06.02.2023, 17:48
(06.02.2023, 16:05)Gast01234 schrieb:(06.02.2023, 15:06)Jura5000 schrieb: Etwas globaler betrachtet. Du hast ein "white girl Problem". Dir wurde alles in den Schoß gelegt, hast deinem Richter Das nachgeeifert. Während des Studiums nicht "gelebt" und es deshalb gemacht, um es deinem Das oder anderen zu beweisen. Das Problem ist, dass du Jura nicht magst. Was möchtest du generell im Leben? Du liest dich nicht belastbar an. Vielleicht wäre es ratsam, wenn du dir professionelle Hilfe holst und kuckst, was wirklich deine Interessen sind. Du musst nicht im Jura Bereich arbeiten. ich wünsche Dir, dass du dein Glück findes
Wow. Was für ein Paradebeispiel für die fehlende Sozialkompetenz in unserem Fachbereich... Da erkennt jemand, dass der eingeschlagene Weg sich im Nachhinein nicht als der beste ergeben hat, denkt laut über mögliche Alternativen nach und fragt um Rat. Und was ist die Reaktion? "Luxus Probleme, du bist selbst schuld, du bist das Problem..." Ist mir einfach nur unverständlich.
Nope. Keine Frage der Schuld. Zwei Examina stehen nicht in einem luftleeren Raum. Die Threaderstellerin hat um Rat gefragt. Mein Rat ist, sie soll sich professionelle Hilfe holen. Es macht ihr nicht Spass, was sie bisher gemacht und sie scheint nicht so belastbar zu sein. Die Wahrheit tut manchmal weh.
06.02.2023, 19:26
(01.02.2023, 16:22)Bepo schrieb: Zunächst einmal ein RIESEN Dankeschön an alle Antworten. Ich finde es super sozial, dass ihr Euch die Zeit genommen habt, über meinen Beitrag nachzudenken und darauf zu antworten. Und ich merke direkt, dass es sich gelohnt hat: Denn ihr habt mir geholfen.
An @Patenter Gast: Du hast mich zum Nachdenken gebracht bzw. den Finger in die Wunde gelegt. Denn ich frage mich auch manchmal, ob ich Jura überhaupt will. Ich gebe zu: ich bin vielleicht etwas kompliziert und es ist sicherlich ein persönliches Problem zwischen mir und Jura. Auf der einen Seite macht mir juristisches Arbeiten Spaß. Ich recherchiere gerne aktuelle Rsprg., sammele Argumente, lege das Gesetz aus und schreibe meine Einschätzung nieder. Schriftsätze schreiben hat mir in der Kanzlei Spaß gemacht. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, nur das zu tun und erst recht nicht mit dem Druck und der Arbeitsbelastung, die regelmäßig mit Berufen in der klassischen Fallbearbeitung einhergehen (Ri, StA, Anwalt). Außerdem kommt meine soziale und kreative Seite leider überhaupt nicht zur Geltung.
„Out oft he box“ denken, klingt nach einem super Rat. Ich glaube, dass dies Teil meines Problems ist. Ich habe mein Studium nie hinterfragt und mein Leben nicht gelebt, keine Interessen neben dem Studium gepflegt, mir nicht erlaubt in mich hineinzuhorchen, was mir Spaß macht, was mich interessiert, etc. Exakt wie von lila-grün beschrieben, habe ich quasi alles dem Studium untergeordnet, ohne dass ich mich als leidenschaftliche Juristin bezeichnen würde. Aber der Ehrgeiz, die Angst ohne Abschluss da zu stehen und meine Disziplin haben mich angetrieben.
„Nur ein guter Abschluss zwingt dich nicht dazu, dass du dich auf ewig mit jur. Themen beschäftigen musst beruflicht.“ Danke. Tut gut das zu erhören. Und erleichtert irgendwie.
Auch die Frage von @Egal, welche anderen Bereich mich denn interessieren, werde ich mir durch den Kopf gehen lassen. Ich erlaube mir gar nicht richtig darüber nachzudenken, sondern neige eher dazu, zu sagen: Ich habe den jur. Abschluss, bin gut darin, kann dort einen guten Job haben, ich sollte da bleiben. Auch ein sehr dominanter Gedanke von mir: So viele Leute finden Erfüllung in der Juristerei, nimm Dir ein Beispiel und reiß Dich zusammen. (Totaler Quatsch, ich weiß, aber ich kann den Gedanken nicht einfach abstellen.)
An @Lars die Ente: Danke, guter Gedanke! Ich plane aktuell tatsächlich eine Abordnung im Rechtsamt, um genau das auszuprobieren.
An @lila-grün: Ich habe vielmals zu danken für Deinen offen geschriebenen Beitrag. Es hat mich sehr „getröstet“ ihn zu lesen und zu merken, dass man nicht alleine ist. Es war auch sehr wertvoll Deine Erfahrungen zu lesen! Danke dafür! Deine Erfahrungen in der Justiz ähneln sehr den Erfahrungen, die einige meiner Bekannten gemacht haben (drei davon haben auch den Job gewechselt). Letztlich habe ich es auch bei meinem Vater erlebt: Urlaub war kein Urlaub, unter der Woche hat er Abends immer noch irgendwelche Akten bearbeitet, es wurde nicht weniger Arbeit, er war oft angespannt, weil ihm irgendwelche Verfahren durch den Kopf gingen. Das ist sicherlich eine Typ-Sache, wie Du selbst schreibst. Ich bin überzeugt davon, dass viele Leute damit anders umgehen und komplett happy werden. Ich persönlich kann es mir für mich nicht vorstellen, genau aus den von Dir geschilderten Gründen. Von der Persönlichkeit her bin ich nicht so gestrickt wie die von Dir geschilderte Kollegin, sondern eher perfektionistisch veranlagt, sorgfältig, nicht unbedingt entscheidungsfreudig (wobei man das natürlich auch trainieren kann) und sehr sensibel. Wenn mir etwas von der Arbeit durch den Kopf geht, kann ich nicht abschalten und mich anderen Dingen widmen.
Du schreibst, es kann hilfreich sein, sich zunächst als berufstätige:r Jurist:in zu etablieren und sich seiner Stärken und Qualitäten in der Praxis weiter sicher zu werden. Das denke ich auch! Ich glaube aber auch, dass es darum geht, herauszufinden, was man von seiner Arbeit erwartet und worauf es einem ankommt. Also vielleicht tatsächlich die Frage: Welcher Job passt zu meinem Leben und zu mir? Das denke ich zumindest in Bezug auf mich.
Eine Stimme im Kopf sagt: Du hast gute Examina. Werde Richterin. In der Verwaltung bist du unterfordert, von den Examensnoten her überqualifiziert und Dein juristisches Können ist nicht gefragt. Außerdem ist Deine Arbeit sinnlos und du bewegst nichts. Denk nicht so viel nach, drück Dich nicht vor der Verantwortung, sei erwachsen und stell Dich nicht so an.
Eine andere sagt: Hör auf Dein Bauchgefühl! Gesteh Dir ein, dass Du nicht in die Justiz möchtest. Du bist trotzdem wertvoll und kannst eine andere fordernde Stelle finden. Nur, weil du mit deiner jetzigen Stelle in der Verwaltung nicht glücklich bist, heißt das nicht, dass die Justiz die Lösung ist. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeiten. Leg Dir kein Korsett an.
Dieser Gedanke, dass ich aus meinen VB-Examina etwas machen MUSS und eigentlich eine Position mit viel Verantwortung und Entscheidungsmacht besetzen SOLLTE, ist echt stark in mir verwurzelt und ist glaube ich tatsächlich familiär bedingt. (In meiner Verwandtschaft haben alle irgendwelche Karrieren hingelegt und hohe Stellen mit „Status“ bekleidet und es wirkt alles sehr „preußisch“.)
Dir, @lila-grün, wünsche ich viel Erfolg und Glück bei der Jobsuche! In der Verwaltung gibt es sehr viele Einsatzgebiete und gute Leute sind eigentlich sehr wichtig, um die Verwaltung wieder moderner und qualifizierter zu machen. Ich kenne auch viele Juristen, die dort glücklich sind. Ich war es in meinen bisherigen Stellen aber leider überhaupt nicht. (Hier spielt aber sicherlich mein innerer Konflikt auch eine tragende Rolle.) Ich glaube es kommt stark darauf an, was man für Tätigkeiten haben möchte und wie flexibel man diesbezüglich ist. Und man muss sich einfach an gewisse Eigenarten in der Verwaltung gewöhnen. Wenn Du Fragen zur Verwaltung hast, kannst Du mir auch gerne schreiben.
Wir sind glaub ich Seelenverwandte! Ich habe auch nicht nach links und rechts geschaut und durch meinen Ehrgeiz und meine Disziplin Doppelprädikat gemacht. Jetzt stehe ich da und frag mich, wie ich das mit minimalem Interesse in Jura geschafft habe.
Mein Lebenslauf ist ein mess, einen roten Faden sucht man vergeblich weil ich mich nie wirklich für ein Rechtsgebiet interessiert habe.
Die Wahrheit ist dass ich eine sehr kreative Person bin und Jura mich schlichtweg langweilt.
Ich wollte Richterin werden aber das Gehalt und die Arbeitsbedingungen und die Angst vor Verantwortung halten mich zurück.
Ich habe eine Wahlstation im Auswärtigen Amt gemacht und die Menschen haben mich fasziniert! Unglaublich aufgeschlossene und kultivierte Menschen, die so viel von der Welt gesehen haben! Ja das ist es dachte ich aber ich bin schon verheiratet und einfach an Berlin gebunden.
Da ich hoffe dass das Rechtsgebiet IP meinen Beruf mit meiner Leidenschaft vereint, will ich mich darin probieren, habe keider keinerlei Erfahrung darin, was die Jobsuche erschwert. Hinzukommt dass es oft hand in hand mit IT geht. Und ich habe keinerlei Verständnis fzür technische Fragen.
Mein einziger Gedanke ist du hast Doppel VB, hast gelitten wie keine andere (im nachhinein ist mir klar dass das auch nur wegen des desinteresses war) jetzt hol dir dein Schmerzensgeld.
06.02.2023, 19:52
Nachtrag:
Anders als du und @lila grün habe ich nach dem 2. Examen als Schlichterin gearbeitet. Ich habe da erkannt, dass Richterin nichts für mich ist, weil ich die unneutralste Person bin, die ich kenne. Ich beziehe zu gerne Position. Auf der anderen Seite war das ein unglaublicher Kampf gegen den Aktenberg. Ich weiss nicht wie der Dig.stand beim Gericht ist aber ich hatte wenigstens E-Akten. Kaum vorstellbar war für mich in staubigen Papierakten zu wühlen.
Und zu meiner Person: ich bin ein Arbeiterkind mit Eltern die kein deutsch können. Ich war froh, dass ich das Studium überhaupt und so gut geschafft habe, dass ich einfach nie irgendwas hinterfragt habe.
Ich habe das Gefühl, jetzt erst angefangen zu haben, zu leben!
Anders als du und @lila grün habe ich nach dem 2. Examen als Schlichterin gearbeitet. Ich habe da erkannt, dass Richterin nichts für mich ist, weil ich die unneutralste Person bin, die ich kenne. Ich beziehe zu gerne Position. Auf der anderen Seite war das ein unglaublicher Kampf gegen den Aktenberg. Ich weiss nicht wie der Dig.stand beim Gericht ist aber ich hatte wenigstens E-Akten. Kaum vorstellbar war für mich in staubigen Papierakten zu wühlen.
Und zu meiner Person: ich bin ein Arbeiterkind mit Eltern die kein deutsch können. Ich war froh, dass ich das Studium überhaupt und so gut geschafft habe, dass ich einfach nie irgendwas hinterfragt habe.
Ich habe das Gefühl, jetzt erst angefangen zu haben, zu leben!
26.07.2024, 20:22
Wie geht es dir inzwischen?
Ich habe mich in dem Thread übrigens auch wieder erkannt. Habe im Studium auch nur aufs Prädikat hingearbeitet (wurde dann sogar mehr) und mir vorgenommen, falls es klappt, Richterin zu werden. In der Zeit vor der Jobsuche hatte ich dann viele negative Erfahrungen von der Justiz gehört (Arbeitsbelastung), sodass ich in die Verwaltung gegangen bin - hatte auch schon eine Tochter, da schreckte mich die Überlastung bei StA und Gericht besonders ab. Jetzt sitze ich auf einem Verwaltungsposten, der mich inhaltlich und quantitativ heillos unterfordert und langweilt. Dort bleiben will ich auf keinen Fall - nur wohin sonst?
Ich habe mich in dem Thread übrigens auch wieder erkannt. Habe im Studium auch nur aufs Prädikat hingearbeitet (wurde dann sogar mehr) und mir vorgenommen, falls es klappt, Richterin zu werden. In der Zeit vor der Jobsuche hatte ich dann viele negative Erfahrungen von der Justiz gehört (Arbeitsbelastung), sodass ich in die Verwaltung gegangen bin - hatte auch schon eine Tochter, da schreckte mich die Überlastung bei StA und Gericht besonders ab. Jetzt sitze ich auf einem Verwaltungsposten, der mich inhaltlich und quantitativ heillos unterfordert und langweilt. Dort bleiben will ich auf keinen Fall - nur wohin sonst?
26.07.2024, 21:36
(31.01.2023, 16:30)Bepo schrieb: Hallo liebe Mitleser,Hello, wie ist es dir ergangen? Hast du's in einem Unternehmen versucht? Falls ja, wie gefällt es dir dort?
Kurz zu mir: Ende 20, zwei Prädikatsexamina, seit 3 Jahren im Job (6 Monate in Kanzlei und seitdem in Verwaltung, erst untere Bundesbehörde, jetzt Landesverwaltung).
Kurz zum Problem: ich weiß nicht was ich will.
Im Studium dachte ich immer, ich würde Richterin werden (weil Vater auch Richter war). Ich habe nie nach links und rechts geschaut, immer Scheuklappen gehabt, Hauptsache Prädikat schaffen. Das Studium hat mir wenig Spaß gemacht, nur mein ehrgeiziger Anteil ist darin aufgegangen. Man hatte immer ein Ziel und hat darauf hin gearbeitet. Darin bin ich gut. Ich empfand es aber auch als sehr anstrengend und belastend.
Nach dem 2. Examen habe ich endlich wieder angefangen zu leben, der ganze Ballast viel ab. Es fühlt sich auch heute - 3 Jahre nach dem Examen - noch grandios an, einen Feierabend zu haben, am Wochenende frei zu haben und nicht ständig diesen Druck zu haben. Rückblickend kann ich die Studiumszeit kein bisschen positiv sehen.
Ich finde aber nichts womit ich zufrieden bin. Kanzlei hat mir nicht gefallen, der wirtschaftliche Druck und der Dienstleister-Gedanke (immer das machen, was der Mandant will) hat mich sehr gestört. In der Justiz habe ich mich beworben, wurde auch genommen und habe dann aber zurückgezogen, weil ich so ein starkes Widerstandsgefühl hatte, als es ernster wurde. Es hat sich angefühlt als würde ich mir ein Korsett anlegen und ich wollte auf keinen Fall wieder so leben wie im Referendariat in der Zivilstation (abends bis in die Puppen am Urteil sitzen, Erledigungsdruck, private Verabredungen nicht genießen können, da Urteile im Nacken). Dafür ist Jura für mich zu wenig Leidenschaft.
In der Verwaltung gehe ich allerdings ein wie eine Primel. Ich bin so dermaßen desillusioniert. Wahnsinn wie viele Menschen in einem Apparat arbeiten können und nichts bewegen. Es wird geredet und geplant und geredet und geplant - aber es passiert NICHTS. Die Arbeit erscheint mir extrem sinnlos und man fühlt sich ständig unterfordert. Mir fehlt auch das klassische juristische Arbeiten.
Ich kann mich trotzdem nicht bewegen, da ich einfach nicht weiß wohin mit mir. Immer wieder denke ich an die Justiz, aber gleichzeitig macht mir die Arbeitsbelastung und riesige Verantwortung Sorge und ich merke, dass ich dazu nicht bereit bin und einen Widerstand empfinde. Die Verwaltung ist leider (zumindest in den Bereichen, in denen ich bin) das andere Extrem. Man entwickelt sich nicht, hat keine fachlichen Herausforderungen, trifft keine Entscheidungen. Es gibt Tage, da fühle ich mich wie eine Rosine. Auf der einen Seite möchte ich mich mit der Verwaltung anfreunden, da sie gute Arbeitsbedingungen bietet, familienfreundlich ist, die Verbeamtung attraktiv ist. Und gleichzeitig finde ich alles so frustrierend, da alle immer nur von ihrer hohen Arbeitsbelastung sprechen, tatsächlich aber kein sinnvoller Beitrag für die Gesellschaft geleistet wird, unfassbar viele Arbeiten für den Papierkorb angefertigt werden, zig Meetings stattfinden, zu Themen, die man in der Wirtschaft in 5 Minuten geklärt hätte, viele Kollegen keine Motivation (mehr) haben, richtig was zu bewegen und am Ende des Tages einfach kein Outcome da ist.
Gibt es überhaupt Bereiche in der Verwaltung, in denen wirklich richtig gearbeitet wird und bestenfalls auch juristisch?
Habt ihr Gedanken/Tipps zu meiner Situation? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Wo hat es euch berufliche hin verschlagen und warum seid ihr dort wo ihr seid glücklich?
Ich danke jedem von Herzen, der sich diesen kleinen Roman durchgelesen hat! :-)
27.07.2024, 10:49
(26.07.2024, 20:22)Therizinosaurus schrieb: Wie geht es dir inzwischen?Wenn Justiz weiterhin keine Option für dich sein sollte, warum nicht ein anderer Posten in der Verwaltung? Muss ja vielleicht nicht morgen sein. Zumindest mittelfristig gibt es doch immer Alternativen.
Ich habe mich in dem Thread übrigens auch wieder erkannt. Habe im Studium auch nur aufs Prädikat hingearbeitet (wurde dann sogar mehr) und mir vorgenommen, falls es klappt, Richterin zu werden. In der Zeit vor der Jobsuche hatte ich dann viele negative Erfahrungen von der Justiz gehört (Arbeitsbelastung), sodass ich in die Verwaltung gegangen bin - hatte auch schon eine Tochter, da schreckte mich die Überlastung bei StA und Gericht besonders ab. Jetzt sitze ich auf einem Verwaltungsposten, der mich inhaltlich und quantitativ heillos unterfordert und langweilt. Dort bleiben will ich auf keinen Fall - nur wohin sonst?
Ansonsten wäre vielleicht als Zwischenschritt die Richterin kraft Auftrags was für dich, um doch mal unverbindlich in die Justiz „reinzuschnuppern“?
27.07.2024, 20:57
Geht das in euren Bundesländern so einfach? In Bayern habe ich bisher noch nie gehört, dass jemand Richter Kraft Auftrags bei der Justiz wurde. An sich klingt die Option aber richtig gut!
28.07.2024, 10:09
In NRW ist das zwar längst nicht der Normalfall, aber auch nicht völlig exotisch. Der Bewerbermangel und die Pensionierungswelle dürften die Auslöser sein.
28.07.2024, 10:59
(31.01.2023, 16:30)Bepo schrieb: Hallo liebe Mitleser,@ Bepo: Dein Beitrag könnte auch von meinem ca. 10-15 Jahre jüngeren Ich stammen.
Kurz zu mir: Ende 20, zwei Prädikatsexamina, seit 3 Jahren im Job (6 Monate in Kanzlei und seitdem in Verwaltung, erst untere Bundesbehörde, jetzt Landesverwaltung).
Kurz zum Problem: ich weiß nicht was ich will.
Im Studium dachte ich immer, ich würde Richterin werden (weil Vater auch Richter war). Ich habe nie nach links und rechts geschaut, immer Scheuklappen gehabt, Hauptsache Prädikat schaffen. Das Studium hat mir wenig Spaß gemacht, nur mein ehrgeiziger Anteil ist darin aufgegangen. Man hatte immer ein Ziel und hat darauf hin gearbeitet. Darin bin ich gut. Ich empfand es aber auch als sehr anstrengend und belastend.
Nach dem 2. Examen habe ich endlich wieder angefangen zu leben, der ganze Ballast viel ab. Es fühlt sich auch heute - 3 Jahre nach dem Examen - noch grandios an, einen Feierabend zu haben, am Wochenende frei zu haben und nicht ständig diesen Druck zu haben. Rückblickend kann ich die Studiumszeit kein bisschen positiv sehen.
Ich finde aber nichts womit ich zufrieden bin. Kanzlei hat mir nicht gefallen, der wirtschaftliche Druck und der Dienstleister-Gedanke (immer das machen, was der Mandant will) hat mich sehr gestört. In der Justiz habe ich mich beworben, wurde auch genommen und habe dann aber zurückgezogen, weil ich so ein starkes Widerstandsgefühl hatte, als es ernster wurde. Es hat sich angefühlt als würde ich mir ein Korsett anlegen und ich wollte auf keinen Fall wieder so leben wie im Referendariat in der Zivilstation (abends bis in die Puppen am Urteil sitzen, Erledigungsdruck, private Verabredungen nicht genießen können, da Urteile im Nacken). Dafür ist Jura für mich zu wenig Leidenschaft.
In der Verwaltung gehe ich allerdings ein wie eine Primel. Ich bin so dermaßen desillusioniert. Wahnsinn wie viele Menschen in einem Apparat arbeiten können und nichts bewegen. Es wird geredet und geplant und geredet und geplant - aber es passiert NICHTS. Die Arbeit erscheint mir extrem sinnlos und man fühlt sich ständig unterfordert. Mir fehlt auch das klassische juristische Arbeiten.
Ich kann mich trotzdem nicht bewegen, da ich einfach nicht weiß wohin mit mir. Immer wieder denke ich an die Justiz, aber gleichzeitig macht mir die Arbeitsbelastung und riesige Verantwortung Sorge und ich merke, dass ich dazu nicht bereit bin und einen Widerstand empfinde. Die Verwaltung ist leider (zumindest in den Bereichen, in denen ich bin) das andere Extrem. Man entwickelt sich nicht, hat keine fachlichen Herausforderungen, trifft keine Entscheidungen. Es gibt Tage, da fühle ich mich wie eine Rosine. Auf der einen Seite möchte ich mich mit der Verwaltung anfreunden, da sie gute Arbeitsbedingungen bietet, familienfreundlich ist, die Verbeamtung attraktiv ist. Und gleichzeitig finde ich alles so frustrierend, da alle immer nur von ihrer hohen Arbeitsbelastung sprechen, tatsächlich aber kein sinnvoller Beitrag für die Gesellschaft geleistet wird, unfassbar viele Arbeiten für den Papierkorb angefertigt werden, zig Meetings stattfinden, zu Themen, die man in der Wirtschaft in 5 Minuten geklärt hätte, viele Kollegen keine Motivation (mehr) haben, richtig was zu bewegen und am Ende des Tages einfach kein Outcome da ist.
Gibt es überhaupt Bereiche in der Verwaltung, in denen wirklich richtig gearbeitet wird und bestenfalls auch juristisch?
Habt ihr Gedanken/Tipps zu meiner Situation? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Wo hat es euch berufliche hin verschlagen und warum seid ihr dort wo ihr seid glücklich?
Ich danke jedem von Herzen, der sich diesen kleinen Roman durchgelesen hat! :-)
Letztlich kann ich dir bzw. den Mitlesern, denen es vielleicht ähnlich geht, leider keinen Königsweg aufzeigen, um deinen persönlichen Traumjob zu finden.
Mein persönliches Zwischenfazit mit Mitte 40 und einiger Berufserfahrung in unterschiedlichen juristischen Berufen ist: DEN Traumjob gibt es zumindest für mich gar nicht. Vielmehr scheint mir der Weg das Ziel zu sein.
Genau wie bei dir ist mein Ehrgeizanteil stärker ausgeprägt, als ich das lange wahrhaben wollte. Wie viele andere auch brauche ich Abwechslung und ein Ziel, auf das ich hinarbeiten kann. Während der öden Corona-Zeit habe ich deshalb plötzlich damit begonnen, ein Instrument zu lernen, was mich auch eine längere Wegstrecke über mangelnde berufliche Entwicklungsmöglichkeiten hinweg getragen hat. Als ich zuletzt über diesen Mangel beruflich immer unzufriedener wurde und mein Dienstherr mir auch trotz wiederholter Anfrage nicht entgegen kam, habe ich mich im fortgeschritteneren Alter für einen erneuten Berufswechsel entschieden, der mir ebendiese Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Trotzdem bin ich froh über meinen bisherigen Weg und sehe ihn nicht als Umweg, da er mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Hätte ich dauerhaft in meinen früheren Verwendungen verharrt, um vermeintliche „Brüche“ (ich würde eher Richtungswechsel sagen) zu vermeiden, hätte ich dies mit fehlender persönlicher Entwicklung bezahlt und mich beruflich nicht „ausgelebt“. Man bleibt doch auch privat nicht nur deshalb bei seinem ersten Partner, um „geradlinig“ bis zur goldenen Hochzeit durchzuleben.
Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und den Wertvorstellungen der Generation Z werden sich die Dienstherren/Arbeitgeber an vermeintlich verworrene Lebensläufe gewöhnen müssen.
Im Idealfall entwickelt man sich persönlich mit jeder beruflichen Station weiter. Es gibt natürlich auch genügend KolleInnen, die dieses Bedürfnis nicht verspüren, sondern zufrieden damit sind, wo sie nach dem Examen herauskommen.
Da das offensichtlich bei dir nicht so ist, kann ich dich und jeden Geistesverwandten nur dazu ermuntern, nicht in der als unbefriedigend empfundenen Situation zu verharren, sondern die Möglichkeiten zu nutzen, die der juristische Arbeitsmarkt heute gerade, aber längst nicht mehr nur Spitzenabsolventen bietet. Jeder halbwegs verständige Personaler wird solche -wohl überdachten- Wechsel nach mehreren Jahren Standzeit jedenfalls nicht als erratisches Ich-weiss-nicht-was-ich-will, sondern als mutige Veränderungs- und Fortentwicklungsbereitschaft bewerten, eine Eigenschaft, die es gerade im Öffentlichen Dienst nicht unbedingt inflationär zu beobachten gibt…
Selbst wenn du auf diesem Weg vielleicht nie an den Punkt gelangen solltest, wo du sagst „DAS ist ES jetzt“, hättest du dich jedenfalls nicht einfach in deiner Opferrolle, die in Wahrheit eine Komfortzone ist, eingerichtet, sondern dein Schicksal selbst in die Hand genommen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit auch ein Wert an sich ist und massgeblich zur Arbeitszufriedenheit beiträgt. Wäre doch auch blöd, wenn man sich die richtigen Fragen erst am Ende seines Berufslebens beantworten würde.
Ich schliesse deshalb im Kafka-Jahr mit dessen Parabel aus „Vor dem Gesetz“:
Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.
»Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.«
[…]
»Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?«
Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an:
»Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.«
28.07.2024, 11:28
@Spencer. Einer der besten Beiträge in diesem gesamten Forum.