16.07.2021, 19:48
(16.07.2021, 19:39)Gast schrieb:(16.07.2021, 13:03)Gast schrieb:(16.07.2021, 12:48)Gast schrieb: "Da erstellt jemand einen Sachverhalt und baut Rechtsfragen ein, die erkennbar argumentativ beantwortet werden sollen, und zwar von allen. Und dann kommt jemand, und sagt: „Die Fragen interessieren mich nicht, ich beantworte lieber andere Fragen, für die der Sachverhalt viel zu dünn ist, wieso geben die sich eigentlich keine Mühe beim LJPA!“ Das verstehe ich nicht. Man hat keinen Anspruch auf eine Prüfung nach eigenen Vorstellungen. Alle bekommen dieselben Aufgaben, und jeder hat dann dieselbe Chance."
Dann müsste mir noch jemand erklären, inwiefern ein so verstandenes Zweites Examen mit §§ 47 i.V.m. 39 JAG NRW in Einklang zu bringen ist. Da steht nix von Vorturnen (im Gegensatz zu § 2 zum Ersten Examen), sondern von praxistauglich, zweckmäßigem Arbeiten und ähnlichem.
Bei einem Fall kann es doch nicht darum gehen, dass da jemand meint, die und die Rechtsfrage müsste da beantwortet werden. Wenn ein Fall vertretbar auf verschiedene Weise gelöst werden kann, sind beide Lösungen gleichwertig. Vielmehr ist die kürzere Lösung besser, weil sie zweckmäßiger ist.
Es gibt in Jura einfach sehr selten problematische Konstellationen, die nur auf eine Art und Weise auflösbar sind. Das nicht ansatzweise abzubilden, ist einer der großen Schwächen des Zweiten Examens
Das wird ja abgebildet, und zwar im Hauptgutachten. Und der Rest kommt einfach in das Hilfsgutachten oder in die Hilfsentscheidungsgründe, so zeigt man dann, dass man es gut begründen könnte, wenn es entscheidungserheblich wäre.
Machst du das auch so bei deinen Urteilen oder Schriftsätzen?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir beide wirklich eine gemeinsame Gesprächsbasis haben, wenn eine Differenzierung zwischen einem Prüfungsformat einerseits (dafür ist es wichtig, dass alle, wirklich alle dieselben Rechtsfragen lösen, damit ihre Lösungen miteinander vergleichbar sind) und der Entscheidung eines konkreten Rechtsstreits anderseits bei Dir intellektuell misslingt.
16.07.2021, 19:50
(16.07.2021, 19:38)Gast schrieb:(16.07.2021, 13:03)Gast schrieb:(16.07.2021, 12:48)Gast schrieb: "Da erstellt jemand einen Sachverhalt und baut Rechtsfragen ein, die erkennbar argumentativ beantwortet werden sollen, und zwar von allen. Und dann kommt jemand, und sagt: „Die Fragen interessieren mich nicht, ich beantworte lieber andere Fragen, für die der Sachverhalt viel zu dünn ist, wieso geben die sich eigentlich keine Mühe beim LJPA!“ Das verstehe ich nicht. Man hat keinen Anspruch auf eine Prüfung nach eigenen Vorstellungen. Alle bekommen dieselben Aufgaben, und jeder hat dann dieselbe Chance."
Dann müsste mir noch jemand erklären, inwiefern ein so verstandenes Zweites Examen mit §§ 47 i.V.m. 39 JAG NRW in Einklang zu bringen ist. Da steht nix von Vorturnen (im Gegensatz zu § 2 zum Ersten Examen), sondern von praxistauglich, zweckmäßigem Arbeiten und ähnlichem.
Bei einem Fall kann es doch nicht darum gehen, dass da jemand meint, die und die Rechtsfrage müsste da beantwortet werden. Wenn ein Fall vertretbar auf verschiedene Weise gelöst werden kann, sind beide Lösungen gleichwertig. Vielmehr ist die kürzere Lösung besser, weil sie zweckmäßiger ist.
Es gibt in Jura einfach sehr selten problematische Konstellationen, die nur auf eine Art und Weise auflösbar sind. Das nicht ansatzweise abzubilden, ist einer der großen Schwächen des Zweiten Examens
Das wird ja abgebildet, und zwar im Hauptgutachten. Und der Rest kommt einfach in das Hilfsgutachten oder in die Hilfsentscheidungsgründe, so zeigt man dann, dass man es gut begründen könnte, wenn es entscheidungserheblich wäre.
Das ist so ziemlich das Hirnrissigste was ich in diesem Forum jemals lesen durfte.
Wir beide haben ganz sicher keine gemeinsame Gesprächsbasis, das Verweigern einer Auseinandersetzung auf der Sachebene ist AfD-Niveau.
16.07.2021, 21:03
(16.07.2021, 19:48)Gast schrieb:Aber dafür sind Fälle absolut ungeeignet. Weil man eben unterschiedlich abbiegen kann und dementsprechend andere Probleme auf dem Weg findet. Wenn dann ein Teil noch zusätzlich diejenigen Probleme bearbeiten muss, die der Klausurersteller eben gerne hätte, gibt es nur noch eine (wirklich) vertretbare Lösung. Das hat dann aber nichts mehr mit Jura zu tun, sondern ist eben "Klausurtaktik". Und das wiederum ist eine Fähigkeit, die man im juristischen Arbeitsleben nicht braucht. Da geht die Prüfungsform einfach fehl.(16.07.2021, 19:39)Gast schrieb:(16.07.2021, 13:03)Gast schrieb:(16.07.2021, 12:48)Gast schrieb: "Da erstellt jemand einen Sachverhalt und baut Rechtsfragen ein, die erkennbar argumentativ beantwortet werden sollen, und zwar von allen. Und dann kommt jemand, und sagt: „Die Fragen interessieren mich nicht, ich beantworte lieber andere Fragen, für die der Sachverhalt viel zu dünn ist, wieso geben die sich eigentlich keine Mühe beim LJPA!“ Das verstehe ich nicht. Man hat keinen Anspruch auf eine Prüfung nach eigenen Vorstellungen. Alle bekommen dieselben Aufgaben, und jeder hat dann dieselbe Chance."
Dann müsste mir noch jemand erklären, inwiefern ein so verstandenes Zweites Examen mit §§ 47 i.V.m. 39 JAG NRW in Einklang zu bringen ist. Da steht nix von Vorturnen (im Gegensatz zu § 2 zum Ersten Examen), sondern von praxistauglich, zweckmäßigem Arbeiten und ähnlichem.
Bei einem Fall kann es doch nicht darum gehen, dass da jemand meint, die und die Rechtsfrage müsste da beantwortet werden. Wenn ein Fall vertretbar auf verschiedene Weise gelöst werden kann, sind beide Lösungen gleichwertig. Vielmehr ist die kürzere Lösung besser, weil sie zweckmäßiger ist.
Es gibt in Jura einfach sehr selten problematische Konstellationen, die nur auf eine Art und Weise auflösbar sind. Das nicht ansatzweise abzubilden, ist einer der großen Schwächen des Zweiten Examens
Das wird ja abgebildet, und zwar im Hauptgutachten. Und der Rest kommt einfach in das Hilfsgutachten oder in die Hilfsentscheidungsgründe, so zeigt man dann, dass man es gut begründen könnte, wenn es entscheidungserheblich wäre.
Machst du das auch so bei deinen Urteilen oder Schriftsätzen?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir beide wirklich eine gemeinsame Gesprächsbasis haben, wenn eine Differenzierung zwischen einem Prüfungsformat einerseits (dafür ist es wichtig, dass alle, wirklich alle dieselben Rechtsfragen lösen, damit ihre Lösungen miteinander vergleichbar sind) und der Entscheidung eines konkreten Rechtsstreits anderseits bei Dir intellektuell misslingt.
Außerdem ist es eine Fehlannahme, dass alle dieselben Probleme bearbeiten müssten, um einer Vergleichbarkeit zu haben. Alle haben dieselbe Aufgabe, dadurch wird es vergleichbar. Dass es dann Sachen gibt, die der Klausurersteller gerne sehen würde, mag ja sein. Aber der Klausurersteller ist nicht der Prüfer. Und nicht jede vom Klausurersteller angedachte Problematik, muss für eine praxisverwertbare (also revisionssichere) Lösung auch angesprochen werden.
Deswegen ist so etwas wie ein Hilfsgutachten auch grober Unfug. Aufgabe ist, den Fall zu lösen. Das war es. Wenn man unbedingt wissen will, ob jemand den Streitstand zu XY runterbeten kann, soll man bitte einfach danach fragen. Aber das ist nicht Jura. Jura ist in einem gegebenen Normensystem Streitfälle argumentativ zu lösen. Nicht Entscheidungen an Hand irgendwelcher Vorgaben des Klausurerstellers zu treffen. Das ist auch die wesentliche Fähigkeit in der Praxis: Krieg die Akte weg, ohne dass sie wiederkommt. Was anderes verlangt niemand, egal in welchem juristischen Beruf.
Das Examen taugt deswegen nur sehr bedingt zur Differenzierung nach den juristischen Fähigkeiten (auch wenn man sich als Korrektor ja immer davon leiten lassen soll). Denn eine wirklich juristische Lösung wird gar nicht verlangt. Zumindest keine "eigene". Es wird vielmehr verlangt, die Argumente eines anderen (Klausurersteller) aufzusammeln, nochmal wiederzugeben und dann genauso zu gewichten, wie es der Klausurersteller gewollt hat. Denn sonst biegt man eben doch "falsch" ab.
16.07.2021, 21:38
(16.07.2021, 11:32)Sky schrieb:(16.07.2021, 10:48)Gast schrieb:(16.07.2021, 08:31)Gast schrieb:Das ist halt auch nur immer die Ausrede derjenigen, die es sich einfach machen wollen. Also der JPA. Die grundsätzliche Überlegung, dass eine vertretbare Lösung, die sich die Entscheidung mancher Rechtsfragen erspart, in der Regel die vorzugswürdige sein dürfte, findet gar nicht mehr statt. Das Examen ist eine bloße Wissens- und Puzzleaufgabe geworden, bei der derjenige gewinnt, der Kaiser-Listen auswendig lernt und schnell leserlich mit der Hand schreiben kann.(15.07.2021, 22:26)HerrKules schrieb:(15.07.2021, 12:22)Gast schrieb: Man liest das mit den abweichenden Lösungen hier ja regelmäßig.
Bei den von mir im zweiten Examen bislang korrigierten Klausuren lag das Problem aber noch nie an abweichenden Lösungen, sondern daran, dass Rechtsbehauptungen ohne Ansätze von Begründungen in den Raum gestellt werden. Dafür gibt es dann aber die gleiche (geringe) Punktzahl wie für die Behauptung eines Ergebnisses entsprechend des Prüfervermerks.
Wenn man möglichst viele Punkte für seine Leistung bekommen möchte, sollte man möglichst viel Lösung bieten, also eine strukturierte Lösung mit möglichst viel Normbezug unter vollständiger Auswertung des Sachverhalts und einer Argumentation, die über „es wäre aber höchst unbillig, wenn…“ hinausgeht. Ich würde am liebsten die „besten“ Beispiele aus den von mir korrigierten Klausuren hier präsentieren, was aber natürlich nicht geht.
Klar, weil natürlich hauptsächlich solche Kandidaten daneben liegen, die einfach etwas falsch gemacht haben. Mir sind aber durchaus schon öfter Originalklausuren untergekommen, die wesentlich von der Skizze abweichende alternative Lösungswege ermöglichten. Das Problem ist dann meist, dass der restliche Sachverhalt nicht auf diesen Weg abgestimmt ist und die Lösung also entweder kürzer ist (=weniger Punkte zu sammeln) oder viel länger/komplizierter ist (=es bleibt keine Zeit für Argumentation). So richtig doof ist das dann, wenn die nicht wirklich zum Sachverhalt oder in die 5 Stunden passende Lösung die eigentlich richtige ist, weil der Klausurersteller wieder mal irgendwas übersehen hat. Insgesamt scheint mir die Qualität der Lösungsskizzen verbesserungswürdig. In den mir bekannten Skizzen sind relativ oft zumindest kleinere Fehler (Tenor, Rubrum, Kostenentscheidung) enthalten. Spitze war bislang eine Klausur, die ganz "vorne" schon einer mM entgegen dem BGH folgte und so komplett anders zu lösen war als nach der Rspr. Das war freilich eine Probeklausur, könnte aber auch eine originale gewesen sein, keine Ahnung.
Offiziell weist man dann eben z.B. einfach mit einem Fünfzeiler die Klage ab und prüft alles andere im Hilfsgutachten. Ob man damit allerdings noch die "volle" Punktzahl kriegen kann..
Nachtrag zum Zeitproblem: witzig ist auch, dass für alternative Lösungen idR besondere Begründungen gefordert werden. Das ist bei gleichwertigen Lösungen natürlich Quatsch. Vor allem kann man damit schon nicht mehr so gut sein wie mit der offiziellen Lösung, allein schon weil man 3 Seiten Begründung pinseln muss und das in Klausuren, die oft sowieso kaum zeitlich schaffbar sind.
Jeder kennt doch den Satz im Bearbeitungsvermerk, dass auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen ist. Wenn man im Rahmen der Skizze merkt, dass die eigene Lösung plus das dann fällige Hilfsgutachten zu umfangreich wird, es aber eine Lösungsmöglichkeit gibt, bei der man mit vernünftiger Argumentation auf einem kürzeren Weg alle aufgeworfenen Fragen beantwortet bekommt, dann mache man den Korrektor nicht für die eigene Entscheidung verantwortlich.
Es gibt daher gar keine Forderungen nach besonderen Begründungen abweichender Lösungen. Es gibt nur eine Pflicht, sowohl alle aufgeworfenen Fragen zu beantworten als auch seine eigene Lösung tragfähig zu begründen. Wer das macht kann die volle Punktzahl erreichen. Wie man sieht: Jura ist leicht
Hab echt das Gefühl, dass in den Prüfungsämtern hier eine gewisse Betriebsblindheit herrscht. Immer noch mehr, immer noch komplizierter. Dabei ist das doch nicht das, was einen praktisch erwartet.
In meinem Durchgang kam NICHTS von Privatreplisten dran oder von iwelchen Zeitschriften.
Garantiert doch. Du hast es vielleicht nur nicht gesehen…Schau mal, was Kaiser oder AS so sagen, was drankam und was vorher im Rep besprochen wurde. Wenn du natürlich eine Fallvariante bekommst, wo statt Pferd ein kfz genommen wurde und dann sagst „ja, DER Fall kam nicht im Rep..“ dann kann dir keiner helfen. A bissn Transferleistung ist immer nötig, Sky. Alle Klausuren sind ein Mix von alten Problemen in neuem Gewand.
16.07.2021, 22:12
Zum Thema Praxistauglichkeit ./. Vorturnen: es ist halt immer noch eine Prüfung. Das schränkt zugegebenermaßen die Praxistauglichkeit ein. Extrembeispiel (jaaa, ich weiß): wenn ein Urteil gefordert ist, kann ich auch nicht sagen: in der Praxis hätte ich's verglichen, und den Vergleichstext hinschreiben, auch wenn es in der Realität genau so gelaufen wäre.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
16.07.2021, 22:32
(16.07.2021, 22:12)Praktiker schrieb: Zum Thema Praxistauglichkeit ./. Vorturnen: es ist halt immer noch eine Prüfung. Das schränkt zugegebenermaßen die Praxistauglichkeit ein. Extrembeispiel (jaaa, ich weiß): wenn ein Urteil gefordert ist, kann ich auch nicht sagen: in der Praxis hätte ich's verglichen, und den Vergleichstext hinschreiben, auch wenn es in der Realität genau so gelaufen wäre.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
Und da gäbe es noch mehr gute Beispiele: Anstelle eines Urteils fertigt man eine Terminsverfügung an, weil die Praxis zeigt, dass die anwaltlich vertretenen Parteien bei niedrigen Streitwerten angesichts eines weiteren Verhandlungstermins von ihren eigenen Anwälten zu einem Vergleich genötigt werden. Das wäre sogar sehr praxisgerecht, führt aber bezüglich der Aussagekraft von Prüfungsergebnissen kaum weiter, sondern geradewegs in das Chaos.
Ich habe im Übrigen noch nie gehört, dass sich Mediziner über ihre multiple-Choice-Tests aufgeregt und gefordert haben, dass sie in den schriftlichen Prüfungen ärztliche Atteste, OP-Berichte und Arztbriefe entwerfen dürfen, weil das die praxisrelevantesten Tätigkeiten seien.
17.07.2021, 09:12
(16.07.2021, 22:12)Praktiker schrieb: Zum Thema Praxistauglichkeit ./. Vorturnen: es ist halt immer noch eine Prüfung. Das schränkt zugegebenermaßen die Praxistauglichkeit ein. Extrembeispiel (jaaa, ich weiß): wenn ein Urteil gefordert ist, kann ich auch nicht sagen: in der Praxis hätte ich's verglichen, und den Vergleichstext hinschreiben, auch wenn es in der Realität genau so gelaufen wäre.Das ist doch ein Schein-Argument: Stellen wir uns vor, verschiedene Fußballvereine suchen einen neuen Spieler. Es stehen mehrere Kandidaten zur Auswahl. Über die ist aber jeweils nur bekannt, wie schnell sie mal am selben Tag auf 100m laufen. Sonst nichts. Die Vereine brauchen aber unbedingt den neuen Spieler, weil man sonst nicht genug Spieler hat, um alle Spiele zu spielen. Jeder Verein wird am ehesten den Spieler verpflichten wollen, der die 100m am schnellsten gelaufen ist. Einfach weil es der einzige vorliegende Wert ist und dann will man da eben den Besten in diesem kleinen Ausschnitt. Das Examen ist unser 100m Lauf.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
Der Unterschied ist, dass sich im Fußball relativ schnell Scouts auf den Weg machen würden, um sich für die Vereine selber Bilder von den Spielern zu machen. In Jura bleibt man lieber beim 100m Lauf. Mehr noch, man hält sogar 100m-Läufe in verschiedenen Jahren in verschiedenen Bundesländern unter verschiedenen Bedingungen für vergleichbar. Weil man aus dem Examen im Laufe der Jahrhunderte so eine Art Mythos gemacht hat, den man auf keinen Fall hinterfragen darf.
Versteh mich nicht falsch, für mich ist es gut gelaufen, ich hab den Sprung in die Justiz geschafft, mehr wollte ich nie. Es ist dennoch ein absurdes Verfahren um die juristischen Fähigkeiten zu bewerten. Man wird damit einfach den wenigsten Leuten wirklich gerecht. Und wer fünf Jahre Studium plus zwei Jahre Ref auf sich nimmt, um am Ende gesellschaftlich relevante Entscheidungen zu treffen, hat m. E. zumindest den Anspruch, dass sich die Gesellschaft ein adäquates Verfahren überlegt, um sie zu bewerten. Davon sind wir aber meilenweit entfernt in unserem aktuellen System.
17.07.2021, 09:22
(16.07.2021, 22:32)Gast schrieb:Noch so ein Schein-Argument: Ein Multiple-Choice-Test hat doch einen ganz anderen Anspruch. In Jura-Examen soll (laut der gesetzlichen Vorgaben!) überprüft werden, ob man einen praktischen Fall zweckmäßig bearbeiten kann, also eine praxistaugliche Lösung entwickeln kann.(16.07.2021, 22:12)Praktiker schrieb: Zum Thema Praxistauglichkeit ./. Vorturnen: es ist halt immer noch eine Prüfung. Das schränkt zugegebenermaßen die Praxistauglichkeit ein. Extrembeispiel (jaaa, ich weiß): wenn ein Urteil gefordert ist, kann ich auch nicht sagen: in der Praxis hätte ich's verglichen, und den Vergleichstext hinschreiben, auch wenn es in der Realität genau so gelaufen wäre.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
Und da gäbe es noch mehr gute Beispiele: Anstelle eines Urteils fertigt man eine Terminsverfügung an, weil die Praxis zeigt, dass die anwaltlich vertretenen Parteien bei niedrigen Streitwerten angesichts eines weiteren Verhandlungstermins von ihren eigenen Anwälten zu einem Vergleich genötigt werden. Das wäre sogar sehr praxisgerecht, führt aber bezüglich der Aussagekraft von Prüfungsergebnissen kaum weiter, sondern geradewegs in das Chaos.
Ich habe im Übrigen noch nie gehört, dass sich Mediziner über ihre multiple-Choice-Tests aufgeregt und gefordert haben, dass sie in den schriftlichen Prüfungen ärztliche Atteste, OP-Berichte und Arztbriefe entwerfen dürfen, weil das die praxisrelevantesten Tätigkeiten seien.
Ein Multiple-Choice-Test hat den Anspruch, Wissen abzufragen. Und dafür ist er geeignet. Ich hätte gar nichts dagegen, sowas auch in Jura einzuführen. Das wäre wenigstens ehrlich.
Die Mediziner haben übrigens nicht nur Multiple-Choice-Tests, sondern die verschiedensten Prüfungsformen, die allesamt einen Teil der Gesamtnote ausmachen. Außerdem finden Sie zu verschiedenen Zeiten im und nach dem Studium statt. Und letztlich kümmert da keinen die Note so wirklich, da man grundsätzlich mit jeder Note Zugang zu jedem ärztlichen Beruf hat. Der Vergleich hinkt also nicht nur, er hat nur ein Bein.
21.07.2021, 23:34
(17.07.2021, 09:12)Gast schrieb:(16.07.2021, 22:12)Praktiker schrieb: Zum Thema Praxistauglichkeit ./. Vorturnen: es ist halt immer noch eine Prüfung. Das schränkt zugegebenermaßen die Praxistauglichkeit ein. Extrembeispiel (jaaa, ich weiß): wenn ein Urteil gefordert ist, kann ich auch nicht sagen: in der Praxis hätte ich's verglichen, und den Vergleichstext hinschreiben, auch wenn es in der Realität genau so gelaufen wäre.Das ist doch ein Schein-Argument: Stellen wir uns vor, verschiedene Fußballvereine suchen einen neuen Spieler. Es stehen mehrere Kandidaten zur Auswahl. Über die ist aber jeweils nur bekannt, wie schnell sie mal am selben Tag auf 100m laufen. Sonst nichts. Die Vereine brauchen aber unbedingt den neuen Spieler, weil man sonst nicht genug Spieler hat, um alle Spiele zu spielen. Jeder Verein wird am ehesten den Spieler verpflichten wollen, der die 100m am schnellsten gelaufen ist. Einfach weil es der einzige vorliegende Wert ist und dann will man da eben den Besten in diesem kleinen Ausschnitt. Das Examen ist unser 100m Lauf.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
Der Unterschied ist, dass sich im Fußball relativ schnell Scouts auf den Weg machen würden, um sich für die Vereine selber Bilder von den Spielern zu machen. In Jura bleibt man lieber beim 100m Lauf. Mehr noch, man hält sogar 100m-Läufe in verschiedenen Jahren in verschiedenen Bundesländern unter verschiedenen Bedingungen für vergleichbar. Weil man aus dem Examen im Laufe der Jahrhunderte so eine Art Mythos gemacht hat, den man auf keinen Fall hinterfragen darf.
Versteh mich nicht falsch, für mich ist es gut gelaufen, ich hab den Sprung in die Justiz geschafft, mehr wollte ich nie. Es ist dennoch ein absurdes Verfahren um die juristischen Fähigkeiten zu bewerten. Man wird damit einfach den wenigsten Leuten wirklich gerecht. Und wer fünf Jahre Studium plus zwei Jahre Ref auf sich nimmt, um am Ende gesellschaftlich relevante Entscheidungen zu treffen, hat m. E. zumindest den Anspruch, dass sich die Gesellschaft ein adäquates Verfahren überlegt, um sie zu bewerten. Davon sind wir aber meilenweit entfernt in unserem aktuellen System.
Ich glaube du unterschätzt die Marktkräfte erheblich.
Wäre es so, dass das Examen nur eine so geringe bzw. eindimensionale Aussagekraft hätte, würde der freie Markt, also die Arbeitgeber, reagieren, dem Examen entsprechend weniger Bedeutung beimessen und stattdessen verstärkt eigene Kriterien einführen oder ausbauen (z.B. Assesmentcenter, Intelligenztests, Einstellung von aus dem Referendariat bekannten Kräften, Probearbeiten usw. Die Arbeitgeber würden eben, um in deinem Beispiel zu bleiben, ihre Talentscouts losschicken. Dass sie sich diese Mühe und Kosten weitgehend sparen, spricht gerade für den Aussagegehalt der Examensnote.
22.07.2021, 10:36
(21.07.2021, 23:34)Gast schrieb:(17.07.2021, 09:12)Gast schrieb:(16.07.2021, 22:12)Praktiker schrieb: Zum Thema Praxistauglichkeit ./. Vorturnen: es ist halt immer noch eine Prüfung. Das schränkt zugegebenermaßen die Praxistauglichkeit ein. Extrembeispiel (jaaa, ich weiß): wenn ein Urteil gefordert ist, kann ich auch nicht sagen: in der Praxis hätte ich's verglichen, und den Vergleichstext hinschreiben, auch wenn es in der Realität genau so gelaufen wäre.Das ist doch ein Schein-Argument: Stellen wir uns vor, verschiedene Fußballvereine suchen einen neuen Spieler. Es stehen mehrere Kandidaten zur Auswahl. Über die ist aber jeweils nur bekannt, wie schnell sie mal am selben Tag auf 100m laufen. Sonst nichts. Die Vereine brauchen aber unbedingt den neuen Spieler, weil man sonst nicht genug Spieler hat, um alle Spiele zu spielen. Jeder Verein wird am ehesten den Spieler verpflichten wollen, der die 100m am schnellsten gelaufen ist. Einfach weil es der einzige vorliegende Wert ist und dann will man da eben den Besten in diesem kleinen Ausschnitt. Das Examen ist unser 100m Lauf.
Das ist natürlich irgendwo unbefriedigend, und zwar je schlechter die Aufgaben gestellt sind umso mehr. Und je schlechter wir Korrektoren sind ebenso (das war ja das ursprüngliche Thema). Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die Praxis von Verwaltung bis Großkanzlei gleichwohl den Examensnoten große Bedeutung beimisst und offenbar davon ausgeht, dass sie trotz aller Probleme doch ein sehr gewichtiges Indiz dafür sind, ob die Leute in der Praxis gut oder schlecht arbeiten werden. Möglicherweise auch doch nicht ganz zu Unrecht.
Der Unterschied ist, dass sich im Fußball relativ schnell Scouts auf den Weg machen würden, um sich für die Vereine selber Bilder von den Spielern zu machen. In Jura bleibt man lieber beim 100m Lauf. Mehr noch, man hält sogar 100m-Läufe in verschiedenen Jahren in verschiedenen Bundesländern unter verschiedenen Bedingungen für vergleichbar. Weil man aus dem Examen im Laufe der Jahrhunderte so eine Art Mythos gemacht hat, den man auf keinen Fall hinterfragen darf.
Versteh mich nicht falsch, für mich ist es gut gelaufen, ich hab den Sprung in die Justiz geschafft, mehr wollte ich nie. Es ist dennoch ein absurdes Verfahren um die juristischen Fähigkeiten zu bewerten. Man wird damit einfach den wenigsten Leuten wirklich gerecht. Und wer fünf Jahre Studium plus zwei Jahre Ref auf sich nimmt, um am Ende gesellschaftlich relevante Entscheidungen zu treffen, hat m. E. zumindest den Anspruch, dass sich die Gesellschaft ein adäquates Verfahren überlegt, um sie zu bewerten. Davon sind wir aber meilenweit entfernt in unserem aktuellen System.
Ich glaube du unterschätzt die Marktkräfte erheblich.
Wäre es so, dass das Examen nur eine so geringe bzw. eindimensionale Aussagekraft hätte, würde der freie Markt, also die Arbeitgeber, reagieren, dem Examen entsprechend weniger Bedeutung beimessen und stattdessen verstärkt eigene Kriterien einführen oder ausbauen (z.B. Assesmentcenter, Intelligenztests, Einstellung von aus dem Referendariat bekannten Kräften, Probearbeiten usw. Die Arbeitgeber würden eben, um in deinem Beispiel zu bleiben, ihre Talentscouts losschicken. Dass sie sich diese Mühe und Kosten weitgehend sparen, spricht gerade für den Aussagegehalt der Examensnote.
Da gehe ich voll mit. Das derzeitige Prüfungssystem hat sicherlich viele Kollateralschäden, also Kand. mit ordentlichen juristischen Fähigkeiten, die sich in der Note nicht widerspiegeln. Aber wenn Du zwei Volljuristen hast, und einer hat einen 10 Punkte-Klausurschnitt und der andere einen 5 Punkte-Klausurschnitt, dann wird man in 95 % der Fälle einen deutlichen Unterschied feststellen, vor allem was Fragen von Systematik und Überblick über juristische Zusammenhänge betrifft. Solange genug Absolventen produziert werden (bzw) wurden gab es gar keinen Grund, etwas zu ändern. Die Frage ist, ob angesichts der Bewerberknappheit zukünftig Anlass dazu gesehen werden wird, das Ausbildungs- und Prüfungssystem zu ändern, damit juristische Fähigkeiten unter Stress noch zuverlässiger festgestellt werden können.