01.07.2023, 06:20
Hallo!
Ich habe eine vielleicht etwas ungewöhnliche Frage, aber vor meinem Einstieg in die Justiz würde ich ganz gerne mal die Arbeitsweise der anderen Praktiker hier abklopfen, was Notizen, Personal Knowledge Management usw. angeht.
Wieviel habt ihr euch, gerade zu Anfang, an Wissen, Best Practices, Arbeitsabläufen, Akteninhalten etc. notiert und wieviel eurem Gedächtnis überlassen? Ich frage das deshalb, weil ich gerade aus einem Sachbearbeiter-Nebenjob komme und bereits dort an meine Gedächtnisgrenzen gestoßen bin. Will heißen: mir wurden Abläufe von Kollegen erklärt, derer viele, teilweise komplex - und nach einer Weile musste ich feststellen, dass ich mir das einfach unmöglich alles merken kann, ohne dann nochmal und nochmal fragen zu müssen. Meine Lösung war, mir ein umfangreiches eigenes Skript in OneNote zu schreiben und mir dort alles zu notieren, was mir gesagt wurde. Der Trade-off ist natürlich, dass das einige Zeit in Anspruch nimmt. Und von der hat man am Anfang ja nicht gerade viel.
Das gleiche Problem tritt bei der einzelnen Aktenbearbeitung auf: alle Gedanken zu einem Fall notieren, vielleicht sogar in Vermerk-Form - oder darauf vertrauen, dass man sich an seine Gedanken erinnert, wenn man die Wiedervorlage auf dem Tisch hat? Mir fehlt hier natürlich auch die Erfahrung. Kann also sein, dass das Gedächtnis das hinbekommt, nur eben nicht am Anfang, wenn alles neu ist und 1.000 neue Sachen gleichzeitig behalten werden wollen.
Wie handhabt ihr das?
Ich habe eine vielleicht etwas ungewöhnliche Frage, aber vor meinem Einstieg in die Justiz würde ich ganz gerne mal die Arbeitsweise der anderen Praktiker hier abklopfen, was Notizen, Personal Knowledge Management usw. angeht.
Wieviel habt ihr euch, gerade zu Anfang, an Wissen, Best Practices, Arbeitsabläufen, Akteninhalten etc. notiert und wieviel eurem Gedächtnis überlassen? Ich frage das deshalb, weil ich gerade aus einem Sachbearbeiter-Nebenjob komme und bereits dort an meine Gedächtnisgrenzen gestoßen bin. Will heißen: mir wurden Abläufe von Kollegen erklärt, derer viele, teilweise komplex - und nach einer Weile musste ich feststellen, dass ich mir das einfach unmöglich alles merken kann, ohne dann nochmal und nochmal fragen zu müssen. Meine Lösung war, mir ein umfangreiches eigenes Skript in OneNote zu schreiben und mir dort alles zu notieren, was mir gesagt wurde. Der Trade-off ist natürlich, dass das einige Zeit in Anspruch nimmt. Und von der hat man am Anfang ja nicht gerade viel.
Das gleiche Problem tritt bei der einzelnen Aktenbearbeitung auf: alle Gedanken zu einem Fall notieren, vielleicht sogar in Vermerk-Form - oder darauf vertrauen, dass man sich an seine Gedanken erinnert, wenn man die Wiedervorlage auf dem Tisch hat? Mir fehlt hier natürlich auch die Erfahrung. Kann also sein, dass das Gedächtnis das hinbekommt, nur eben nicht am Anfang, wenn alles neu ist und 1.000 neue Sachen gleichzeitig behalten werden wollen.
Wie handhabt ihr das?
01.07.2023, 10:21
Ich versuche, eine Akte möglichst nur einmal zu lesen, in aller Regel erst vor dem Verhandlungstermin. Dabei erstelle ich mir dann in Word einen tabellarischen Aktenspiegel, in dem ich den Vortrag möglichst knapp eintrage, aber ausführlich genug, dass ich später ohne großartiges Blättern in der Akte mir allein anhand des Aktenspiegels den Sachverhalt anschauen kann. Direkt beim Durcharbeiten der Akte schreibe ich in den Aktenspiegel in rot die rechtlichen Aspekte rein, die ich später für die Urteilsabfassung brauche. Beispiel: Beklagter macht ein Zurückbehaltungsrecht geltend, sein Gegenanspruch ist aber nicht fällig, sodass das Zurückbehaltungsrecht nicht greift. Mein Aktenspiegel wird so recht ausführlich (4 - 5 Seiten). Aber ich komme damit gut zurecht.
Wenn es innerhalb des Verfahrensablaufs etwas gibt, was ich mir merken möchte für die weitere Bearbeitung, schreib ich das in Klammern hinter die Verfügung zur Wiedervorlage. Beispiel: Der Kläger erhält auf meinen Hinweis hin die Gelegenheit, seinen Klagevortrag so zu präzisieren, dass der Vortrag überhaupt schlüssig wird. Wenn er das schafft, müsste vielleicht Beweis erhoben werden. Wenn nicht, dann würde ich Verkündungstermin für das klageabweisende Urteil bestimmen. Dann schreibe ich: "Wiedervorlage mit Eingang, spätestens XXX (Beweisbeschluss? Ansonsten VT).
Wenn es innerhalb des Verfahrensablaufs etwas gibt, was ich mir merken möchte für die weitere Bearbeitung, schreib ich das in Klammern hinter die Verfügung zur Wiedervorlage. Beispiel: Der Kläger erhält auf meinen Hinweis hin die Gelegenheit, seinen Klagevortrag so zu präzisieren, dass der Vortrag überhaupt schlüssig wird. Wenn er das schafft, müsste vielleicht Beweis erhoben werden. Wenn nicht, dann würde ich Verkündungstermin für das klageabweisende Urteil bestimmen. Dann schreibe ich: "Wiedervorlage mit Eingang, spätestens XXX (Beweisbeschluss? Ansonsten VT).
01.07.2023, 10:35
Also ich habe mir bei der StA einen ganzen Ordner angelegt, wo ich mir die ganzen Muster abgelegt habe, auch die ganzen Skripte/Mitschriften aus den Fortbildungen. Habe am Anfang aus nahezu jeder Verfügung mir dann eine Vorlage für später gebastelt und bastele bei neuen Situationen immer noch Vorlagen oder optimiere diese. Mittlerweile habe ich soviele Vorlagen, dass ich manchmal nicht weiß, dass ich schon eine Volage habe ;). Später proftiert man ungemein, wenn man das selbst erstellte Muster ziehen kann und sich den Kram nicht neu erstellen muss. Es gibt zwar ein Schreibwerk mit Musterverfügungen und uralte Formulare von älteren Kollegen, aber die decken nicht alles ab. Habe mir auch gelungene Textbausteine zu immer wiederkehrende Situationen, wie Aussage gegen Aussage, nicht aussagebereite Geschädigte, gelungene Bescheide zu immer wieder vorkommende ähnliche Anzeigen (z.B. Situationen, die vom Anzeigenden als Straftat erachtet werden, aber rechtlich keine sind, u.a. häufig bei Bedrohung) abgespeichert.
Bei dicken Akten, wo man seitenlange Vernehmungen mit vielen Straftaten hat, schreibe ich mir, wenn ich die Sache nicht gleich anklagen kann (sondern noch einige Punkte nachermitteln lassen muss) aber glaube, dass die Anklage wahrscheinlicher als eine spätere Einstellung ist, bereits den bisher bekannten Sachverhalt (ggf. mit Fußnote zum Fundort)bereits in einer Formulierung auf, sodass ich nach Rückkehr der Akte, wenn denn anklagereif, nur noch copy and past machen muss und mir so auch einiges an erneuter Lesearbeit erspare, da ich dann nur noch mit den Stellen vergleichen muss, worauf sich die Nachermittlungen bezogen haben. Ich schreibe auch gleich die Formulierung für voraussichtliche Teileinstellungen für §§ 170 II, 154, 154a (für die Nerds: ja dies ist keine Einstellung, sondern eine Beschränkung) auf und die Seiten, die ich später voraussichtlich für die Handakte kopieren lassen will, sowie die Stellen, wo sich in der Akte jeweils der Strafantrag befinden, wenn relative oder absolutes Antragsdelikte dabei (in meinen Dezernat fast immer).
Bei dicken Akten, wo man seitenlange Vernehmungen mit vielen Straftaten hat, schreibe ich mir, wenn ich die Sache nicht gleich anklagen kann (sondern noch einige Punkte nachermitteln lassen muss) aber glaube, dass die Anklage wahrscheinlicher als eine spätere Einstellung ist, bereits den bisher bekannten Sachverhalt (ggf. mit Fußnote zum Fundort)bereits in einer Formulierung auf, sodass ich nach Rückkehr der Akte, wenn denn anklagereif, nur noch copy and past machen muss und mir so auch einiges an erneuter Lesearbeit erspare, da ich dann nur noch mit den Stellen vergleichen muss, worauf sich die Nachermittlungen bezogen haben. Ich schreibe auch gleich die Formulierung für voraussichtliche Teileinstellungen für §§ 170 II, 154, 154a (für die Nerds: ja dies ist keine Einstellung, sondern eine Beschränkung) auf und die Seiten, die ich später voraussichtlich für die Handakte kopieren lassen will, sowie die Stellen, wo sich in der Akte jeweils der Strafantrag befinden, wenn relative oder absolutes Antragsdelikte dabei (in meinen Dezernat fast immer).
01.07.2023, 12:10
Guten Morgen,
zunächst einmal ist deine Frage aus meiner Sicht gar nicht so ungewöhnlich - viele fragen sich zu Beginn, wie sie ihren Alltag strukturieren können.
Hinsichtlich der Arbeitsabläufe dürfte das zumindest im Rahmen der gerichtlichen Tätigkeit (StA kann ich nicht beurteilen) ohne größeren Aufwand möglich sein. Am Anfang steht hier jeder wie der sprichwörtliche "Ochs vorm Berg" und hat eigentlich keine Ahnung was er tut - das Fragen bei Kollegen ist daher in den ersten Monaten unumgänglich aber auch vollkommen in Ordnung - an unserem Gericht gäbe es da glaube ich keinen, der nicht bereitwillig Antworten geben würde.
Ansich sind die Arbeitsabläufe der Richter jedoch für 90 % der Fälle relativ standardisiert (je nach Fachgebiet natürlich unterschiedlich, aber eben immer Standard). Die meisten kommen da auch ohne Skripte und ähnliche Merkhilfen ganz gut rein, sodass ich denke in diesem Bereich wirst du das nicht unbedingt brauchen. Für die mündliche Verhandlung haben die meisten Gerichte (oder wenigstens einige erfahrene Kollegen) Vorlagen, die gerade für die Anfangszeit sehr praktisch sind um keine Formalia zu vergessen. Am besten einfach bei den Kollegen erfragen.
Sollten die paar wenigen Ausnahmefälle eintreten wirst du auch als erfahrener Praktiker ggf. nicht um das Fragen herumkommen, aber auch da dürfte sich immer jemand finden, der das schonmal gemacht hat.
Hier vielleicht noch ein Tipp (weil viele sich auch manchmal nicht trauen zu oft zu fragen): Du wirst in nicht unerheblichen Maße an deinen Erledigungen gemessen und hast wie jeder Mensch nur eine begrenzte Arbeitszeit. Lieber 5 Minuten für eine Frage opfern, als 60 Minuten in Kommentaren und Fachbüchern nach der Antwort suchen, sonst entgleitet dir die Arbeitszeit schneller als du gucken kannst.
Zu deiner zweiten Frage kann ich mich grundsätzlich Leo@ius anschließen.
Im Idealfall jede Akte nur einmal lesen. Alles andere ist zumeist Zeitverschwendung.
Ich mache es in meinem Zivildezernat in den Einzelrichtersachen in der Regel wie folgt: (Die obligatorische Zuständigkeitsprüfung lasse ich mals raus^^)
Ich überfliege jeweils Klage und Klageerwiederung und überlege dann ob ich bereits jetzt ein weiteres Vorgehen bestimmen kann und will oder nicht. Falls nicht warte ich noch die Replik ab.
Spätestens jetzt lese ich die Akte komplett und schreibe mir dabei nebenbei den Tatbestand. So habe ich a) den Akteninhalt sowohl für die mündliche Verhandlung als auch für ein späteres Lesen kompakt zusammengefasst und b) kann ihn bei Notwendigkeit (ggf. ergänzt / geändert bei späteren Änderungen der Sachlage) per Copy/Paste in ein Urteil übernehmen.
Gleichzeitig schreibe ich mir die rechtlichen Erwägungen in Stichsätzen heraus, jeweils mit Beweislastverteilung und ggf. angebotenen Beweismitteln.
Hier darauf achten, dass man nur dass aus eigener Sicht rechtlich erhebliche aufführt - sonst führt man hinterher ggf. vollkommen unnötige Beweisaufnahmen durch (das ist ärgerlich ;)).
Dann schaue ich ob ein Sachverständigenbeweis erhoben werden muss, falls ja: Beweisbeschluss und beten, dass man die Akte innerhalb eines Jahres wiedersieht.
Falls nein: Gottseidank. Dann terminiere ich und lade ggf. Zeugen (auch hier wieder prüfen: Zeugenbeweis wirklich notwendig?).
Ich terminiere grundsätzlich nie ohne die o.g. Vorbereitung - das bringt einen vor dem Termin nur in unnötigen Zugzwang und es ist nicht notwendig. Das Charmante: Wenn ich die Akte zum Termin wiedervorgelegt bekomme, dann habe ich ja bereits meine Terminsvorbereitung abgefasst, die kann ich wenns gar nicht anders geht auch eine Stunde vor dem Termin noch durchlesen und weiß wieder was Sache ist.
Mit dieser Vorgehensweise kriege ich die meisten meiner ER-Sachen (ohne Sachverständigenbeweis) innerhalb von 6-9 Monaten nach Eingang erledigt, was für die vorgenannten (sehr relevanten) Erledigungszahlen nachtürlich nicht schlecht ist.
In Kammersachen sieht das natürlich anders aus. Hier bist du vollends von deinem Vorsitzenden abhängig, dazu kann man hier daher leider kein wirkliches Schema vorstellen, weil ich da echt sehr unterschiedliche Herangehenweisen kennengelernt habe.
Abschließend wünsche ich dir einen guten Einstieg in die Justiz :)
zunächst einmal ist deine Frage aus meiner Sicht gar nicht so ungewöhnlich - viele fragen sich zu Beginn, wie sie ihren Alltag strukturieren können.
Hinsichtlich der Arbeitsabläufe dürfte das zumindest im Rahmen der gerichtlichen Tätigkeit (StA kann ich nicht beurteilen) ohne größeren Aufwand möglich sein. Am Anfang steht hier jeder wie der sprichwörtliche "Ochs vorm Berg" und hat eigentlich keine Ahnung was er tut - das Fragen bei Kollegen ist daher in den ersten Monaten unumgänglich aber auch vollkommen in Ordnung - an unserem Gericht gäbe es da glaube ich keinen, der nicht bereitwillig Antworten geben würde.
Ansich sind die Arbeitsabläufe der Richter jedoch für 90 % der Fälle relativ standardisiert (je nach Fachgebiet natürlich unterschiedlich, aber eben immer Standard). Die meisten kommen da auch ohne Skripte und ähnliche Merkhilfen ganz gut rein, sodass ich denke in diesem Bereich wirst du das nicht unbedingt brauchen. Für die mündliche Verhandlung haben die meisten Gerichte (oder wenigstens einige erfahrene Kollegen) Vorlagen, die gerade für die Anfangszeit sehr praktisch sind um keine Formalia zu vergessen. Am besten einfach bei den Kollegen erfragen.
Sollten die paar wenigen Ausnahmefälle eintreten wirst du auch als erfahrener Praktiker ggf. nicht um das Fragen herumkommen, aber auch da dürfte sich immer jemand finden, der das schonmal gemacht hat.
Hier vielleicht noch ein Tipp (weil viele sich auch manchmal nicht trauen zu oft zu fragen): Du wirst in nicht unerheblichen Maße an deinen Erledigungen gemessen und hast wie jeder Mensch nur eine begrenzte Arbeitszeit. Lieber 5 Minuten für eine Frage opfern, als 60 Minuten in Kommentaren und Fachbüchern nach der Antwort suchen, sonst entgleitet dir die Arbeitszeit schneller als du gucken kannst.
Zu deiner zweiten Frage kann ich mich grundsätzlich Leo@ius anschließen.
Im Idealfall jede Akte nur einmal lesen. Alles andere ist zumeist Zeitverschwendung.
Ich mache es in meinem Zivildezernat in den Einzelrichtersachen in der Regel wie folgt: (Die obligatorische Zuständigkeitsprüfung lasse ich mals raus^^)
Ich überfliege jeweils Klage und Klageerwiederung und überlege dann ob ich bereits jetzt ein weiteres Vorgehen bestimmen kann und will oder nicht. Falls nicht warte ich noch die Replik ab.
Spätestens jetzt lese ich die Akte komplett und schreibe mir dabei nebenbei den Tatbestand. So habe ich a) den Akteninhalt sowohl für die mündliche Verhandlung als auch für ein späteres Lesen kompakt zusammengefasst und b) kann ihn bei Notwendigkeit (ggf. ergänzt / geändert bei späteren Änderungen der Sachlage) per Copy/Paste in ein Urteil übernehmen.
Gleichzeitig schreibe ich mir die rechtlichen Erwägungen in Stichsätzen heraus, jeweils mit Beweislastverteilung und ggf. angebotenen Beweismitteln.
Hier darauf achten, dass man nur dass aus eigener Sicht rechtlich erhebliche aufführt - sonst führt man hinterher ggf. vollkommen unnötige Beweisaufnahmen durch (das ist ärgerlich ;)).
Dann schaue ich ob ein Sachverständigenbeweis erhoben werden muss, falls ja: Beweisbeschluss und beten, dass man die Akte innerhalb eines Jahres wiedersieht.
Falls nein: Gottseidank. Dann terminiere ich und lade ggf. Zeugen (auch hier wieder prüfen: Zeugenbeweis wirklich notwendig?).
Ich terminiere grundsätzlich nie ohne die o.g. Vorbereitung - das bringt einen vor dem Termin nur in unnötigen Zugzwang und es ist nicht notwendig. Das Charmante: Wenn ich die Akte zum Termin wiedervorgelegt bekomme, dann habe ich ja bereits meine Terminsvorbereitung abgefasst, die kann ich wenns gar nicht anders geht auch eine Stunde vor dem Termin noch durchlesen und weiß wieder was Sache ist.
Mit dieser Vorgehensweise kriege ich die meisten meiner ER-Sachen (ohne Sachverständigenbeweis) innerhalb von 6-9 Monaten nach Eingang erledigt, was für die vorgenannten (sehr relevanten) Erledigungszahlen nachtürlich nicht schlecht ist.
In Kammersachen sieht das natürlich anders aus. Hier bist du vollends von deinem Vorsitzenden abhängig, dazu kann man hier daher leider kein wirkliches Schema vorstellen, weil ich da echt sehr unterschiedliche Herangehenweisen kennengelernt habe.
Abschließend wünsche ich dir einen guten Einstieg in die Justiz :)
01.07.2023, 21:35
Vielen Dank für die Antworten!
Also alles eher Richtung mehr aufschreiben. Das dachte ich mir schon fast. Übrigens fange ich wohl zunächst bei der StA an, was die Tipps als Zivilrichter aber nicht weniger wertvoll macht; es geht ja doch "ums Prinzip".
Also alles eher Richtung mehr aufschreiben. Das dachte ich mir schon fast. Übrigens fange ich wohl zunächst bei der StA an, was die Tipps als Zivilrichter aber nicht weniger wertvoll macht; es geht ja doch "ums Prinzip".
01.07.2023, 22:57
(01.07.2023, 12:10)SaroHess schrieb: Guten Morgen,
zunächst einmal ist deine Frage aus meiner Sicht gar nicht so ungewöhnlich - viele fragen sich zu Beginn, wie sie ihren Alltag strukturieren können.
Hinsichtlich der Arbeitsabläufe dürfte das zumindest im Rahmen der gerichtlichen Tätigkeit (StA kann ich nicht beurteilen) ohne größeren Aufwand möglich sein. Am Anfang steht hier jeder wie der sprichwörtliche "Ochs vorm Berg" und hat eigentlich keine Ahnung was er tut - das Fragen bei Kollegen ist daher in den ersten Monaten unumgänglich aber auch vollkommen in Ordnung - an unserem Gericht gäbe es da glaube ich keinen, der nicht bereitwillig Antworten geben würde.
Ansich sind die Arbeitsabläufe der Richter jedoch für 90 % der Fälle relativ standardisiert (je nach Fachgebiet natürlich unterschiedlich, aber eben immer Standard). Die meisten kommen da auch ohne Skripte und ähnliche Merkhilfen ganz gut rein, sodass ich denke in diesem Bereich wirst du das nicht unbedingt brauchen. Für die mündliche Verhandlung haben die meisten Gerichte (oder wenigstens einige erfahrene Kollegen) Vorlagen, die gerade für die Anfangszeit sehr praktisch sind um keine Formalia zu vergessen. Am besten einfach bei den Kollegen erfragen.
Sollten die paar wenigen Ausnahmefälle eintreten wirst du auch als erfahrener Praktiker ggf. nicht um das Fragen herumkommen, aber auch da dürfte sich immer jemand finden, der das schonmal gemacht hat.
Hier vielleicht noch ein Tipp (weil viele sich auch manchmal nicht trauen zu oft zu fragen): Du wirst in nicht unerheblichen Maße an deinen Erledigungen gemessen und hast wie jeder Mensch nur eine begrenzte Arbeitszeit. Lieber 5 Minuten für eine Frage opfern, als 60 Minuten in Kommentaren und Fachbüchern nach der Antwort suchen, sonst entgleitet dir die Arbeitszeit schneller als du gucken kannst.
Zu deiner zweiten Frage kann ich mich grundsätzlich Leo@ius anschließen.
Im Idealfall jede Akte nur einmal lesen. Alles andere ist zumeist Zeitverschwendung.
Ich mache es in meinem Zivildezernat in den Einzelrichtersachen in der Regel wie folgt: (Die obligatorische Zuständigkeitsprüfung lasse ich mals raus^^)
Ich überfliege jeweils Klage und Klageerwiederung und überlege dann ob ich bereits jetzt ein weiteres Vorgehen bestimmen kann und will oder nicht. Falls nicht warte ich noch die Replik ab.
Spätestens jetzt lese ich die Akte komplett und schreibe mir dabei nebenbei den Tatbestand. So habe ich a) den Akteninhalt sowohl für die mündliche Verhandlung als auch für ein späteres Lesen kompakt zusammengefasst und b) kann ihn bei Notwendigkeit (ggf. ergänzt / geändert bei späteren Änderungen der Sachlage) per Copy/Paste in ein Urteil übernehmen.
Gleichzeitig schreibe ich mir die rechtlichen Erwägungen in Stichsätzen heraus, jeweils mit Beweislastverteilung und ggf. angebotenen Beweismitteln.
Hier darauf achten, dass man nur dass aus eigener Sicht rechtlich erhebliche aufführt - sonst führt man hinterher ggf. vollkommen unnötige Beweisaufnahmen durch (das ist ärgerlich ;)).
Dann schaue ich ob ein Sachverständigenbeweis erhoben werden muss, falls ja: Beweisbeschluss und beten, dass man die Akte innerhalb eines Jahres wiedersieht.
Falls nein: Gottseidank. Dann terminiere ich und lade ggf. Zeugen (auch hier wieder prüfen: Zeugenbeweis wirklich notwendig?).
Ich terminiere grundsätzlich nie ohne die o.g. Vorbereitung - das bringt einen vor dem Termin nur in unnötigen Zugzwang und es ist nicht notwendig. Das Charmante: Wenn ich die Akte zum Termin wiedervorgelegt bekomme, dann habe ich ja bereits meine Terminsvorbereitung abgefasst, die kann ich wenns gar nicht anders geht auch eine Stunde vor dem Termin noch durchlesen und weiß wieder was Sache ist.
Mit dieser Vorgehensweise kriege ich die meisten meiner ER-Sachen (ohne Sachverständigenbeweis) innerhalb von 6-9 Monaten nach Eingang erledigt, was für die vorgenannten (sehr relevanten) Erledigungszahlen nachtürlich nicht schlecht ist.
In Kammersachen sieht das natürlich anders aus. Hier bist du vollends von deinem Vorsitzenden abhängig, dazu kann man hier daher leider kein wirkliches Schema vorstellen, weil ich da echt sehr unterschiedliche Herangehenweisen kennengelernt habe.
Abschließend wünsche ich dir einen guten Einstieg in die Justiz :)
Lädst du, wenn Zeugen notwendig sind, diese direkt zum ersten Verhandlungstermin? Besteht da denn dann trotzdem noch Spielraum für Vergleichsverhandlungen?
02.07.2023, 13:29
(01.07.2023, 22:57)Leo@ius schrieb: Lädst du, wenn Zeugen notwendig sind, diese direkt zum ersten Verhandlungstermin? Besteht da denn dann trotzdem noch Spielraum für Vergleichsverhandlungen?
Ja die lade ich direkt zum ersten Verhandlungstermin. Ich würde sagen außer bei Bausachen (die traditionell eh etwas anders ablaufen) habe ich in 95 % der Fälle auch nur einen Verhandlungstermin. Meine Vergleichsquote ändert sich dadurch nicht. Die ist bei mVs mit Zeugen ähnlich hoch wie bei mVs ohne.
Ich führe in der Regel ganz klassisch eine ausgeprägte Güteverhandlung bei der ich meistens (basierend auf Beweislast, Prozesskostenrisiko und Beweisbarkeit von Tatsachenbehauptungen aus meiner Sicht) auch einen konkreten Vergleichsvorschlag (oder zumindest einen Wertkorridor) unterbreite. Manchmal einigen sich die Parteien dann schon bevor die Zeugen überhaupt gehört wurden. Manchmal auf Basis der Zeugenaussagen danach.
Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass die Anwälte auch gerne alles in einem Termin abhandeln wollen und sogar eher gewillt sind, sich zu vergleichen, wenn sie wissen, dass nach Schluss der mV nichts mehr mit vergleichen ist.