12.09.2021, 01:10
Hallo Leute,
angenommen der Beschuldigte wird von der Staatsanwaltschaft wegen § 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB angeklagt, was vom Gericht auch im Eröffnungsbeschluss so zugelassen wird. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, den Kopf des Opfers mehrmals an die Wand geschlagen zu haben. Was wäre, wenn das Gericht nun fälschlicherweise den § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Wand - kein Werkzeug) als verwirklicht sehen würde, die Feststellungen aber § 224 Nr. 4 StGB tragen. Würde das Urteil dann ohne Weiteres auf den Subsumtionsfehler beruhen? Ich frage mich, weil der Schuldspruch, sprich die gefährliche Körperverletzung am Ende bestehen bliebe. In diesem Zusammenhang stelle ich mir auch die Frage, aus welcher Perspektive man die Frage des Beruhens stellen muss. Aus der Perspektive des Tatgerichts würde das Urteil selbstverständlich auf den Rechtsfehler beruhen, da es § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht gesehen hat, sodass die falsche Anwendung des § 224 Nr. 2 StGB die einzige Grundlage für den Schuldspruch wegen gefährlicher KV war. Gleichwohl müsste man doch berücksichtigen, dass dem Tatgericht zwei Fehler unterlaufen sind, und der eine Fehler, nämlich die Nichtanwendung des § 224 Nr. 4 StGB, den anderen Fehler, sprich die Anwendung des § 224 Nr. 2 StGB, quasi aufheben würde. Würde das Urteil also aufgehoben und zurückverwiesen, würde am Ende der gleiche Schuldspruch und die gleichen Rechtsfolgen stehen. In der Praxis wird man wahrscheinlich sagen, gut, die Anwendung der falschen Variante hat möglicherweise Einfluss auf die Strafe genommen?
Vielen Dank
angenommen der Beschuldigte wird von der Staatsanwaltschaft wegen § 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB angeklagt, was vom Gericht auch im Eröffnungsbeschluss so zugelassen wird. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, den Kopf des Opfers mehrmals an die Wand geschlagen zu haben. Was wäre, wenn das Gericht nun fälschlicherweise den § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Wand - kein Werkzeug) als verwirklicht sehen würde, die Feststellungen aber § 224 Nr. 4 StGB tragen. Würde das Urteil dann ohne Weiteres auf den Subsumtionsfehler beruhen? Ich frage mich, weil der Schuldspruch, sprich die gefährliche Körperverletzung am Ende bestehen bliebe. In diesem Zusammenhang stelle ich mir auch die Frage, aus welcher Perspektive man die Frage des Beruhens stellen muss. Aus der Perspektive des Tatgerichts würde das Urteil selbstverständlich auf den Rechtsfehler beruhen, da es § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht gesehen hat, sodass die falsche Anwendung des § 224 Nr. 2 StGB die einzige Grundlage für den Schuldspruch wegen gefährlicher KV war. Gleichwohl müsste man doch berücksichtigen, dass dem Tatgericht zwei Fehler unterlaufen sind, und der eine Fehler, nämlich die Nichtanwendung des § 224 Nr. 4 StGB, den anderen Fehler, sprich die Anwendung des § 224 Nr. 2 StGB, quasi aufheben würde. Würde das Urteil also aufgehoben und zurückverwiesen, würde am Ende der gleiche Schuldspruch und die gleichen Rechtsfolgen stehen. In der Praxis wird man wahrscheinlich sagen, gut, die Anwendung der falschen Variante hat möglicherweise Einfluss auf die Strafe genommen?
Vielen Dank
12.09.2021, 09:00
Ich halte das für äußerst problematisch, die beiden sachlich-rechtlichen Fehler gewissermaßen zu "saldieren".
Der Strafrahmen ist bei den beiden Handlungsvarianten des § 224 StGB zwar identisch, allerdings können ja jedenfalls die Strafzumessungserwägungen so nicht ohne weiteres auf die berichtigte Handlungsalternative übertragen werden, weil bei richtiger Gesetzesanwendung bestimmte Strafzumessungserwägungen nunmehr unzulässig wären (§ 46 Abs. 3 StGB), während andere Erwägungen zulässig würden. Wie stark das Tatgericht die eine oder die andere Strafzumessungserwägung gewichtet hat bzw. hätte, lässt sich nicht mit mathematischer Gewissheit feststellen.
Außerdem spricht aus meiner Sicht auch ein Blick auf die verfahrensrechtliche Situation für ein Beruhen. Hätte das Tatgericht die Tatbestandsvariante nach Nr. 2 zugunsten der nach Nr. 4 austauschen wollen, hätte es dem Angeklagten nach der Rechtsprechung des BGH diesbezüglich einen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO erteilen müssen (vgl. BGH NStZ 2018, 557 zum umgekehrten Fall). Das ist nicht erfolgt. Bereits diese prozessrechtliche Wertung zeigt doch (jedenfalls nach der Rechtsprechung des BGH), dass die Tatbestandsvarianten des § 224 Abs. 1 StGB zu verschiedenartig sind als dass man sie einfach austauschen könnte. Immerhin lässt sich auch kaum feststellen, wie der Angeklagte seine Verteidigung der geänderten Beurteilung der Rechtslage angepasst hätte.
Wenn demnach der Tatrichter sein Urteil nicht ohne weiteres auf Nr. 4 hätte stützen dürfen (d.h. nicht ohne Anpassung der Strafzumessungserwägungen und ohne entsprechenden Hinweis), kann auch das Revisionsgericht nicht mit dieser Erwägung ein Beruhen ausschließen.
Der Strafrahmen ist bei den beiden Handlungsvarianten des § 224 StGB zwar identisch, allerdings können ja jedenfalls die Strafzumessungserwägungen so nicht ohne weiteres auf die berichtigte Handlungsalternative übertragen werden, weil bei richtiger Gesetzesanwendung bestimmte Strafzumessungserwägungen nunmehr unzulässig wären (§ 46 Abs. 3 StGB), während andere Erwägungen zulässig würden. Wie stark das Tatgericht die eine oder die andere Strafzumessungserwägung gewichtet hat bzw. hätte, lässt sich nicht mit mathematischer Gewissheit feststellen.
Außerdem spricht aus meiner Sicht auch ein Blick auf die verfahrensrechtliche Situation für ein Beruhen. Hätte das Tatgericht die Tatbestandsvariante nach Nr. 2 zugunsten der nach Nr. 4 austauschen wollen, hätte es dem Angeklagten nach der Rechtsprechung des BGH diesbezüglich einen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO erteilen müssen (vgl. BGH NStZ 2018, 557 zum umgekehrten Fall). Das ist nicht erfolgt. Bereits diese prozessrechtliche Wertung zeigt doch (jedenfalls nach der Rechtsprechung des BGH), dass die Tatbestandsvarianten des § 224 Abs. 1 StGB zu verschiedenartig sind als dass man sie einfach austauschen könnte. Immerhin lässt sich auch kaum feststellen, wie der Angeklagte seine Verteidigung der geänderten Beurteilung der Rechtslage angepasst hätte.
Wenn demnach der Tatrichter sein Urteil nicht ohne weiteres auf Nr. 4 hätte stützen dürfen (d.h. nicht ohne Anpassung der Strafzumessungserwägungen und ohne entsprechenden Hinweis), kann auch das Revisionsgericht nicht mit dieser Erwägung ein Beruhen ausschließen.
12.09.2021, 09:39
Da muss man Verschiedenes auseinanderhalten:
1.) Es ist immer noch die angeklagte Tat, insoweit also kein Problem.
2.) Aber vielleicht Hinweis nach 265 StPO?
3.) Zurückverweisung oder eigenes Urteil des BGH: 354 I StPO: ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
1.) Es ist immer noch die angeklagte Tat, insoweit also kein Problem.
2.) Aber vielleicht Hinweis nach 265 StPO?
3.) Zurückverweisung oder eigenes Urteil des BGH: 354 I StPO: ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
12.09.2021, 10:43
(12.09.2021, 09:00)Landvogt schrieb: Ich halte das für äußerst problematisch, die beiden sachlich-rechtlichen Fehler gewissermaßen zu "saldieren".
Der Strafrahmen ist bei den beiden Handlungsvarianten des § 224 StGB zwar identisch, allerdings können ja jedenfalls die Strafzumessungserwägungen so nicht ohne weiteres auf die berichtigte Handlungsalternative übertragen werden, weil bei richtiger Gesetzesanwendung bestimmte Strafzumessungserwägungen nunmehr unzulässig wären (§ 46 Abs. 3 StGB), während andere Erwägungen zulässig würden. Wie stark das Tatgericht die eine oder die andere Strafzumessungserwägung gewichtet hat bzw. hätte, lässt sich nicht mit mathematischer Gewissheit feststellen.
Außerdem spricht aus meiner Sicht auch ein Blick auf die verfahrensrechtliche Situation für ein Beruhen. Hätte das Tatgericht die Tatbestandsvariante nach Nr. 2 zugunsten der nach Nr. 4 austauschen wollen, hätte es dem Angeklagten nach der Rechtsprechung des BGH diesbezüglich einen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO erteilen müssen (vgl. BGH NStZ 2018, 557 zum umgekehrten Fall). Das ist nicht erfolgt. Bereits diese prozessrechtliche Wertung zeigt doch (jedenfalls nach der Rechtsprechung des BGH), dass die Tatbestandsvarianten des § 224 Abs. 1 StGB zu verschiedenartig sind als dass man sie einfach austauschen könnte. Immerhin lässt sich auch kaum feststellen, wie der Angeklagte seine Verteidigung der geänderten Beurteilung der Rechtslage angepasst hätte.
Wenn demnach der Tatrichter sein Urteil nicht ohne weiteres auf Nr. 4 hätte stützen dürfen (d.h. nicht ohne Anpassung der Strafzumessungserwägungen und ohne entsprechenden Hinweis), kann auch das Revisionsgericht nicht mit dieser Erwägung ein Beruhen ausschließen.
Vielen Dank. Meinst du § 265 StPO auch auf mein Beispiel? Hier waren ja beide Varianten in der Anklage und Eröffnungsbeschluss enthalten.
12.09.2021, 11:06
(12.09.2021, 09:39)Praktiker schrieb: Da muss man Verschiedenes auseinanderhalten:
1.) Es ist immer noch die angeklagte Tat, insoweit also kein Problem.
2.) Aber vielleicht Hinweis nach 265 StPO?
3.) Zurückverweisung oder eigenes Urteil des BGH: 354 I StPO: ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
Vielen Dank. Bei 265 StPO bin ich mir nicht sicher. Ich dachte ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn das Gericht zum Nachteil des Angeklagten abweichen will.
12.09.2021, 11:28
(12.09.2021, 11:06)Andreas schrieb:(12.09.2021, 09:39)Praktiker schrieb: Da muss man Verschiedenes auseinanderhalten:
1.) Es ist immer noch die angeklagte Tat, insoweit also kein Problem.
2.) Aber vielleicht Hinweis nach 265 StPO?
3.) Zurückverweisung oder eigenes Urteil des BGH: 354 I StPO: ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
Vielen Dank. Bei 265 StPO bin ich mir nicht sicher. Ich dachte ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn das Gericht zum Nachteil des Angeklagten abweichen will.
§ 265 Abs. 1 StPO verlangt nur ein "anderes Strafgesetz". Darunter versteht der BGH auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes.
Du hast aber Recht, dass ein Hinweis hier nicht erforderlich wäre, weil keine Abweichung zur gerichtlich zugelassenen Anklage vorliegt, das hatte ich überlesen.
Die Probleme mit den Strafzumessungserwägungen sehe ich allerdings nach wie vor.
12.09.2021, 12:26
(12.09.2021, 11:28)Landvogt schrieb:(12.09.2021, 11:06)Andreas schrieb:(12.09.2021, 09:39)Praktiker schrieb: Da muss man Verschiedenes auseinanderhalten:
1.) Es ist immer noch die angeklagte Tat, insoweit also kein Problem.
2.) Aber vielleicht Hinweis nach 265 StPO?
3.) Zurückverweisung oder eigenes Urteil des BGH: 354 I StPO: ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
Vielen Dank. Bei 265 StPO bin ich mir nicht sicher. Ich dachte ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn das Gericht zum Nachteil des Angeklagten abweichen will.
§ 265 Abs. 1 StPO verlangt nur ein "anderes Strafgesetz". Darunter versteht der BGH auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes.
Du hast aber Recht, dass ein Hinweis hier nicht erforderlich wäre, weil keine Abweichung zur gerichtlich zugelassenen Anklage vorliegt, das hatte ich überlesen.
Die Probleme mit den Strafzumessungserwägungen sehe ich allerdings nach wie vor.
Ja, die Bedenken teile ich auch. Vielleicht könnte man auch so argumentieren, dass man die einzelnen Varianten in den Schuldspruch reinlesen muss; als Konsequenz aus dem zitierten Urteil des BGH. Bei § 244 StGB ist es wegen der unterschiedlichen Überschriften einfacher. Zudem könnte man argumentieren, dass die Revision neben Herbeiführung von Einzelfallgerichtigkeit auch der Rechtsvereinheitlichung dient, weshalb die fehlerhafte Auslegung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht so stehen gelassen werden kann. Und schließlich das Argument mit den Strafzumessungserwägungen.
12.09.2021, 20:04
Der Schuldspruch gefKV bleibt hier bestehen, während der Strafausspruch vermutlich aufgehoben wird, weil der Senat nicht wird ausschließen können, dass das Tatgerivht nicht auf eine geringere Strafe erkannt hätte, wenn es richtigerweise nur die Nr. 4 angenommen hätte.