwesend war trotz notwendiger Verteidigung!".'', dann verkennst du, dass 338 Nr. 5, egal ob i.V.m 140 oder 145, immer den Vorwurf beschreibt, dass ein wesentlicher Teil der HV durchgeführt wurde, obwohl der notwendige Verteidiger nicht anwesend war. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut von 338 Nr. 5. Der Vorwurf ist also jedenfalls im Sinne von 338 Nr. 5 - und auf dessen Wortlaut kommt es an - gleich. Bei der Begründung des Vorwurfs - und insoweit widerspreche ich dir nicht - kann man durchaus zwischen 140 und 145 differenzieren, halte ich aber nicht für zwingend notwendig, weil - wie bereits gesagt - in dem konkret geschilderten Fall die Verstöße quasi ineinander aufgehen. Natürlich muss man die Normen, in dem Fall hier insbesondere 145, in der Klausur erwähnen und den Fall subsumieren, das will ich gar nicht in Frage stellen.