31.01.2023, 16:30
Hallo liebe Mitleser,
Kurz zu mir: Ende 20, zwei Prädikatsexamina, seit 3 Jahren im Job (6 Monate in Kanzlei und seitdem in Verwaltung, erst untere Bundesbehörde, jetzt Landesverwaltung).
Kurz zum Problem: ich weiß nicht was ich will.
Im Studium dachte ich immer, ich würde Richterin werden (weil Vater auch Richter war). Ich habe nie nach links und rechts geschaut, immer Scheuklappen gehabt, Hauptsache Prädikat schaffen. Das Studium hat mir wenig Spaß gemacht, nur mein ehrgeiziger Anteil ist darin aufgegangen. Man hatte immer ein Ziel und hat darauf hin gearbeitet. Darin bin ich gut. Ich empfand es aber auch als sehr anstrengend und belastend.
Nach dem 2. Examen habe ich endlich wieder angefangen zu leben, der ganze Ballast viel ab. Es fühlt sich auch heute - 3 Jahre nach dem Examen - noch grandios an, einen Feierabend zu haben, am Wochenende frei zu haben und nicht ständig diesen Druck zu haben. Rückblickend kann ich die Studiumszeit kein bisschen positiv sehen.
Ich finde aber nichts womit ich zufrieden bin. Kanzlei hat mir nicht gefallen, der wirtschaftliche Druck und der Dienstleister-Gedanke (immer das machen, was der Mandant will) hat mich sehr gestört. In der Justiz habe ich mich beworben, wurde auch genommen und habe dann aber zurückgezogen, weil ich so ein starkes Widerstandsgefühl hatte, als es ernster wurde. Es hat sich angefühlt als würde ich mir ein Korsett anlegen und ich wollte auf keinen Fall wieder so leben wie im Referendariat in der Zivilstation (abends bis in die Puppen am Urteil sitzen, Erledigungsdruck, private Verabredungen nicht genießen können, da Urteile im Nacken). Dafür ist Jura für mich zu wenig Leidenschaft.
In der Verwaltung gehe ich allerdings ein wie eine Primel. Ich bin so dermaßen desillusioniert. Wahnsinn wie viele Menschen in einem Apparat arbeiten können und nichts bewegen. Es wird geredet und geplant und geredet und geplant - aber es passiert NICHTS. Die Arbeit erscheint mir extrem sinnlos und man fühlt sich ständig unterfordert. Mir fehlt auch das klassische juristische Arbeiten.
Ich kann mich trotzdem nicht bewegen, da ich einfach nicht weiß wohin mit mir. Immer wieder denke ich an die Justiz, aber gleichzeitig macht mir die Arbeitsbelastung und riesige Verantwortung Sorge und ich merke, dass ich dazu nicht bereit bin und einen Widerstand empfinde. Die Verwaltung ist leider (zumindest in den Bereichen, in denen ich bin) das andere Extrem. Man entwickelt sich nicht, hat keine fachlichen Herausforderungen, trifft keine Entscheidungen. Es gibt Tage, da fühle ich mich wie eine Rosine. Auf der einen Seite möchte ich mich mit der Verwaltung anfreunden, da sie gute Arbeitsbedingungen bietet, familienfreundlich ist, die Verbeamtung attraktiv ist. Und gleichzeitig finde ich alles so frustrierend, da alle immer nur von ihrer hohen Arbeitsbelastung sprechen, tatsächlich aber kein sinnvoller Beitrag für die Gesellschaft geleistet wird, unfassbar viele Arbeiten für den Papierkorb angefertigt werden, zig Meetings stattfinden, zu Themen, die man in der Wirtschaft in 5 Minuten geklärt hätte, viele Kollegen keine Motivation (mehr) haben, richtig was zu bewegen und am Ende des Tages einfach kein Outcome da ist.
Gibt es überhaupt Bereiche in der Verwaltung, in denen wirklich richtig gearbeitet wird und bestenfalls auch juristisch?
Habt ihr Gedanken/Tipps zu meiner Situation? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Wo hat es euch berufliche hin verschlagen und warum seid ihr dort wo ihr seid glücklich?
Ich danke jedem von Herzen, der sich diesen kleinen Roman durchgelesen hat! :-)
Kurz zu mir: Ende 20, zwei Prädikatsexamina, seit 3 Jahren im Job (6 Monate in Kanzlei und seitdem in Verwaltung, erst untere Bundesbehörde, jetzt Landesverwaltung).
Kurz zum Problem: ich weiß nicht was ich will.
Im Studium dachte ich immer, ich würde Richterin werden (weil Vater auch Richter war). Ich habe nie nach links und rechts geschaut, immer Scheuklappen gehabt, Hauptsache Prädikat schaffen. Das Studium hat mir wenig Spaß gemacht, nur mein ehrgeiziger Anteil ist darin aufgegangen. Man hatte immer ein Ziel und hat darauf hin gearbeitet. Darin bin ich gut. Ich empfand es aber auch als sehr anstrengend und belastend.
Nach dem 2. Examen habe ich endlich wieder angefangen zu leben, der ganze Ballast viel ab. Es fühlt sich auch heute - 3 Jahre nach dem Examen - noch grandios an, einen Feierabend zu haben, am Wochenende frei zu haben und nicht ständig diesen Druck zu haben. Rückblickend kann ich die Studiumszeit kein bisschen positiv sehen.
Ich finde aber nichts womit ich zufrieden bin. Kanzlei hat mir nicht gefallen, der wirtschaftliche Druck und der Dienstleister-Gedanke (immer das machen, was der Mandant will) hat mich sehr gestört. In der Justiz habe ich mich beworben, wurde auch genommen und habe dann aber zurückgezogen, weil ich so ein starkes Widerstandsgefühl hatte, als es ernster wurde. Es hat sich angefühlt als würde ich mir ein Korsett anlegen und ich wollte auf keinen Fall wieder so leben wie im Referendariat in der Zivilstation (abends bis in die Puppen am Urteil sitzen, Erledigungsdruck, private Verabredungen nicht genießen können, da Urteile im Nacken). Dafür ist Jura für mich zu wenig Leidenschaft.
In der Verwaltung gehe ich allerdings ein wie eine Primel. Ich bin so dermaßen desillusioniert. Wahnsinn wie viele Menschen in einem Apparat arbeiten können und nichts bewegen. Es wird geredet und geplant und geredet und geplant - aber es passiert NICHTS. Die Arbeit erscheint mir extrem sinnlos und man fühlt sich ständig unterfordert. Mir fehlt auch das klassische juristische Arbeiten.
Ich kann mich trotzdem nicht bewegen, da ich einfach nicht weiß wohin mit mir. Immer wieder denke ich an die Justiz, aber gleichzeitig macht mir die Arbeitsbelastung und riesige Verantwortung Sorge und ich merke, dass ich dazu nicht bereit bin und einen Widerstand empfinde. Die Verwaltung ist leider (zumindest in den Bereichen, in denen ich bin) das andere Extrem. Man entwickelt sich nicht, hat keine fachlichen Herausforderungen, trifft keine Entscheidungen. Es gibt Tage, da fühle ich mich wie eine Rosine. Auf der einen Seite möchte ich mich mit der Verwaltung anfreunden, da sie gute Arbeitsbedingungen bietet, familienfreundlich ist, die Verbeamtung attraktiv ist. Und gleichzeitig finde ich alles so frustrierend, da alle immer nur von ihrer hohen Arbeitsbelastung sprechen, tatsächlich aber kein sinnvoller Beitrag für die Gesellschaft geleistet wird, unfassbar viele Arbeiten für den Papierkorb angefertigt werden, zig Meetings stattfinden, zu Themen, die man in der Wirtschaft in 5 Minuten geklärt hätte, viele Kollegen keine Motivation (mehr) haben, richtig was zu bewegen und am Ende des Tages einfach kein Outcome da ist.
Gibt es überhaupt Bereiche in der Verwaltung, in denen wirklich richtig gearbeitet wird und bestenfalls auch juristisch?
Habt ihr Gedanken/Tipps zu meiner Situation? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Wo hat es euch berufliche hin verschlagen und warum seid ihr dort wo ihr seid glücklich?
Ich danke jedem von Herzen, der sich diesen kleinen Roman durchgelesen hat! :-)
31.01.2023, 16:46
Syndikus/Rechtsabteilung
zahlen besser als Verwaltung (gerade mit deinen noten/Erfahrung)
mehr Abwechslung
man "bewegt" partiell wirklich was
Arbeitsdruck geringer als STA/Richter
benefits/home office/familienfreundlichkeit (gerade für frauen)
gleichzeitig weniger rigide als Richter/STA.
etc. etc.
einfach ein paar interessante klingende stellen anschreiben und gespräche führen. dann merkt man schon ob es klickt
zahlen besser als Verwaltung (gerade mit deinen noten/Erfahrung)
mehr Abwechslung
man "bewegt" partiell wirklich was
Arbeitsdruck geringer als STA/Richter
benefits/home office/familienfreundlichkeit (gerade für frauen)
gleichzeitig weniger rigide als Richter/STA.
etc. etc.
einfach ein paar interessante klingende stellen anschreiben und gespräche führen. dann merkt man schon ob es klickt
31.01.2023, 16:54
Im Unternehmen mögen die Rahmenbedingungen stimmen, allerdings wird dort nicht sonderlich viel und breit juristisch gearbeitet. Wenn dann Arbeitsrecht und/oder erstellen und gestalten von Verträgen. Ich lese beim TE aber zumindest raus, dass er/sie gerne juristisch arbeitet- was wohl in der Verwaltng zu kurz kommt. Kurzum, was genau stört dich denn an der Justiz? Das ist ja Jura in Reinform. Der Erledigungsdruck/ die Belastung nimmt mit der Zeit wohl ab..
31.01.2023, 17:11
Ich sehe in deinem Text nirgendwo die Stelle, dass du wirklich Jura machen willst. Irgendwie wurdest du familiär in das Studium gebracht, hast dich darin gequält (wenn auch erfolgreich) und jetzt quälst du dich eigentlich weiter, da dir kein juristisches Jobfeld wirklich zusagt.
Du solltest mal "out of the box" denken. Wie würdest du gerne arbeiten, mit was willst du dich bei deiner Arbeit beschäftigen? Du musst in fünf Jahren ja nicht den Titel einer RAin, Beamtin oder Syndikus haben. Ich kenne auch Kollegen, die arbeiten inzwischen im juristischen Fachverlag, in der Start-up Welt, im Private Equity oder im Konzern in einer Nicht-Jura-Abteilung.
Nur ein guter Abschluss zwingt dich nicht dazu, dass du dich auf ewig mit jur. Themen beschäftigen musst beruflicht.
Du solltest mal "out of the box" denken. Wie würdest du gerne arbeiten, mit was willst du dich bei deiner Arbeit beschäftigen? Du musst in fünf Jahren ja nicht den Titel einer RAin, Beamtin oder Syndikus haben. Ich kenne auch Kollegen, die arbeiten inzwischen im juristischen Fachverlag, in der Start-up Welt, im Private Equity oder im Konzern in einer Nicht-Jura-Abteilung.
Nur ein guter Abschluss zwingt dich nicht dazu, dass du dich auf ewig mit jur. Themen beschäftigen musst beruflicht.
31.01.2023, 20:51
(31.01.2023, 16:54)RicheraPro schrieb: Im Unternehmen mögen die Rahmenbedingungen stimmen, allerdings wird dort nicht sonderlich viel und breit juristisch gearbeitet. Wenn dann Arbeitsrecht und/oder erstellen und gestalten von Verträgen. Ich lese beim TE aber zumindest raus, dass er/sie gerne juristisch arbeitet- was wohl in der Verwaltng zu kurz kommt. Kurzum, was genau stört dich denn an der Justiz? Das ist ja Jura in Reinform. Der Erledigungsdruck/ die Belastung nimmt mit der Zeit wohl ab..
Ich lese genau das Gegenteil, nämlich dass jemand aufgrund familiärer Vorgeschichte Jura studiert hat, sich aber weder mit dem Studium noch mit juristischer Arbeit identifizieren kann.
Ich würde auch den Gang ins Unternehmen empfehlen oder etwa ganz anderes. Jura scheint für dich nicht das richtige gewesen zu sein. Gibt es andere Bereiche, die dich interessieren?
01.02.2023, 09:43
(31.01.2023, 16:54)RicheraPro schrieb: Im Unternehmen mögen die Rahmenbedingungen stimmen, allerdings wird dort nicht sonderlich viel und breit juristisch gearbeitet. Wenn dann Arbeitsrecht und/oder erstellen und gestalten von Verträgen. Ich lese beim TE aber zumindest raus, dass er/sie gerne juristisch arbeitet- was wohl in der Verwaltng zu kurz kommt. Kurzum, was genau stört dich denn an der Justiz? Das ist ja Jura in Reinform. Der Erledigungsdruck/ die Belastung nimmt mit der Zeit wohl ab..
Ich kann nicht bestätigen, dass man im Unternehmen "nicht sonderlich viel und breit juristisch" arbeitet - in den meisten Rechtsabteilungen ist man eher Generalist - klar, man hat "seine" Bereiche, aber die können auch wechseln und - je nachdem in welcher Branche das Unternehmen ist - deckt der "eigene" Bereich so ein breites juristisches Feld ab (z.B. man betreut den Einlauf juristisch, aber was wird eingekauft, Rohstoffe, Dinge, Leistungen (und dann IT, Dienstleistung etc.)) und natürlich ist das juristische Arbeit. Man muss aber neben der rein juristischen Arbeit auch wirtschaftlich denken und sich entsprechend auch verhalten/handeln.
Ich habe auch den Eindruck, dass eine Rechtsabteilung in einem Unternehmen passen könnte - da hat man auch manchmal tausend Projektmeetings, aber die allermeisten sind wirklich sinnvoll und man hat wirklich die Möglichkeit, auch das Unternehmen mitzugestalten. Man trifft Entscheidungen und hat mE auch öfter "Herausforderungen", sei es, weil man einen besonders nervigen Vertragspartner hat und man dann kreativ werden muss (sowohl juristisch als auch kommerziell) als auch weil Unternehmen nun mal Teil der Wirtschaftsdynamik sind und man dadurch einfach faktisch oft vor neue Situationen gestellt wird (alleine die letzten 3 Jahre waren da besonders wild). Alternativ vielleicht Abteilung Recht bei einer IHK? Das fühlt sich wie eine Behörde an, absolut nicht uninteressant.
01.02.2023, 09:47
vielleicht wäre die Arbeit in einem Rechtsamt in einer Großstadt was für dich? das ist quasi Richterarbeit/Anwaltsarbeit ohne großen Erledigungsdruck. man hat relativ viel Freiheiten. kann sich in juristische Themen vertieft einarbeiten. Man fertigt rechtliche Stellungnahme zu tagespolitische Themen an. Ist quasi wie eine Jura Hausarbeit. Man vertritt die Stadt vor Gericht. Man leitet Anhörungsausschuss in Widerspruchssachen.
01.02.2023, 13:29
Hi,
ich muss sagen, ich habe mich in dem "kleinen Roman" sehr gut wiedererkannt, ich bin nur anders abgebogen als Du...
Ich glaube auch, einige Antworten haben Dich etwas missverstanden: für mich klingt es jedenfalls, als würdest Du sehr gern juristisch arbeiten, der Hinweis, Jura war wohl nicht das richtige für Dich ist also dann eher nicht zutreffend. Sicherlich könntest du auch ganz etwas anderes machen, aber ich sehe Dich jetzt nicht völlig auf dem falschen Dampfer...
Zu mir: Meine Eltern sind sogar beide Juristen, mir wurde dadurch allerdings gar nicht zum Jurastudium geraten, es wurde eher mit Sorge bzgl. der hohen Belastung darauf geblickt, aber ich habe es mir dennoch ausgesucht. Ich habe im Gegensatz zu Dir das Studium teilweise sehr genossen, weil ich die Inhalte eben einfach allermeistens sehr interessant fand und auch direkt sehr nette Leute bzw. Freund:innen getroffen habe. Aber auch ich hatte im Grunde immer Scheuklappen auf hinsichtlich der Frage, was ich eigentlich damit anfangen will bzw. was am besten zu mir passt. Ich dachte immer, naja man kann ja soooo viel damit machen, und ich werde eben einfach Richterin, wenn ich die nötigen Examen schaffe - was ich dann auch getan habe. Dem habe ich auch wahnsinnig viel untergeordnet, habe zB im Studium keine Reisen oder ähnliches gemacht und in der Examensvorbereitung kaum Dinge unternommen, was mir meine Freund:innen teilweise erst heute drastisch gespiegelt haben. So habe ich jetzt ein "gut" und ein "vb" in der Tasche. Zuerst habe ich noch eine Promotion angefangen - während Corona - , das war allerdings so einsam, dass ich damit aufgehört und den Plan Justiz vorgezogen habe. Hier finde ich es wahnsinnig spannend, wie Du dein Gefühl beschreibst bei dem Gedanken, in die Justiz zu gehen: dieser innere Widerstand, der riesige Respekt vor der Verantwortung und der Arbeitsbelastung. Ganz genau so ging es mir auch! Mein Bauchgefühl hat wirklich Nein geschrien, aber ich habe mich darüber hinweggesetzt und bin dennoch eingestiegen. Ich kam dann ans Amtsgericht in Zivilsachen. Und die Belastung war unglaublich hoch. Ich habe mittlerweile erfahren, dass bei manchen StAs erst ein halbes Dezernat zugewiesen wird, bei mir am Amtsgericht war es jedenfalls ein volles. Genau wie Du es beschreibst, es war ähnlich wie in der Zivilstation im Referendariat (die ich auch furchtbar fand, hätte ein weiterer Hinweis iSe red flag sein können), man hat dauerhaft die Arbeit im Nacken, ich konnte kaum mit gutem Gewissen Feierabend machen, am Wochenende habe ich auch an beiden Tagen an irgendwelchen Urteilen geschrieben oder Verhandlungen vorbereitet. Nach wenigen Monaten habe ich dann die Reißleine gezogen, denn die Tätigkeit war zum einen einsam (also insoweit auch keine Verbesserung zur Corona-Promotion) und es kam mir zugleich nicht vor, als würde man etwas bewirken, sondern nur abarbeiten und wegarbeiten. Natürlich bedeutet jede Entscheidung etwas für einen Menschen (die Parteien), aber davon erfährst Du als Richterin in den unteren Instanzen eben nichts. Das Urteil wird rausgeschickt von der Geschäftsstelle und ciao - da ist sie weg, Deine Wochenend-Arbeit, Du hörst nur wieder davon, wenn sie berufungsfähig war und Berufung eingelegt wird (das jetzt alles fürs Zivilrecht gesprochen). Sicherlich stimmt es, was hier schon eingebracht wurde, dass die Belastung abnimmt irgendwann, aber da muss man auch erstmal hinkommen. Zumindest 6 Monate lang besteht auch noch die Urlaubssperre, d.h. Luft holen geht am Anfang nur über Krankmelden (und da werden auch nur deine Posteingänge vertreten, d.h. Urteile und Verhandlungen/Vorbereitungen bleiben liegen, der Stapel wächst weiter in Deiner Abwesenheit). Mein großes Pro für die Justiz war das, was Dir gerade zu fehlen scheint, nämlich das "kernjuristische" Arbeiten, aber jedenfalls am Amtsgericht ist allenfalls das Prozessrecht sehr strikt und wichtig zu kennen und zu befolgen, hinsichtlich materiellem Recht wird aber gern mal über den Daumen gepeilt, der Masse wegen. Langes Feilen an Urteilen ist zeitlich - zumindest am Anfang, nur davon kann ich berichten - unmöglich. Die Freude am Juristischen bleibt also (erstmal!) auf der Strecke. Das alles sind jetzt nur Schilderungen des Einstiegs und natürlich auch von einem konkreten Gericht - jedes Gericht/Bundesland hat da sicherlich auch Spielraum, den Einstieg besser zu gestalten.
So kann ich aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus eher davor warnen, Dich - jedenfalls zu früh - über einen inneren Widerstand, der über leichte Zweifel oder gewöhnliches "aufgeregt" sein, hinausgeht, hinwegzusetzen. Ich vermute, dass es in dem Falle besser ist (gewesen wäre), noch länger woanders Berufserfahrung zu sammeln, um sich als berufstätige:r Jurist:in zu etablieren, sich seiner Stärken und Qualitäten in der Praxis weiter sicher zu werden und ein "Dickes Fell" zu entwickeln - wobei man denken würde, dass die zwei Examens-Erfahrungen zu überstehen für ein dickes Fell ausreichen, aber so ist es wohl doch nicht (zwingend)... Das war eben immer wie Du beschreibst "auf ein Ziel hinarbeiten" und dann im richtigen Moment abliefern. Und so ist es dann später eben nicht mehr.
Im Übrigen gilt das mit der Justiz sicherlich nicht für jede:n, eine Kollegin von mir hat etwa gleichzeitig angefangen und sie hat meiner Vermutung nach ein bisschen eine (gesunde) "ach scheiß drauf"-Mentalität, hat sogar bei ihrer ersten Verhandlung den Anfang verschlafen, während ich die Nacht über wach lag, also wer so abgebrüht ist, der kann sicherlich auch früh gut in die Justiz einsteigen und nimmt sich den Druck einfach nicht so zu Herzen ;) Und hinsichtlich der Einsamkeit gilt das auch nur für die Arbeit an sich, die Kolleg:innen waren - bis auf ein paar komische Käuze - alle sehr smart, oft witzig, teils jung, und hilfsbereit.
Sorry auch hier für den Roman...
Ich suche jetzt also auch nach einem neuen Job, weiß auch nicht wohin mit mir und würde (Stand jetzt) gerne in die Verwaltung - für mich klingt es jetzt gerade sehr verlockend, dass nicht gearbeitet wird aber ich verstehe, dass auch das wieder zum Problem werden kann. Ich hoffe, jemand gießt dich als Primel doch bald mal wieder!
Danke für Deinen so offen geschriebenen Beitrag - ganz liebe Grüße :)
ich muss sagen, ich habe mich in dem "kleinen Roman" sehr gut wiedererkannt, ich bin nur anders abgebogen als Du...
Ich glaube auch, einige Antworten haben Dich etwas missverstanden: für mich klingt es jedenfalls, als würdest Du sehr gern juristisch arbeiten, der Hinweis, Jura war wohl nicht das richtige für Dich ist also dann eher nicht zutreffend. Sicherlich könntest du auch ganz etwas anderes machen, aber ich sehe Dich jetzt nicht völlig auf dem falschen Dampfer...
Zu mir: Meine Eltern sind sogar beide Juristen, mir wurde dadurch allerdings gar nicht zum Jurastudium geraten, es wurde eher mit Sorge bzgl. der hohen Belastung darauf geblickt, aber ich habe es mir dennoch ausgesucht. Ich habe im Gegensatz zu Dir das Studium teilweise sehr genossen, weil ich die Inhalte eben einfach allermeistens sehr interessant fand und auch direkt sehr nette Leute bzw. Freund:innen getroffen habe. Aber auch ich hatte im Grunde immer Scheuklappen auf hinsichtlich der Frage, was ich eigentlich damit anfangen will bzw. was am besten zu mir passt. Ich dachte immer, naja man kann ja soooo viel damit machen, und ich werde eben einfach Richterin, wenn ich die nötigen Examen schaffe - was ich dann auch getan habe. Dem habe ich auch wahnsinnig viel untergeordnet, habe zB im Studium keine Reisen oder ähnliches gemacht und in der Examensvorbereitung kaum Dinge unternommen, was mir meine Freund:innen teilweise erst heute drastisch gespiegelt haben. So habe ich jetzt ein "gut" und ein "vb" in der Tasche. Zuerst habe ich noch eine Promotion angefangen - während Corona - , das war allerdings so einsam, dass ich damit aufgehört und den Plan Justiz vorgezogen habe. Hier finde ich es wahnsinnig spannend, wie Du dein Gefühl beschreibst bei dem Gedanken, in die Justiz zu gehen: dieser innere Widerstand, der riesige Respekt vor der Verantwortung und der Arbeitsbelastung. Ganz genau so ging es mir auch! Mein Bauchgefühl hat wirklich Nein geschrien, aber ich habe mich darüber hinweggesetzt und bin dennoch eingestiegen. Ich kam dann ans Amtsgericht in Zivilsachen. Und die Belastung war unglaublich hoch. Ich habe mittlerweile erfahren, dass bei manchen StAs erst ein halbes Dezernat zugewiesen wird, bei mir am Amtsgericht war es jedenfalls ein volles. Genau wie Du es beschreibst, es war ähnlich wie in der Zivilstation im Referendariat (die ich auch furchtbar fand, hätte ein weiterer Hinweis iSe red flag sein können), man hat dauerhaft die Arbeit im Nacken, ich konnte kaum mit gutem Gewissen Feierabend machen, am Wochenende habe ich auch an beiden Tagen an irgendwelchen Urteilen geschrieben oder Verhandlungen vorbereitet. Nach wenigen Monaten habe ich dann die Reißleine gezogen, denn die Tätigkeit war zum einen einsam (also insoweit auch keine Verbesserung zur Corona-Promotion) und es kam mir zugleich nicht vor, als würde man etwas bewirken, sondern nur abarbeiten und wegarbeiten. Natürlich bedeutet jede Entscheidung etwas für einen Menschen (die Parteien), aber davon erfährst Du als Richterin in den unteren Instanzen eben nichts. Das Urteil wird rausgeschickt von der Geschäftsstelle und ciao - da ist sie weg, Deine Wochenend-Arbeit, Du hörst nur wieder davon, wenn sie berufungsfähig war und Berufung eingelegt wird (das jetzt alles fürs Zivilrecht gesprochen). Sicherlich stimmt es, was hier schon eingebracht wurde, dass die Belastung abnimmt irgendwann, aber da muss man auch erstmal hinkommen. Zumindest 6 Monate lang besteht auch noch die Urlaubssperre, d.h. Luft holen geht am Anfang nur über Krankmelden (und da werden auch nur deine Posteingänge vertreten, d.h. Urteile und Verhandlungen/Vorbereitungen bleiben liegen, der Stapel wächst weiter in Deiner Abwesenheit). Mein großes Pro für die Justiz war das, was Dir gerade zu fehlen scheint, nämlich das "kernjuristische" Arbeiten, aber jedenfalls am Amtsgericht ist allenfalls das Prozessrecht sehr strikt und wichtig zu kennen und zu befolgen, hinsichtlich materiellem Recht wird aber gern mal über den Daumen gepeilt, der Masse wegen. Langes Feilen an Urteilen ist zeitlich - zumindest am Anfang, nur davon kann ich berichten - unmöglich. Die Freude am Juristischen bleibt also (erstmal!) auf der Strecke. Das alles sind jetzt nur Schilderungen des Einstiegs und natürlich auch von einem konkreten Gericht - jedes Gericht/Bundesland hat da sicherlich auch Spielraum, den Einstieg besser zu gestalten.
So kann ich aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus eher davor warnen, Dich - jedenfalls zu früh - über einen inneren Widerstand, der über leichte Zweifel oder gewöhnliches "aufgeregt" sein, hinausgeht, hinwegzusetzen. Ich vermute, dass es in dem Falle besser ist (gewesen wäre), noch länger woanders Berufserfahrung zu sammeln, um sich als berufstätige:r Jurist:in zu etablieren, sich seiner Stärken und Qualitäten in der Praxis weiter sicher zu werden und ein "Dickes Fell" zu entwickeln - wobei man denken würde, dass die zwei Examens-Erfahrungen zu überstehen für ein dickes Fell ausreichen, aber so ist es wohl doch nicht (zwingend)... Das war eben immer wie Du beschreibst "auf ein Ziel hinarbeiten" und dann im richtigen Moment abliefern. Und so ist es dann später eben nicht mehr.
Im Übrigen gilt das mit der Justiz sicherlich nicht für jede:n, eine Kollegin von mir hat etwa gleichzeitig angefangen und sie hat meiner Vermutung nach ein bisschen eine (gesunde) "ach scheiß drauf"-Mentalität, hat sogar bei ihrer ersten Verhandlung den Anfang verschlafen, während ich die Nacht über wach lag, also wer so abgebrüht ist, der kann sicherlich auch früh gut in die Justiz einsteigen und nimmt sich den Druck einfach nicht so zu Herzen ;) Und hinsichtlich der Einsamkeit gilt das auch nur für die Arbeit an sich, die Kolleg:innen waren - bis auf ein paar komische Käuze - alle sehr smart, oft witzig, teils jung, und hilfsbereit.
Sorry auch hier für den Roman...
Ich suche jetzt also auch nach einem neuen Job, weiß auch nicht wohin mit mir und würde (Stand jetzt) gerne in die Verwaltung - für mich klingt es jetzt gerade sehr verlockend, dass nicht gearbeitet wird aber ich verstehe, dass auch das wieder zum Problem werden kann. Ich hoffe, jemand gießt dich als Primel doch bald mal wieder!
Danke für Deinen so offen geschriebenen Beitrag - ganz liebe Grüße :)
01.02.2023, 14:21
(01.02.2023, 13:29)lila-grün schrieb: Hi,
ich muss sagen, ich habe mich in dem "kleinen Roman" sehr gut wiedererkannt, ich bin nur anders abgebogen als Du...
Ich glaube auch, einige Antworten haben Dich etwas missverstanden: für mich klingt es jedenfalls, als würdest Du sehr gern juristisch arbeiten, der Hinweis, Jura war wohl nicht das richtige für Dich ist also dann eher nicht zutreffend. Sicherlich könntest du auch ganz etwas anderes machen, aber ich sehe Dich jetzt nicht völlig auf dem falschen Dampfer...
Zu mir: Meine Eltern sind sogar beide Juristen, mir wurde dadurch allerdings gar nicht zum Jurastudium geraten, es wurde eher mit Sorge bzgl. der hohen Belastung darauf geblickt, aber ich habe es mir dennoch ausgesucht. Ich habe im Gegensatz zu Dir das Studium teilweise sehr genossen, weil ich die Inhalte eben einfach allermeistens sehr interessant fand und auch direkt sehr nette Leute bzw. Freund:innen getroffen habe. Aber auch ich hatte im Grunde immer Scheuklappen auf hinsichtlich der Frage, was ich eigentlich damit anfangen will bzw. was am besten zu mir passt. Ich dachte immer, naja man kann ja soooo viel damit machen, und ich werde eben einfach Richterin, wenn ich die nötigen Examen schaffe - was ich dann auch getan habe. Dem habe ich auch wahnsinnig viel untergeordnet, habe zB im Studium keine Reisen oder ähnliches gemacht und in der Examensvorbereitung kaum Dinge unternommen, was mir meine Freund:innen teilweise erst heute drastisch gespiegelt haben. So habe ich jetzt ein "gut" und ein "vb" in der Tasche. Zuerst habe ich noch eine Promotion angefangen - während Corona - , das war allerdings so einsam, dass ich damit aufgehört und den Plan Justiz vorgezogen habe. Hier finde ich es wahnsinnig spannend, wie Du dein Gefühl beschreibst bei dem Gedanken, in die Justiz zu gehen: dieser innere Widerstand, der riesige Respekt vor der Verantwortung und der Arbeitsbelastung. Ganz genau so ging es mir auch! Mein Bauchgefühl hat wirklich Nein geschrien, aber ich habe mich darüber hinweggesetzt und bin dennoch eingestiegen. Ich kam dann ans Amtsgericht in Zivilsachen. Und die Belastung war unglaublich hoch. Ich habe mittlerweile erfahren, dass bei manchen StAs erst ein halbes Dezernat zugewiesen wird, bei mir am Amtsgericht war es jedenfalls ein volles. Genau wie Du es beschreibst, es war ähnlich wie in der Zivilstation im Referendariat (die ich auch furchtbar fand, hätte ein weiterer Hinweis iSe red flag sein können), man hat dauerhaft die Arbeit im Nacken, ich konnte kaum mit gutem Gewissen Feierabend machen, am Wochenende habe ich auch an beiden Tagen an irgendwelchen Urteilen geschrieben oder Verhandlungen vorbereitet. Nach wenigen Monaten habe ich dann die Reißleine gezogen, denn die Tätigkeit war zum einen einsam (also insoweit auch keine Verbesserung zur Corona-Promotion) und es kam mir zugleich nicht vor, als würde man etwas bewirken, sondern nur abarbeiten und wegarbeiten. Natürlich bedeutet jede Entscheidung etwas für einen Menschen (die Parteien), aber davon erfährst Du als Richterin in den unteren Instanzen eben nichts. Das Urteil wird rausgeschickt von der Geschäftsstelle und ciao - da ist sie weg, Deine Wochenend-Arbeit, Du hörst nur wieder davon, wenn sie berufungsfähig war und Berufung eingelegt wird (das jetzt alles fürs Zivilrecht gesprochen). Sicherlich stimmt es, was hier schon eingebracht wurde, dass die Belastung abnimmt irgendwann, aber da muss man auch erstmal hinkommen. Zumindest 6 Monate lang besteht auch noch die Urlaubssperre, d.h. Luft holen geht am Anfang nur über Krankmelden (und da werden auch nur deine Posteingänge vertreten, d.h. Urteile und Verhandlungen/Vorbereitungen bleiben liegen, der Stapel wächst weiter in Deiner Abwesenheit). Mein großes Pro für die Justiz war das, was Dir gerade zu fehlen scheint, nämlich das "kernjuristische" Arbeiten, aber jedenfalls am Amtsgericht ist allenfalls das Prozessrecht sehr strikt und wichtig zu kennen und zu befolgen, hinsichtlich materiellem Recht wird aber gern mal über den Daumen gepeilt, der Masse wegen. Langes Feilen an Urteilen ist zeitlich - zumindest am Anfang, nur davon kann ich berichten - unmöglich. Die Freude am Juristischen bleibt also (erstmal!) auf der Strecke. Das alles sind jetzt nur Schilderungen des Einstiegs und natürlich auch von einem konkreten Gericht - jedes Gericht/Bundesland hat da sicherlich auch Spielraum, den Einstieg besser zu gestalten.
So kann ich aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus eher davor warnen, Dich - jedenfalls zu früh - über einen inneren Widerstand, der über leichte Zweifel oder gewöhnliches "aufgeregt" sein, hinausgeht, hinwegzusetzen. Ich vermute, dass es in dem Falle besser ist (gewesen wäre), noch länger woanders Berufserfahrung zu sammeln, um sich als berufstätige:r Jurist:in zu etablieren, sich seiner Stärken und Qualitäten in der Praxis weiter sicher zu werden und ein "Dickes Fell" zu entwickeln - wobei man denken würde, dass die zwei Examens-Erfahrungen zu überstehen für ein dickes Fell ausreichen, aber so ist es wohl doch nicht (zwingend)... Das war eben immer wie Du beschreibst "auf ein Ziel hinarbeiten" und dann im richtigen Moment abliefern. Und so ist es dann später eben nicht mehr.
Im Übrigen gilt das mit der Justiz sicherlich nicht für jede:n, eine Kollegin von mir hat etwa gleichzeitig angefangen und sie hat meiner Vermutung nach ein bisschen eine (gesunde) "ach scheiß drauf"-Mentalität, hat sogar bei ihrer ersten Verhandlung den Anfang verschlafen, während ich die Nacht über wach lag, also wer so abgebrüht ist, der kann sicherlich auch früh gut in die Justiz einsteigen und nimmt sich den Druck einfach nicht so zu Herzen ;) Und hinsichtlich der Einsamkeit gilt das auch nur für die Arbeit an sich, die Kolleg:innen waren - bis auf ein paar komische Käuze - alle sehr smart, oft witzig, teils jung, und hilfsbereit.
Sorry auch hier für den Roman...
Ich suche jetzt also auch nach einem neuen Job, weiß auch nicht wohin mit mir und würde (Stand jetzt) gerne in die Verwaltung - für mich klingt es jetzt gerade sehr verlockend, dass nicht gearbeitet wird aber ich verstehe, dass auch das wieder zum Problem werden kann. Ich hoffe, jemand gießt dich als Primel doch bald mal wieder!
Danke für Deinen so offen geschriebenen Beitrag - ganz liebe Grüße :)
Welches gottlose Bundesland setzt seine Proberichter:innen denn bitte im first Year in ein abgesoffenes AG Dezernat?
01.02.2023, 16:11
(01.02.2023, 14:21)NDS-Jura1 schrieb:(01.02.2023, 13:29)lila-grün schrieb: Hi,
ich muss sagen, ich habe mich in dem "kleinen Roman" sehr gut wiedererkannt, ich bin nur anders abgebogen als Du...
Ich glaube auch, einige Antworten haben Dich etwas missverstanden: für mich klingt es jedenfalls, als würdest Du sehr gern juristisch arbeiten, der Hinweis, Jura war wohl nicht das richtige für Dich ist also dann eher nicht zutreffend. Sicherlich könntest du auch ganz etwas anderes machen, aber ich sehe Dich jetzt nicht völlig auf dem falschen Dampfer...
Zu mir: Meine Eltern sind sogar beide Juristen, mir wurde dadurch allerdings gar nicht zum Jurastudium geraten, es wurde eher mit Sorge bzgl. der hohen Belastung darauf geblickt, aber ich habe es mir dennoch ausgesucht. Ich habe im Gegensatz zu Dir das Studium teilweise sehr genossen, weil ich die Inhalte eben einfach allermeistens sehr interessant fand und auch direkt sehr nette Leute bzw. Freund:innen getroffen habe. Aber auch ich hatte im Grunde immer Scheuklappen auf hinsichtlich der Frage, was ich eigentlich damit anfangen will bzw. was am besten zu mir passt. Ich dachte immer, naja man kann ja soooo viel damit machen, und ich werde eben einfach Richterin, wenn ich die nötigen Examen schaffe - was ich dann auch getan habe. Dem habe ich auch wahnsinnig viel untergeordnet, habe zB im Studium keine Reisen oder ähnliches gemacht und in der Examensvorbereitung kaum Dinge unternommen, was mir meine Freund:innen teilweise erst heute drastisch gespiegelt haben. So habe ich jetzt ein "gut" und ein "vb" in der Tasche. Zuerst habe ich noch eine Promotion angefangen - während Corona - , das war allerdings so einsam, dass ich damit aufgehört und den Plan Justiz vorgezogen habe. Hier finde ich es wahnsinnig spannend, wie Du dein Gefühl beschreibst bei dem Gedanken, in die Justiz zu gehen: dieser innere Widerstand, der riesige Respekt vor der Verantwortung und der Arbeitsbelastung. Ganz genau so ging es mir auch! Mein Bauchgefühl hat wirklich Nein geschrien, aber ich habe mich darüber hinweggesetzt und bin dennoch eingestiegen. Ich kam dann ans Amtsgericht in Zivilsachen. Und die Belastung war unglaublich hoch. Ich habe mittlerweile erfahren, dass bei manchen StAs erst ein halbes Dezernat zugewiesen wird, bei mir am Amtsgericht war es jedenfalls ein volles. Genau wie Du es beschreibst, es war ähnlich wie in der Zivilstation im Referendariat (die ich auch furchtbar fand, hätte ein weiterer Hinweis iSe red flag sein können), man hat dauerhaft die Arbeit im Nacken, ich konnte kaum mit gutem Gewissen Feierabend machen, am Wochenende habe ich auch an beiden Tagen an irgendwelchen Urteilen geschrieben oder Verhandlungen vorbereitet. Nach wenigen Monaten habe ich dann die Reißleine gezogen, denn die Tätigkeit war zum einen einsam (also insoweit auch keine Verbesserung zur Corona-Promotion) und es kam mir zugleich nicht vor, als würde man etwas bewirken, sondern nur abarbeiten und wegarbeiten. Natürlich bedeutet jede Entscheidung etwas für einen Menschen (die Parteien), aber davon erfährst Du als Richterin in den unteren Instanzen eben nichts. Das Urteil wird rausgeschickt von der Geschäftsstelle und ciao - da ist sie weg, Deine Wochenend-Arbeit, Du hörst nur wieder davon, wenn sie berufungsfähig war und Berufung eingelegt wird (das jetzt alles fürs Zivilrecht gesprochen). Sicherlich stimmt es, was hier schon eingebracht wurde, dass die Belastung abnimmt irgendwann, aber da muss man auch erstmal hinkommen. Zumindest 6 Monate lang besteht auch noch die Urlaubssperre, d.h. Luft holen geht am Anfang nur über Krankmelden (und da werden auch nur deine Posteingänge vertreten, d.h. Urteile und Verhandlungen/Vorbereitungen bleiben liegen, der Stapel wächst weiter in Deiner Abwesenheit). Mein großes Pro für die Justiz war das, was Dir gerade zu fehlen scheint, nämlich das "kernjuristische" Arbeiten, aber jedenfalls am Amtsgericht ist allenfalls das Prozessrecht sehr strikt und wichtig zu kennen und zu befolgen, hinsichtlich materiellem Recht wird aber gern mal über den Daumen gepeilt, der Masse wegen. Langes Feilen an Urteilen ist zeitlich - zumindest am Anfang, nur davon kann ich berichten - unmöglich. Die Freude am Juristischen bleibt also (erstmal!) auf der Strecke. Das alles sind jetzt nur Schilderungen des Einstiegs und natürlich auch von einem konkreten Gericht - jedes Gericht/Bundesland hat da sicherlich auch Spielraum, den Einstieg besser zu gestalten.
So kann ich aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus eher davor warnen, Dich - jedenfalls zu früh - über einen inneren Widerstand, der über leichte Zweifel oder gewöhnliches "aufgeregt" sein, hinausgeht, hinwegzusetzen. Ich vermute, dass es in dem Falle besser ist (gewesen wäre), noch länger woanders Berufserfahrung zu sammeln, um sich als berufstätige:r Jurist:in zu etablieren, sich seiner Stärken und Qualitäten in der Praxis weiter sicher zu werden und ein "Dickes Fell" zu entwickeln - wobei man denken würde, dass die zwei Examens-Erfahrungen zu überstehen für ein dickes Fell ausreichen, aber so ist es wohl doch nicht (zwingend)... Das war eben immer wie Du beschreibst "auf ein Ziel hinarbeiten" und dann im richtigen Moment abliefern. Und so ist es dann später eben nicht mehr.
Im Übrigen gilt das mit der Justiz sicherlich nicht für jede:n, eine Kollegin von mir hat etwa gleichzeitig angefangen und sie hat meiner Vermutung nach ein bisschen eine (gesunde) "ach scheiß drauf"-Mentalität, hat sogar bei ihrer ersten Verhandlung den Anfang verschlafen, während ich die Nacht über wach lag, also wer so abgebrüht ist, der kann sicherlich auch früh gut in die Justiz einsteigen und nimmt sich den Druck einfach nicht so zu Herzen ;) Und hinsichtlich der Einsamkeit gilt das auch nur für die Arbeit an sich, die Kolleg:innen waren - bis auf ein paar komische Käuze - alle sehr smart, oft witzig, teils jung, und hilfsbereit.
Sorry auch hier für den Roman...
Ich suche jetzt also auch nach einem neuen Job, weiß auch nicht wohin mit mir und würde (Stand jetzt) gerne in die Verwaltung - für mich klingt es jetzt gerade sehr verlockend, dass nicht gearbeitet wird aber ich verstehe, dass auch das wieder zum Problem werden kann. Ich hoffe, jemand gießt dich als Primel doch bald mal wieder!
Danke für Deinen so offen geschriebenen Beitrag - ganz liebe Grüße :)
Welches gottlose Bundesland setzt seine Proberichter:innen denn bitte im first Year in ein abgesoffenes AG Dezernat?
Haha danke. :)
Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert... gottlos im Teufelskreis...
Ich finde übrigens wie schon gesagt wurde, die genannten Vorschläge an Bepo - Rechtsamt oder Unternehmen - klingen ganz gut! Also ich war zB im Rechtsamt einer mittelgroßen Stadt in der Wahlstation und das war tatsächlich super...