28.01.2024, 11:23
Hallo in die Runde,
ich bin derzeit angestellter Anwalt in einer KK im östlichen und eher ländlichen Bereich und verdiene meine 53k + Boni bei 40-45h die Woche. Für mich wirtschaftlich gesehen ein guter Deal.
Was mich allerdings zunehmend stört, ist die Dienstleistertätigkeit. Ich muss gefühlt für die Mandanten springen, alles ist "besonders eilig" und wenn man mal verliert oder einen Fehler macht, dann gnade einem Gott. Auf diesen subtilen Druck habe ich keine Lust mehr und peile deshalb einen Wechsel an und zwar in die Justiz. Noten stimmen, alles gut.
Die Frage, welche ich mir allerdings stelle, ist, ob das Gras auf der anderen Seite grüner ist und durch die richterliche Unabhängigkeit der Druck tatsächlich abflacht, weil man seinen Tag nach seinem Gutdünken gestaltten kann, niemand einem reinredet und man niemanden gefallen muss. Hat hier jemand einen solchen Wechsel hinter sich und mag mal über den Eindruck berichten? Würde mir sehr helfen, ehe ich jetzt vorschnell einen Fehler mache.
Danke
ich bin derzeit angestellter Anwalt in einer KK im östlichen und eher ländlichen Bereich und verdiene meine 53k + Boni bei 40-45h die Woche. Für mich wirtschaftlich gesehen ein guter Deal.
Was mich allerdings zunehmend stört, ist die Dienstleistertätigkeit. Ich muss gefühlt für die Mandanten springen, alles ist "besonders eilig" und wenn man mal verliert oder einen Fehler macht, dann gnade einem Gott. Auf diesen subtilen Druck habe ich keine Lust mehr und peile deshalb einen Wechsel an und zwar in die Justiz. Noten stimmen, alles gut.
Die Frage, welche ich mir allerdings stelle, ist, ob das Gras auf der anderen Seite grüner ist und durch die richterliche Unabhängigkeit der Druck tatsächlich abflacht, weil man seinen Tag nach seinem Gutdünken gestaltten kann, niemand einem reinredet und man niemanden gefallen muss. Hat hier jemand einen solchen Wechsel hinter sich und mag mal über den Eindruck berichten? Würde mir sehr helfen, ehe ich jetzt vorschnell einen Fehler mache.
Danke
28.01.2024, 14:44
Deine Seite des Rasens kenne ich nicht aus eigenem Erleben, gebe aber zu bedenken dass man sich mit der Unabhängigkeit leicht selbst den Druck macht. Am Ende des Tages muss mehr erledigt sein als neu eingeht, und die fehlende Zeiterfassung kann im Einzelfall zur Selbstausbeutung führen. Du wirst ja vermutlich gute Arbeit machen wollen und an Dich hohe Ansprüche haben und nicht das System ausnutzen wollen (was natürlich auch vorkommt).
28.01.2024, 15:11
(28.01.2024, 14:44)Praktiker schrieb: Deine Seite des Rasens kenne ich nicht aus eigenem Erleben, gebe aber zu bedenken dass man sich mit der Unabhängigkeit leicht selbst den Druck macht. Am Ende des Tages muss mehr erledigt sein als neu eingeht, und die fehlende Zeiterfassung kann im Einzelfall zur Selbstausbeutung führen. Du wirst ja vermutlich gute Arbeit machen wollen und an Dich hohe Ansprüche haben und nicht das System ausnutzen wollen (was natürlich auch vorkommt).
Den Druck, gute Arbeit mit hohen Ansprüchen zu machen, hat man doch aber auch in Kanzleien mit einem Chef als Choleriker. Und da wird der Druck von außen erzeugt, während er im Richterdienst von innen heraus folgt, was ich mir auf Dauer angenehmer vorstelle.
Wenn man am Freitag 5 Akten fertig kriegen muss, macht es doch einen Unterschied, ob man sich selbst sagt "das muss heute noch raus" oder ein Choleriker ins Büro gestürmt kommt und einen anschreit, dass diese Akten heute noch raus müssen
28.01.2024, 23:23
Selbstverständlich kann es auch in der Justiz Druck geben, insbesondere Erledigungsdruck: Durch Dienstvorgesetzte, Kollegen, in Kollegialgerichten durch den/die Vorsitzende/n, durch Verfahrensbeteiligte oder - in Einzelfällen - auch durch die Medien, falls du das Glück oder Pech hast, ein öffentlichkeitswirksames Verfahren zu bearbeiten. Und manchmal kommt alles zusammen. Druck kann sich auch schlicht aus der Sache selbst ergeben: So kommt man an bestimmten Fristen nicht vorbei (zB § 275 Abs. 1 StPO).
Allerdings gibt es viele Arbeitsbereiche, wo der Druck voraussichtlich eher gering ist (zB OWi-Dezernat am AG Schlumpfhausen) und andere, wo er voraussichtlich eher groß ist (als Extrembeispiel: Staatsschutzsenate, etwa am OLG München, man denke an Verfahren wie "NSU" oder demnächst die "Reichsbürger-Verschwörung").
Und: Wieviel etwaiger Druck ausmacht, hängt zu einem guten Teil von dir selbst ab. Möchtest du noch Karriere machen (in dem bescheidenen Rahmen, den die Justiz ermöglicht)? Bist du sehr pflichtbewusst? Nimmst du dir Kritik an deiner Arbeitsweise sehr zu Herzen? usw.
Unterm Strich (vermute ich), bist du in der Justiz wahrscheinlich besser dran als in der privaten Wirtschaft. Denn Unkündbarkeit und die richterliche Unabhängigkeit bieten schon einen guten Schutz vor allzu großen Zumutungen.
Allerdings gibt es viele Arbeitsbereiche, wo der Druck voraussichtlich eher gering ist (zB OWi-Dezernat am AG Schlumpfhausen) und andere, wo er voraussichtlich eher groß ist (als Extrembeispiel: Staatsschutzsenate, etwa am OLG München, man denke an Verfahren wie "NSU" oder demnächst die "Reichsbürger-Verschwörung").
Und: Wieviel etwaiger Druck ausmacht, hängt zu einem guten Teil von dir selbst ab. Möchtest du noch Karriere machen (in dem bescheidenen Rahmen, den die Justiz ermöglicht)? Bist du sehr pflichtbewusst? Nimmst du dir Kritik an deiner Arbeitsweise sehr zu Herzen? usw.
Unterm Strich (vermute ich), bist du in der Justiz wahrscheinlich besser dran als in der privaten Wirtschaft. Denn Unkündbarkeit und die richterliche Unabhängigkeit bieten schon einen guten Schutz vor allzu großen Zumutungen.
29.01.2024, 16:36
An die öffentlichkeitswirksamen Verfahren musste ich ebenfalls gerade denken. Ich glaube, in dem Fall ist es egal, wie du entscheidest, irgendeiner wird immer mit deiner Entscheidung unzufrieden sein und dies lautstark kundtun.
Ich kenne etliche Anwälte (im RVG-Bereich), die kaltschnäuzig für Mandanten nur schwer zu erreichen sind. Ich plädiere nicht dafür, dies auf die Spitze zu treiben, aber eine Scheibe kann man sich davon sicherlich abgucken.
Ich kann mich an einen Mandanten erinnern, der mich fast täglich angerufen hat, um den Stand seines Verfahrens zu erfahren. Er hat sogar unsere Sekretärin nach meiner Handynummer gefragt, damit er mich jederzeit anrufen kann. Zum Glück war sie schlau genug, dies abzulehnen. Eines Morgens rief er mich wieder mal an, saß offenbar noch am Frühstückstisch und kaute mir ins Ohr.
Nach diesem Frühstückstelefonat war Schluss für mich. Ich gab der Sekretärin die Anweisung, dass Herr X nicht mehr durchgestellt wird. Punkt. So etwas muss ich mir einfach nicht geben.
Ich habe es ja schon oft geschrieben. Bis zu einem gewissen Grad kann man sich Mandanten erziehen. Man merkt ja, wie wichtig eine Sache ist und wenn ich mir nicht sicher bin, frage ich kurz nach. Nicht jede Kleinigkeit ist so dringend, dass der Mandant morgen die Antwort auf dem Tisch haben muss. Manchmal reicht auch eine Zwischeninfo, dass man sich kümmert und bis yx zurückmeldet (was natürlich in den nächsten Tagen sein sollte, aber nicht asap sein muss). Wenn ich aber dem Mandanten immer sofort eine Antwort gebe, gewöhnt er sich dran und wird dieser Erwartungshaltung auch in Zukunft haben.
Ich war nie als Richter tätig, aber nachdem was ich hier lese, ist der Druck trotzdem da. Die Anzahl der offenen Verfahren muss konstant bleiben oder sollte sinken. Alle Zeit der Welt hast du also auch dort nicht, nur ist der Druck nicht mehr so offen sichtbar, sondern unterschwellig da.
Ich kenne etliche Anwälte (im RVG-Bereich), die kaltschnäuzig für Mandanten nur schwer zu erreichen sind. Ich plädiere nicht dafür, dies auf die Spitze zu treiben, aber eine Scheibe kann man sich davon sicherlich abgucken.
Ich kann mich an einen Mandanten erinnern, der mich fast täglich angerufen hat, um den Stand seines Verfahrens zu erfahren. Er hat sogar unsere Sekretärin nach meiner Handynummer gefragt, damit er mich jederzeit anrufen kann. Zum Glück war sie schlau genug, dies abzulehnen. Eines Morgens rief er mich wieder mal an, saß offenbar noch am Frühstückstisch und kaute mir ins Ohr.
Nach diesem Frühstückstelefonat war Schluss für mich. Ich gab der Sekretärin die Anweisung, dass Herr X nicht mehr durchgestellt wird. Punkt. So etwas muss ich mir einfach nicht geben.
Ich habe es ja schon oft geschrieben. Bis zu einem gewissen Grad kann man sich Mandanten erziehen. Man merkt ja, wie wichtig eine Sache ist und wenn ich mir nicht sicher bin, frage ich kurz nach. Nicht jede Kleinigkeit ist so dringend, dass der Mandant morgen die Antwort auf dem Tisch haben muss. Manchmal reicht auch eine Zwischeninfo, dass man sich kümmert und bis yx zurückmeldet (was natürlich in den nächsten Tagen sein sollte, aber nicht asap sein muss). Wenn ich aber dem Mandanten immer sofort eine Antwort gebe, gewöhnt er sich dran und wird dieser Erwartungshaltung auch in Zukunft haben.
Ich war nie als Richter tätig, aber nachdem was ich hier lese, ist der Druck trotzdem da. Die Anzahl der offenen Verfahren muss konstant bleiben oder sollte sinken. Alle Zeit der Welt hast du also auch dort nicht, nur ist der Druck nicht mehr so offen sichtbar, sondern unterschwellig da.
29.01.2024, 21:04
Vergiss zudem die 3 Jahre Probezeit nicht. Du wirst relativ eng kontrolliert und vorallem an der Qualität deiner Arbeit UND deiner Dezernatszahl gemessen, bis du halbwegs safe bist.
Beides unter einen Hut zu bekommen - was als StA meinem Anspruch entspricht - kann manchmal sehr schwer sein, wenn umfangreiche/ umständliche Verfahren, Dinge wie z.B. eine querulatorische Petition (äußerst selten) oder Haftsachen und Einstellungsbeschwerden sich mal alle in kurzer Zeit akkumulieren, du noch das abgesoffene Dezernat vom wiedermal kranken Kollege vertreten musst, gleichzeitig aber auch der Druck von Oben kommt, dass all das nahezu ideal ausgeführt sein sollte und deine Zahlen besser stimmen.
Druck und Stress gibt es überall, doch muss ich zumindest keinem nach dem Mund sprechen.
Beides unter einen Hut zu bekommen - was als StA meinem Anspruch entspricht - kann manchmal sehr schwer sein, wenn umfangreiche/ umständliche Verfahren, Dinge wie z.B. eine querulatorische Petition (äußerst selten) oder Haftsachen und Einstellungsbeschwerden sich mal alle in kurzer Zeit akkumulieren, du noch das abgesoffene Dezernat vom wiedermal kranken Kollege vertreten musst, gleichzeitig aber auch der Druck von Oben kommt, dass all das nahezu ideal ausgeführt sein sollte und deine Zahlen besser stimmen.
Druck und Stress gibt es überall, doch muss ich zumindest keinem nach dem Mund sprechen.
30.01.2024, 08:30
(29.01.2024, 21:04)Sky schrieb: Vergiss zudem die 3 Jahre Probezeit nicht. Du wirst relativ eng kontrolliert und vorallem an der Qualität deiner Arbeit UND deiner Dezernatszahl gemessen, bis du halbwegs safe bist.
Beides unter einen Hut zu bekommen - was als StA meinem Anspruch entspricht - kann manchmal sehr schwer sein, wenn umfangreiche/ umständliche Verfahren, Dinge wie z.B. eine querulatorische Petition (äußerst selten) oder Haftsachen und Einstellungsbeschwerden sich mal alle in kurzer Zeit akkumulieren, du noch das abgesoffene Dezernat vom wiedermal kranken Kollege vertreten musst, gleichzeitig aber auch der Druck von Oben kommt, dass all das nahezu ideal ausgeführt sein sollte und deine Zahlen besser stimmen.
Druck und Stress gibt es überall, doch muss ich zumindest keinem nach dem Mund sprechen.
Derartigen fachlichen Druck gibt es doch aber in jedem Bereich. Dass man keine Grütze am laufenden Band abliefern kann, ist doch eigentlich selbstverständlich. Wichtiger Unterschied zur Kanzleiwelt ist doch eher, dass es in der Anwaltschaft idR deutlich willkürlicher vorgeht.
31.01.2024, 11:51
In der Verwaltung dürfte der Druck tatsächlich am geringsten sein.
01.02.2024, 13:52
(30.01.2024, 08:30)JuraLiebhaber schrieb:(29.01.2024, 21:04)Sky schrieb: Vergiss zudem die 3 Jahre Probezeit nicht. Du wirst relativ eng kontrolliert und vorallem an der Qualität deiner Arbeit UND deiner Dezernatszahl gemessen, bis du halbwegs safe bist.
Beides unter einen Hut zu bekommen - was als StA meinem Anspruch entspricht - kann manchmal sehr schwer sein, wenn umfangreiche/ umständliche Verfahren, Dinge wie z.B. eine querulatorische Petition (äußerst selten) oder Haftsachen und Einstellungsbeschwerden sich mal alle in kurzer Zeit akkumulieren, du noch das abgesoffene Dezernat vom wiedermal kranken Kollege vertreten musst, gleichzeitig aber auch der Druck von Oben kommt, dass all das nahezu ideal ausgeführt sein sollte und deine Zahlen besser stimmen.
Druck und Stress gibt es überall, doch muss ich zumindest keinem nach dem Mund sprechen.
Derartigen fachlichen Druck gibt es doch aber in jedem Bereich. Dass man keine Grütze am laufenden Band abliefern kann, ist doch eigentlich selbstverständlich. Wichtiger Unterschied zur Kanzleiwelt ist doch eher, dass es in der Anwaltschaft idR deutlich willkürlicher vorgeht.
Freilich. Soll auch nur heißen Druck ist Druck.
01.02.2024, 15:52