09.11.2024, 12:50
Hallo in die Runde,
bisher war ich stille Mitleserin, möchte jetzt aber vielleicht etwas beruhigung oder eben doch knallharte Fakten erfahren. Ich bin Proberichterin im zweiten Jahr an einem LG in einem 100%-Zivildezernat derzeit mit ca 160 offenen Verfahren. Die Arbeit gefällt mir, es ist viel, aber Richterin ist mein Traumjob. Es ist ein Drahtseilakt zwischen votieren, verhandeln und Urteilen verfassen, aber man kämpft sich durch.
Nun kommen Zweifel an meiner Kompetenz auf, weil ich die Kammer gewechselt habe. Mein jetziger Vorsitzender lässt sich jeden Hinweisbeschluss und Urteil von mir vorlegen beziehungsweise liest sich jene selbst durch.
Das führt teilweise dazu, dass ich diese mit 1000 Bemerkungen zurückerhalte, was alles so falsch daran wäre. Das fängt bei Kommasetzung an und endet bei inhaltlichen, rechtlichen "Mängeln". Das kratzt an meinem Selbstbewusstsein. Ich möchte diese Fehler auch gar nicht in Abrede stellen, die existieren teilweise tatsächlich. Mal habe ich falsche Anspruchsgrundlagen geprüft oder bin irgendwo falsch abgebogen, weil ich Dinge in der Akte übersehen habe. Aber ich bin auch nur ein Mensch, der nicht unfehlbar ist und bei inhaltlichen Mängeln mag, so hart es auch klingt, die zweite Instanz drüber gucken.
Der jetzige Anlass für diesen Post resultiert aber insbesondere daher, dass ich zwei (!) Gehörsrügen innerhalb von einem Monat "kassiert" habe, weil ich (und das trifft zu) Vortrag einer Partei übersehen/ übergangen habe und in dieser Grundannahme etwas als unstreitig behandelt habe, was es aber nicht war, weil eindeutig bestritten. Das habe ich in der Aktenflut leider übersehen und mein Vorsitzender findet das natürlich eher nicht so gut.
Jetzt kommen bei mir langsam Zweifel im Hinblick auf meine Probezeit auf, weil mir von meinem Vorsitzenden mehr und mehr das Gefühl der Inkompetenz vermittelt wird. Daher die Frage: Wie seid ihr/ geht ihr mit Fehlern als Richterin/ Richter auf Probe umgegangen? Gibt es Fehler, die zur Ungeeignetheit führen?
Vielleicht könnt ihr mich ein bisschen beruhigen.
bisher war ich stille Mitleserin, möchte jetzt aber vielleicht etwas beruhigung oder eben doch knallharte Fakten erfahren. Ich bin Proberichterin im zweiten Jahr an einem LG in einem 100%-Zivildezernat derzeit mit ca 160 offenen Verfahren. Die Arbeit gefällt mir, es ist viel, aber Richterin ist mein Traumjob. Es ist ein Drahtseilakt zwischen votieren, verhandeln und Urteilen verfassen, aber man kämpft sich durch.
Nun kommen Zweifel an meiner Kompetenz auf, weil ich die Kammer gewechselt habe. Mein jetziger Vorsitzender lässt sich jeden Hinweisbeschluss und Urteil von mir vorlegen beziehungsweise liest sich jene selbst durch.
Das führt teilweise dazu, dass ich diese mit 1000 Bemerkungen zurückerhalte, was alles so falsch daran wäre. Das fängt bei Kommasetzung an und endet bei inhaltlichen, rechtlichen "Mängeln". Das kratzt an meinem Selbstbewusstsein. Ich möchte diese Fehler auch gar nicht in Abrede stellen, die existieren teilweise tatsächlich. Mal habe ich falsche Anspruchsgrundlagen geprüft oder bin irgendwo falsch abgebogen, weil ich Dinge in der Akte übersehen habe. Aber ich bin auch nur ein Mensch, der nicht unfehlbar ist und bei inhaltlichen Mängeln mag, so hart es auch klingt, die zweite Instanz drüber gucken.
Der jetzige Anlass für diesen Post resultiert aber insbesondere daher, dass ich zwei (!) Gehörsrügen innerhalb von einem Monat "kassiert" habe, weil ich (und das trifft zu) Vortrag einer Partei übersehen/ übergangen habe und in dieser Grundannahme etwas als unstreitig behandelt habe, was es aber nicht war, weil eindeutig bestritten. Das habe ich in der Aktenflut leider übersehen und mein Vorsitzender findet das natürlich eher nicht so gut.
Jetzt kommen bei mir langsam Zweifel im Hinblick auf meine Probezeit auf, weil mir von meinem Vorsitzenden mehr und mehr das Gefühl der Inkompetenz vermittelt wird. Daher die Frage: Wie seid ihr/ geht ihr mit Fehlern als Richterin/ Richter auf Probe umgegangen? Gibt es Fehler, die zur Ungeeignetheit führen?
Vielleicht könnt ihr mich ein bisschen beruhigen.
09.11.2024, 14:15
Du berichtest von Kammersachen, nicht Einzelrichtersachen, oder? Sonst wäre es krass übergriffig bzw. rechtswidrig.
Die Vorsitzenden definieren ihre Rolle extrem unterschiedlich. Du bist nun offenbar an einen geraten, der nicht auf Vertretbarkeit kontrolliert, sondern voll dahinterstehen will. Das ist lästig und psychisch belastend, aber natürlich auch extrem lehrreich.
Ich habe das Gefühl, dass Du dich in die Arbeit stürzen willst, um die Zahlen zu schaffen - das steht natürlich in einem Spannungsverhältnis zur Qualität. Aber niemand fliegt aus der Probezeit wegen ein paar fachlicher Fehler. Entscheidend ist, ob man sich menschlich gescheit verhält und keine völlig krassen Fehler macht. Übersehener Vortrag ist kein krasser Fehler, sondern kommt in der Eile leider vor.
Die Vorsitzenden definieren ihre Rolle extrem unterschiedlich. Du bist nun offenbar an einen geraten, der nicht auf Vertretbarkeit kontrolliert, sondern voll dahinterstehen will. Das ist lästig und psychisch belastend, aber natürlich auch extrem lehrreich.
Ich habe das Gefühl, dass Du dich in die Arbeit stürzen willst, um die Zahlen zu schaffen - das steht natürlich in einem Spannungsverhältnis zur Qualität. Aber niemand fliegt aus der Probezeit wegen ein paar fachlicher Fehler. Entscheidend ist, ob man sich menschlich gescheit verhält und keine völlig krassen Fehler macht. Übersehener Vortrag ist kein krasser Fehler, sondern kommt in der Eile leider vor.
09.11.2024, 17:49
Sei froh, dass es ihn so interessiert und er sich so viel Mühe gibt, dir Anmerkungen zu geben.
Ich glaube, es gibt nichts Besseres als einen "strengen" Lehrer, um richtig gut zu werden. An jemand, der einfach alles abnickt und sehr niedrige Ansprüche hat, wächst man nicht
Ich glaube, es gibt nichts Besseres als einen "strengen" Lehrer, um richtig gut zu werden. An jemand, der einfach alles abnickt und sehr niedrige Ansprüche hat, wächst man nicht
09.11.2024, 17:59
(09.11.2024, 12:50)Herbsti17 schrieb: Das führt teilweise dazu, dass ich diese mit 1000 Bemerkungen zurückerhalte, was alles so falsch daran wäre. Das fängt bei Kommasetzung an und endet bei inhaltlichen, rechtlichen "Mängeln". Das kratzt an meinem Selbstbewusstsein. Ich möchte diese Fehler auch gar nicht in Abrede stellen, die existieren teilweise tatsächlich. Mal habe ich falsche Anspruchsgrundlagen geprüft oder bin irgendwo falsch abgebogen, weil ich Dinge in der Akte übersehen habe. Aber ich bin auch nur ein Mensch, der nicht unfehlbar ist und bei inhaltlichen Mängeln mag, so hart es auch klingt, die zweite Instanz drüber gucken.
So einen "Ausbilder" zu haben, ist doch super. Sicherlich nervt das zwischendrin aber wie willst du inhaltlich besser werden, wenn dich niemand auf deine Fehler aufmerksam macht. Dein Anspruch kann und sollte es auch nicht sein, inhaltlich falsche Urteile zu sprechen, die dann von der zweiten Instanz korrigiert werden.
Nimm es also als Teil des Lernprozesses hin.
10.11.2024, 10:58
In welchen Fällen gibt es denn am LG Gehörsrügen? Gibt es da nicht immer ein Rechtsmittel?
Zur eigentlichen Frage: Bin selbst Proberichterin am VG und hier ist es normal, dass die Vorsitzende oder der Vorsitzende die Sachen sieht, weil man am Anfang eben noch nicht einzelrichterin sein darf.
Zur eigentlichen Frage: Bin selbst Proberichterin am VG und hier ist es normal, dass die Vorsitzende oder der Vorsitzende die Sachen sieht, weil man am Anfang eben noch nicht einzelrichterin sein darf.
25.11.2024, 22:58
Bei der Fülle an neuen Aufgaben macht man eben sehr viele Fehler.
Ich sag mir immer wieder, dass das System das eben einkalkuliert. Man kann von uns nicht erwarten, dass wir all das direkt können. Es gibt ja keine echte Einarbeitung.
Die ersten Jahre struggelt man eben.
Ich verstehe dich aber trotzdem gut. Ich sehne mich manchmal ans AG, damit niemand über meine Sachen rüberschaut, obwohl es ja natürlich gut ist, auf die Fehler aufmerksam zu werden! 😆 Das ist mir klar, aber es fühlt sich halt nicht gut an… 😬 und man darf sich nicht zu sehr auf die Fehler konzentrieren, sonst passieren eher noch mehr (Self fullfilling prophecy…)
Und ich bin sicher, viele machen die gleichen Fehler wie du (oder viel schlimmere), es fällt nur so schnell keinem auf!
Ich hoffe, es geht dir bald wieder besser bzw du lernst gut damit umzugehen!
Ich sag mir immer wieder, dass das System das eben einkalkuliert. Man kann von uns nicht erwarten, dass wir all das direkt können. Es gibt ja keine echte Einarbeitung.
Die ersten Jahre struggelt man eben.
Ich verstehe dich aber trotzdem gut. Ich sehne mich manchmal ans AG, damit niemand über meine Sachen rüberschaut, obwohl es ja natürlich gut ist, auf die Fehler aufmerksam zu werden! 😆 Das ist mir klar, aber es fühlt sich halt nicht gut an… 😬 und man darf sich nicht zu sehr auf die Fehler konzentrieren, sonst passieren eher noch mehr (Self fullfilling prophecy…)
Und ich bin sicher, viele machen die gleichen Fehler wie du (oder viel schlimmere), es fällt nur so schnell keinem auf!
Ich hoffe, es geht dir bald wieder besser bzw du lernst gut damit umzugehen!
26.11.2024, 08:47
Naja, am Ende des Tages musst du dich allerdings auch ehrlich machen (was du zum Glück auch offensichtlich tust) und dir eingestehen, dass du die Fehler schlicht begangen hast. Das wird wahrscheinlich nichts an deiner erfolgreichen Probezeit ändern und kommt natürlich vor. Es sollte dir aber auch Anlass sein, deine Arbeitsweise zu überdenken und dich ernsthaft zu fragen, woher die Fehler resultieren. Dass man mal eine falsche Anspruchsgrundlage prüft, kann natürlich vorkommen. Das wird auch deinem Vorsitzenden passieren. Es ist ja auch vieles umstritten und vertretbar. Aber die Sache mit dem Parteivortrag sollte eigentlich nicht vorkommen.
26.11.2024, 08:57
(26.11.2024, 08:47)Pontifex Maximus schrieb: Naja, am Ende des Tages musst du dich allerdings auch ehrlich machen (was du zum Glück auch offensichtlich tust) und dir eingestehen, dass du die Fehler schlicht begangen hast. Das wird wahrscheinlich nichts an deiner erfolgreichen Probezeit ändern und kommt natürlich vor. Es sollte dir aber auch Anlass sein, deine Arbeitsweise zu überdenken und dich ernsthaft zu fragen, woher die Fehler resultieren. Dass man mal eine falsche Anspruchsgrundlage prüft, kann natürlich vorkommen. Das wird auch deinem Vorsitzenden passieren. Es ist ja auch vieles umstritten und vertretbar. Aber die Sache mit dem Parteivortrag sollte eigentlich nicht vorkommen.Zustimmung. Aber zu dem letzten Punkt: gerade wenn man so richtig schöne dicke Schinken erbt, wo selbst die Anwälte nicht mehr wissen, was sie so wirklich vorgetragen haben, kann das passieren. Teilweise werden verfahren (leider) so dick geschrieben mit Ausführungen, die neben der Sache liegen, dass man wesentliches übersieht. Das darf und soll nicht passieren, aber soll die TE ein wenig besänftigen.
26.11.2024, 12:04
Strenge Korrektur ist gleichzeitig auch eine Chance von dem deutlichen Erfahrungsvorsprung des Korrigierenden profitieren zu können.
Ich war selbst einmal in ähnlicher Situation und konnte mein Skillset durch strenge Gegenzeichnung eines OStA ganz am Anfang meiner Laifbahn spürbar ausbauen.
Zudem wird es auch honoriert an sich zu arbeiten und entsprechend verbesserungswillig - und fähig - zu sein.
Dein Post zeigt, dass du dir das ganze zu Herzen nimmst.
Ich war selbst einmal in ähnlicher Situation und konnte mein Skillset durch strenge Gegenzeichnung eines OStA ganz am Anfang meiner Laifbahn spürbar ausbauen.
Zudem wird es auch honoriert an sich zu arbeiten und entsprechend verbesserungswillig - und fähig - zu sein.
Dein Post zeigt, dass du dir das ganze zu Herzen nimmst.