22.02.2024, 13:48
Hey, hier mal eine relativ allgemeine Fragestellung zur Klausurtechnik im 2. Examen (mir ist natürlich bewusst, dass das schwer verallgemeinerbar und korrekturabhängig ist...)
Kurz zu meinen Erfahrungen: Ich habe bisher 3x Examen geschrieben (1. und Verbesserung, einmal 2., Bayern). Ausnahmslos alle einzelnen Klausuren dieser drei Durchgänge wurden sozusagen genau konträr zu meinem Gefühl bewertet. Honorable Mentions: Erste Klausur ZivilR (Verbesserung 1. Ex): Lief so beschissen, dass ich danach mit dem Durchgang komplett abgeschlossen hatte und es eigentlich für Zeitverschwendung hielt, weiterzuschreiben. Mit insbesondere der dritten ZivilR-Klausur hatte ich dann den Eindruck, wieder was rausgerissen zu haben. Ergebnis erste Klausur 12,5 Pkt, dritte 2,0. Im zweiten Examen war es ähnlich, gutes Gefühl in den ersten 4 ZivilR-Klausuren, katastrophales Gefühl in öR; Zivilrecht bewegte sich zwischen 3 und 5 Punkten, öR zwischen 6 und 8.
Frage 1: War das bei euch ähnlich oder ist das ein sonderbares Phänomen bei mir? Die Uni-Klausuren konnte ich eigentlich meistens relativ gut einschätzen, natürlich mit Ausnahmen.
Zu meiner Analyse: Insbes. im zweiten Examen habe ich in der Rückschau den Eindruck, die besser bewerteten Klausuren (bei denen ich aber ein schlechtes Gefühl hatte) waren die, in denen mir systematisch üble Fehler unterlaufen sind - daher mein schlechtes Gefühl - weil ich zu früh einfach losgeschrieben und zu wenig Zeit in Gliederung & Skizze & Lösung hinterfragen investiert habe. Dementsprechend waren in der Lösung aber insgesamt, aufgrund der längeren Schreibzeit, mehr Probleme verarbeitet/"abgearbeitet" und teilweise wahrscheinlich ausführlicher argumentiert.
Bei den schlechter bewerteten Klausuren hatte ich mir exorbitant viel Zeit für Gliederung und Skizze genommen und alles mehrfach auf Systematikfehler usw. überprüft (insbes. aus dem Schock über die geschehenen Systematikfehler der vorigen Klausuren heraus). Wahrscheinlich - soweit ich zumindest weiß - enthielten diese Klausuren dann keine groben Schnitzer, aber hatten auch zeitlich bedingt, wegen der langen Gliederungsdauer, weniger Probleme angesprochen, jeweils weniger Zeit für die Formulierung der Probleme übrig, und nicht genug generell in der Tiefe argumentiert.
D.h. unterm Strich wäre meine These/Beobachtung, dass die Korrektur generell Quantität bzgl. gefundener Probleme und Qualität hinsichtlich Argumentation deutlich mehr honoriert, als saubere Systematik im Schema bzw. das Fehlen von Widersprüchen. (In der Uni war meine Erfahrung und wurde uns auch vermittelt, dass letzteres extrem wichtig sei).
Frage 2: Haltet ihr diese Analyse für plausibel und habt ihr Alternativ-Ideen, woran es lag oder was generell bei der Korrektur entscheidend ist und man vielleicht nicht so auf dem Schirm hat?
Ich gehe bald in die Verbesserung 2. Ex. und überlege aktuell, mir als Strategie einfach "viel früher losschreiben" zu setzen - mehr darauf achten, quantitativ viele Probleme zu finden und zu verarbeiten, und ausreichend Zeit für Argumentation zu haben, und weniger auf ein widerspruchsfreies Gesamtschema. Letzteres kostet (zumindest mich) im 2. Ex. aufgrund der Komplexität auch einfach sehr viel Zeit und der Benefit in der Bewertung demgegenüber scheint/schien zumindest in meinen bisherigen Bewertungen kaum bis nicht vorhanden zu sein.
Nochmal, dass man schwer verallgemeinern kann und auch nicht per se von meinen bisherigen Korrekturen auf die künftigen schlussfolgern kann, ist mir klar. Dennoch wirkt es für mich schon nach einem komischen Zufall, dass das eine scheinbare Gemeinsamkeit ALLER Bewertungen war, denen ich im Examen unterzogen wurde.
Würde mich sehr über Gedanken/Erfahrungen dazu freuen!
Kurz zu meinen Erfahrungen: Ich habe bisher 3x Examen geschrieben (1. und Verbesserung, einmal 2., Bayern). Ausnahmslos alle einzelnen Klausuren dieser drei Durchgänge wurden sozusagen genau konträr zu meinem Gefühl bewertet. Honorable Mentions: Erste Klausur ZivilR (Verbesserung 1. Ex): Lief so beschissen, dass ich danach mit dem Durchgang komplett abgeschlossen hatte und es eigentlich für Zeitverschwendung hielt, weiterzuschreiben. Mit insbesondere der dritten ZivilR-Klausur hatte ich dann den Eindruck, wieder was rausgerissen zu haben. Ergebnis erste Klausur 12,5 Pkt, dritte 2,0. Im zweiten Examen war es ähnlich, gutes Gefühl in den ersten 4 ZivilR-Klausuren, katastrophales Gefühl in öR; Zivilrecht bewegte sich zwischen 3 und 5 Punkten, öR zwischen 6 und 8.
Frage 1: War das bei euch ähnlich oder ist das ein sonderbares Phänomen bei mir? Die Uni-Klausuren konnte ich eigentlich meistens relativ gut einschätzen, natürlich mit Ausnahmen.
Zu meiner Analyse: Insbes. im zweiten Examen habe ich in der Rückschau den Eindruck, die besser bewerteten Klausuren (bei denen ich aber ein schlechtes Gefühl hatte) waren die, in denen mir systematisch üble Fehler unterlaufen sind - daher mein schlechtes Gefühl - weil ich zu früh einfach losgeschrieben und zu wenig Zeit in Gliederung & Skizze & Lösung hinterfragen investiert habe. Dementsprechend waren in der Lösung aber insgesamt, aufgrund der längeren Schreibzeit, mehr Probleme verarbeitet/"abgearbeitet" und teilweise wahrscheinlich ausführlicher argumentiert.
Bei den schlechter bewerteten Klausuren hatte ich mir exorbitant viel Zeit für Gliederung und Skizze genommen und alles mehrfach auf Systematikfehler usw. überprüft (insbes. aus dem Schock über die geschehenen Systematikfehler der vorigen Klausuren heraus). Wahrscheinlich - soweit ich zumindest weiß - enthielten diese Klausuren dann keine groben Schnitzer, aber hatten auch zeitlich bedingt, wegen der langen Gliederungsdauer, weniger Probleme angesprochen, jeweils weniger Zeit für die Formulierung der Probleme übrig, und nicht genug generell in der Tiefe argumentiert.
D.h. unterm Strich wäre meine These/Beobachtung, dass die Korrektur generell Quantität bzgl. gefundener Probleme und Qualität hinsichtlich Argumentation deutlich mehr honoriert, als saubere Systematik im Schema bzw. das Fehlen von Widersprüchen. (In der Uni war meine Erfahrung und wurde uns auch vermittelt, dass letzteres extrem wichtig sei).
Frage 2: Haltet ihr diese Analyse für plausibel und habt ihr Alternativ-Ideen, woran es lag oder was generell bei der Korrektur entscheidend ist und man vielleicht nicht so auf dem Schirm hat?
Ich gehe bald in die Verbesserung 2. Ex. und überlege aktuell, mir als Strategie einfach "viel früher losschreiben" zu setzen - mehr darauf achten, quantitativ viele Probleme zu finden und zu verarbeiten, und ausreichend Zeit für Argumentation zu haben, und weniger auf ein widerspruchsfreies Gesamtschema. Letzteres kostet (zumindest mich) im 2. Ex. aufgrund der Komplexität auch einfach sehr viel Zeit und der Benefit in der Bewertung demgegenüber scheint/schien zumindest in meinen bisherigen Bewertungen kaum bis nicht vorhanden zu sein.
Nochmal, dass man schwer verallgemeinern kann und auch nicht per se von meinen bisherigen Korrekturen auf die künftigen schlussfolgern kann, ist mir klar. Dennoch wirkt es für mich schon nach einem komischen Zufall, dass das eine scheinbare Gemeinsamkeit ALLER Bewertungen war, denen ich im Examen unterzogen wurde.
Würde mich sehr über Gedanken/Erfahrungen dazu freuen!
22.02.2024, 15:43
In der Allgemeinheit natürlich schwierig zu beantworten, insbesondere da mir nicht ganz klar ist, was Du mit dem widerspruchsfreien systematischen Aufbau meinst. Aber ganz grob aus meiner Korrekturerfahrung kann ich Dir sagen, dass Du die meisten Punkte damit bekommst, dass Du die Probleme des Falls siehst und diese argumentativ aufarbeitest (Mit nichts kann man mich mehr aufregen, als wenn jemand ein Problem sieht und dann schreibt, dass er es dahinstehen lässt. Noch vorsätzlicher kann man seine Punkte ja nicht wegschmeißen). Der grobe Aufbau sollte natürlich auch passen, der Tenor vorhanden sein, der praktische Teil annehmbar und beim Strafurteil z.B. kein Verstoß gg. nemo tenetur in der Strafzumessung da sein bzw. im Zivilrecht kein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip. Am Ende des Tages spielt die sprachliche Darstellung und die Güte der Argumentation eine ganz entscheidende Rolle. Man kann zwei Leuten dieselbe Lösungsskizze geben und der eine geht mit 5 Punkten und der andere mit 12 Punkten raus.
22.02.2024, 17:01
(22.02.2024, 15:43)NRWAG schrieb: In der Allgemeinheit natürlich schwierig zu beantworten, insbesondere da mir nicht ganz klar ist, was Du mit dem widerspruchsfreien systematischen Aufbau meinst. Aber ganz grob aus meiner Korrekturerfahrung kann ich Dir sagen, dass Du die meisten Punkte damit bekommst, dass Du die Probleme des Falls siehst und diese argumentativ aufarbeitest (Mit nichts kann man mich mehr aufregen, als wenn jemand ein Problem sieht und dann schreibt, dass er es dahinstehen lässt. Noch vorsätzlicher kann man seine Punkte ja nicht wegschmeißen). Der grobe Aufbau sollte natürlich auch passen, der Tenor vorhanden sein, der praktische Teil annehmbar und beim Strafurteil z.B. kein Verstoß gg. nemo tenetur in der Strafzumessung da sein bzw. im Zivilrecht kein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip. Am Ende des Tages spielt die sprachliche Darstellung und die Güte der Argumentation eine ganz entscheidende Rolle. Man kann zwei Leuten dieselbe Lösungsskizze geben und der eine geht mit 5 Punkten und der andere mit 12 Punkten raus.
Schwer zu erklären, was ich mit dem widerspruchsfreien Aufbau meine. Wahrscheinlich gefühlt "Kleinigkeiten".
a) Um mal auf deine Meinung zu nicht aufgelösten Problemen Bezug zu nehmen: z.B. halte ich es eigentlich für fehlerhaft bzw. wurde es in meiner AG als fehlerhaft dargestellt, nicht entscheidungserhebliche Probleme im Urteil darzustellen. Darunter fällt insbes., das Urteil nicht auf die einfachste/voraussetzungsärmste AGL (Bsp. § 7 StVG), sondern auf eine schwerer erfüllbare AGL (Bsp. § 823 BGB) zu stützen, etwa weil dort Probleme liegen. Denn es kommt auf das Erfüllen des § 823 dann für den Erfolg der Klage überhaupt nicht an. Probleme bei § 823 sollten dann ins HGA. In der Praxis hat man fürs HGA aber evtl. keine Zeit mehr und das Problem wird gar nicht bearbeitet. Wenn der Korrektor diesen Gedankengang mit der Entscheidungserheblichkeit dann zB überhaupt nicht hat, und nur sieht, dass das Problem nicht bearbeitet wurde, verliert man ja wirklich nur mit diesem Vorgehen. Sollte man den Prüfungsschritt, was wie entscheidungserheblich ist/welche AGL wie effektiv sind, dann besser komplett weglassen, und einfach die AGL prüfen, mit der man am meisten Probleme schon im Hauptschriftsatz unterbringt?
b) Etwas krasseres Beispiel aus 2. Ex. ZivilR 1: Was dort genau passiert ist, weiß ich nicht mehr/wusste ich noch nie, aber es war ein kompliziertes Zusammenspiel aus Leasing, StVG, 823, Gesamtschuld usw... dort hab ich eher so drauf los gemacht, hatte am Ende Wertungswidersprüche/Systematikfehler in 823 (übersehen, dass er in diesem Fall ausnahmsweise viel einfacher durchgegangen wäre als StVG, somit Anspruch falsch abgelehnt + falsch begründet + falsche AGL). Dachte das war 1 Punkt. Waren am Ende 5 und eher eine der besseren Klausuren in ZivilR, da ich nach dieser ersten eben viel zu genau und vorsichtig war. Da waren dann keine solchen Fehler mehr drin, aber wahrscheinlich auch generell "zu wenig".
In der ersten Klausur hab ich mir ca. eine Stunde für Gliederung usw. genommen und dann losgeschrieben. Ich war immer eher der Typ, der sehr kurz am Anfang überlegt hat. Im ersten Examen mit Gutachtenstil funktioniert das natürlich auch WEITAUS besser als im 2., wo man das Ergebnis schon am Anfang (Tenor & Urteilsstil) fix haben muss. Ab der 2. Klausur hab ich mir 2,5 Stunden zum gliedern genommen. Denke, das war definitiv zu lange. Das Fehlen von Widersprüchen/Aufbaufehlern hat den Zeitmangel beim Schreiben/die fehlende Abarbeitung von manchen Problemen wahrscheinlich nicht kompensiert.
c) Mal eine Anschlussfrage, die mir gerade erst kommt: Uns wurde auch beigebracht, dass der Urteilsstil ABSOLUT essentiell ist. Gutachtenstil darf selbst in Gutachten-Klausuren keinesfalls (!) verwendet werden (hier waren sich eine Landgericht-Richterin und eine Oberstaatsanwältin uneinig, aber wem willst du da eher glauben, gab kaum Literatur oder andere Quellen dazu). Sprich: Wir haben einen Mehraufwand dadurch, nie einfach losschreiben zu können ("Fraglich ist..."), sondern, erstmal Ergebnis zu ermitteln (denken vor schreiben bzw. lange gliedern/prüfen/skizzieren) und dann die Gedanken auszuformulieren. Hier im Forum hab ich oft Andeutungen auf den Gutachtenstil (in 2.Ex-Klausuren) gelesen. Wie ist das zu verstehen? Ist das tatsächlich falsch, dass der Gutachtenstil im 2. Examen SO ein Kapitalfehler ist? Habe hier z.B. teilweise gelesen, bei problematischeren Stellen dürfe/solle man den Gutachtenstil verwenden. Laut meiner Ausbildung wäre dort lediglich der Urteilsstil in ausführlicher (also mehr bei dem "Weil"-Teil) zulässig.
Vielen Dank schon mal überhaupt fürs durchlesen, hab da gerade Probleme (wie auch in Klausuren ), mich kürzer zu fassen.
22.02.2024, 18:53
Hey,
Also ich kann mich nur zum letzten Punkt äußern (und habe noch kein zweites Examen).
Uns wurde beigebracht, dass in Anwaltsklausuren stets der Gutachtenstil anzuwenden ist. Wenns unproblematisch ist der Feststellungsstil.
Also ich kann mich nur zum letzten Punkt äußern (und habe noch kein zweites Examen).
Uns wurde beigebracht, dass in Anwaltsklausuren stets der Gutachtenstil anzuwenden ist. Wenns unproblematisch ist der Feststellungsstil.
22.02.2024, 19:13
(22.02.2024, 18:53)RefSH schrieb: Hey,
Also ich kann mich nur zum letzten Punkt äußern (und habe noch kein zweites Examen).
Uns wurde beigebracht, dass in Anwaltsklausuren stets der Gutachtenstil anzuwenden ist. Wenns unproblematisch ist der Feststellungsstil.
Danke für die Antwort. :) Habe ich fast schon befürchtet - jeder sagt etwas anderes. Vielleicht rufe ich dazu nochmal das LJPA an, ich meine, ich hatte das schon mal gemacht und da war es so eine "dazwischen" -Antwort (Gutachtenstil bei Gutachten, Urteilsstil bei allen Schriftsätzen oder so).
Bist du auch in Bayern? Es gibt da evtl. auch generelle Unterschiede zwischen den Ländern, zB kenne ich auch die Wörter "Aktenvortrag" und "praktischer Teil" nicht, die ich hier ständig lese. :D
Und nochmal zum Verständnis: Auch ein RA-Schriftsatz wie Klageschrift oder Klageerwiderung soll bei euch im Gutachtenstil geschrieben werden, also mit "könnte, müsste" und Ergebnis am Ende?
22.02.2024, 20:30
Nein, ich bin nicht in Bayern und dachte es ginge um das vorbereitende Gutachten (die ihr nicht habt ).
Die Schriftsätze werden auch bei uns im Urteilsstil geschrieben.
Die Schriftsätze werden auch bei uns im Urteilsstil geschrieben.
23.02.2024, 11:49
(22.02.2024, 20:30)RefSH schrieb: Nein, ich bin nicht in Bayern und dachte es ginge um das vorbereitende Gutachten (die ihr nicht habt ).
Die Schriftsätze werden auch bei uns im Urteilsstil geschrieben.
Achso Ok das erklärt es. Gutachten haben wir wie gesagt auch als Klausurtyp, eher bei den Kautelarklausuren, selten auch bei anderen, da ist es bei uns wie gesagt anscheinend "strittig" ob dort Gutachten- oder Urteilsstil zu verwenden ist. Aber Gutachtenstil würde schon Sinn machen bei einem Gutachten :D